Nordhausen AfD-Oberbürgermeisterkandidat vom Verfassungsschutz beobachtet
Hauptinhalt
18. September 2023, 05:33 Uhr
AfD-Kandidat Jörg Prophet geht als Favorit in die Oberbürgermeisterwahl von Nordhausen. Kurz vor der Stichwahl am 24. September kommen weitere Details über sein Weltbild ans Licht. Im Jahr 2021 wurde Prophet im Thüringer Verfassungsschutzbericht erwähnt. Der Inland-Nachrichtendienst bescheinigt dem AfD-Kandidaten ein "geschlossenes revisionistisches Geschichtsbild". Gleichzeitig warnt beispielsweise das Internationale Auschwitz Komitee davor, Prophet zu wählen.
Ein Kapitel des Thüringer Verfassungsschutzberichts 2021 beginnt mit den Worten "2. Rechtsextremistische Parteien, 2.1 'Alternative für Deutschland' (AfD), Landesverband Thüringen". Auf Seite 27 berichtet der Inland-Nachrichtendienst über den Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke. "Geschichtsrevisionismus" lautet das Thema, also der Versuch, ein anerkanntes Geschichtsbild politisch umzudeuten.
Dass der Verfassungsschutz Höcke und seinen Landesverband als rechtsextrem einstuft, ist bundesweit bekannt. Doch direkt nach Höcke wird über ein damals unbekanntes Thüringer AfD-Mitglied berichtet. Ein Mann, der am 24. September Deutschlands erster AfD-Oberbürgermeister werden könnte: Jörg Prophet.
Wieso jetzt darüber berichtet wird
Dass diese Tatsache erst jetzt bekannt wird, hat zwei Ursachen: Der damals unbekannte Jörg Prophet wird im Verfassungsschutzbericht nicht namentlich genannt. Der Bericht verweist auf einen Blogbeitrag der "AfD-Fraktion des Kreistages Nordhausens".
Zweiter Grund ist eine falsche Datumsangabe des Verfassungsschutzes. Der Nachrichtendienst datierte besagten Blogbeitrag auf den 15. Februar 2021. Tatsächlich wurde er einen Tag zuvor, am 14. Februar 2021, auf der Homepage der AfD Nordhausen veröffentlicht. Prophet flog unter dem Radar.
Die ausführlichen Zitate im Verfassungsschutzbericht zeigen, dass es sich um den Text des AfD-Oberbürgermeisterkandidaten handelt. Der Blogbeitrag war am 24. September 2023 unter der Überschrift "Trauer um die Opfer von Dresden 1945" zu finden und wurde später gelöscht. Unterzeichnet war er mit: "Ihr Jörg Prophet".
Entdeckt hat diesen Zusammenhang der Historiker und Stiftungsleiter der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner. Vergangene Woche veröffentlichte er auf einer Pressekonferenz einen Teil der Vorwürfe gegen Prophet. Er sei entsetzt, was er von und über Jörg Prophet lesen musste, sagte Wagner MDR THÜRINGEN.
Verfassungsschutz: "Text soll Schuld relativieren"
Auf zwei Seiten geht der Verfassungsschutzbericht auf Prophets Aussagen ein. Zur Bombardierung Dresdens 1945 wird Prophet zitiert mit: "Schreckensereignisse und menschliche Abgründe reiht der Krieg ohne jede Gefühlsregung nacheinander auf […] und doch übertrifft der Mensch sich immer wieder selbst. Von Guernica über Auschwitz, von Hiroshima und Nagasaki zu den europäischen Leichenfeldern."
Der Verfassungsschutzbericht kritisiert, dass Prophet geschichtsrevisionistische Schuldabwehr betreibe. Nicht "der Krieg" war für Schreckensereignisse verantwortlich, sondern Nazi-Deutschland hatte den Zweiten Weltkrieg begonnen. Auch vergesse Prophet zu erwähnen, dass Deutsche die baskische Stadt Guernica bombardierten, die Gaskammern von Auschwitz betrieben und für die europäischen Leichenfelder verantwortlich waren. Auch die Atombomben-Abwürfe über Japan seien eine Folge des deutschen Angriffskrieges gewesen. Der Text "solle die historische Schuld des deutschen Volkes relativieren oder beschweigen", schreibt der Nachrichtendienst.
"Tätervolk in Sippenhaft"
Der AfD-Kandidat wird weiterhin zitiert mit: "Da wird aus einem Regime und einer Wehrmacht ein Tätervolk in Sippenhaft. Da wird jeder zivile Ungehorsam und der deutsche Widerstand in allen gesellschaftlichen Bereichen eingestampft zum Tätertrauma."
Der Nachrichtendienst wirft dem Autor wieder Schuldabwehr vor. Prophet trenne die Verbrechen des NS-Regimes und der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg von der deutschen Bevölkerung. Die Deutschen seien in "Sippenhaft" genommen worden. Ein Begriff, der im Nationalsozialismus genutzt wurde, um auch Verwandte von politischen Feinden oder Kriminellen zu verfolgen.
Verfassungsschutz erkennt "rechtsextremistische Rhetorik"
Der Verfassungsschutz schreibt dazu: "Damit werden nicht nur Ergebnisse gängiger Forschungen ignoriert, wonach die deutsche Mehrheitsgesellschaft den Nationalsozialismus seinerzeit bereitwillig unterstützte und selbst Gewalt als Teil ihres Alltags befürwortete. Dahinter steht vielmehr die Absicht, 'Regime' und 'Wehrmacht' zu Tätern und alle anderen zu Opfern der deutschen Erinnerungspolitik zu erklären."
Prophet behaupte außerdem, dass die Bombardierung Dresdens heutzutage "als gerechte Strafe" für die Deutschen propagiert werde. Laut Verfassungsschutzbericht eine Rhetorik, die "sich alljährlich in rechtsextremistischen Trauermärschen ausdrückt" und von diesen übernommen wurde. Als Fazit attestiert der Nachrichtendienst Jörg Prophet "ein geschlossenes geschichtsrevisionistisches Weltbild".
Rechtsextreme Legende der Rheinwiesen
Nachdem Jens-Christian Wagner auf den Verfassungsschutzbericht aufmerksam wurde, untersuchte er weitere Text des AfD-Kandidaten. Er mache bei Prophet einen "rechtsextremen Geschichtsrevisionismus" an mehreren Beispielen fest. Wie an einem Text vom 8. Mai 2020.
Dort finde sich die Legende der "Rheinwiesenlager". Die Rheinwiesen seien ein beliebter Mythos unter Neonazis. Dabei handelt es sich um eine Geschichtslüge, wonach die Amerikaner nach dem Krieg bis zu einer Million deutscher Kriegsgefangene in Rheinland-Pfalz absichtlich sterben ließen. Eine Schuldumkehr von Rechts, die eine Art Völkermord an den Deutschen unterstellt.
Während in der Realität deutsche Soldaten eher russische Kriegsgefangenenlager fürchteten, wurden die Rheinwiesen Jahrzehnte später zum rechtsextremen Mythos. Wissenschaftlich ist dieser längst widerlegt. "Die Rheinwiesen-Legende kannte ich bisher nur von Neonazis, die damit KZ-Gedenkstättenmitarbeiter bei Führungen provozieren wollten", sagt Jens-Christian Wagner gegenüber MDR THÜRINGEN.
Befreiung als Niederlage nur in der extremen Rechten
In dem gleichen Blogeintrag schreibt der AfD-Kandidat über den 8. Mai: "Dem Sozialisten ist es der Tag der Befreiung, dem Staatsbürger ist es zunächst der Tag der bedingungslosen Kapitulation."
Historiker Wagner sieht darin eine drastische Abkehr von der deutschen Erinnerungskultur, die grundlegend für das demokratische Selbstverständnis der Bundesrepublik sei. Spätestens mit der Rede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker 1985 galt der 8. Mai in der Bundesrepublik als Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus. Dieses Datum als Tag der Kapitulation zu interpretieren, finde nur in der extremen Rechten statt.
US-Amerikaner mit Nationalsozialisten gleichgesetzt
Am 2. April 2020 veröffentlichte Jörg Prophet einen weiteren erinnerungspolitischen Text auf der AfD-Kreishomepage. Wagner kritisiert, dass der AfD-Kandidat darin bewusst die US-amerikanischen Befreier des KZ Mittelbau-Doras mit der SS gleichsetze. "Prophet schreibt, bei den Siegern habe es ebenso wenig Moral gegeben wie bei den Nationalsozialisten. Er wirft Hiroshima und Nagasaki mit den Verbrechen von Mittelbau-Dora in einen Topf. Das ist Holocaust-Verharmlosung pur", sagt Wagner.
Außerdem werde den Amerikanern unterstellt, dass sie ausschließlich auf die Raketentechnologie und deutsche Ingenieure aus waren. Die Nationalsozialisten ließen in Mittelbau-Dora die Rakete "V2" in einem Stollen produzieren. Nach dem Prinzip "Vernichtung durch Arbeit" wurden mindestens 20.000 Zwangsarbeiter ermordet. Wagner: "Die US-Soldaten hatten sich nachweislich hingebungsvoll um die befreiten KZ-Häftlinge gekümmert. Sie sorgten für Medizin und Ärzte. Den amerikanischen Soldaten zu unterstellen, sie wollten nur Tötungstechnologien, ist für mich ein geschichtspolitischer Skandal ersten Ranges."
Gedenkstätten-Vorsitzender Wagner sieht Straftatbestand erfüllt
Verfassungsschutzbericht, rechtsextreme Legenden, Holocaust-Verharmlosung und Schuldumkehr - für den Jenaer Geschichtsprofessor sei ein Straftatbestand längst überschritten. "Meines Erachtens erfüllen diese Papiere den Tatbestand der Volksverhetzung. Ich würde mir wünschen, dass die Staatsanwaltschaft hier tätig wird", sagt Wagner.
AfD-Kreischef weist Vorwürfe zurück
Jörg Prophet möchte sich nicht persönlich zu diesen Vorwürfen äußern. AfD-Kreischef Andreas Leupold weist die Vorwürfe stellvertretend am Telefon zurück. Jörg Prophet stehe auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und relativiere keine Verbrechen. Er sei ein freiheitsliebender und marktorientierter Mensch, der rechtsextremes Gedankengut ablehne und die Nazi-Verbrechen verurteile.
Jörg Prophet sehe außerdem den 8. Mai als Tag der Befreiung an. "Hier wird wieder einmal die Nazi-Keule kurz vor der Stichwahl geschwungen. Dies ist eine bösartige Diffamierungskampagne gegenüber einem Menschen, den ich auch persönlich sehr schätze", sagte Leupold gegenüber MDR THÜRINGEN.
Internationales Auschwitz Komitee warnt vor Wahl Prophets
Vor der Stichwahl um das Amt des Oberbürgermeisters in Nordhausen am kommenden Sonntag warnt nun auch das Internationale Auschwitz Komitee vor der Wahl des AfD-Kandidaten Jörg Prophet.
Vizepräsident Christoph Heubner sagte: "Überlebende der deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager blicken voller Spannung und Sorge nach Thüringen." Viele Überlebende hätten nach ihrer Befreiung aus Buchenwald oder Mittelbau-Dora zu Menschen in Thüringen besondere Beziehungen entwickelt und auf einen neuen Anfang vertraut, fügte er hinzu.
Daher verfolgten sie die derzeitigen politischen Entwicklungen mit Fassungslosigkeit und Trauer: "Dass ausgerechnet in Nordhausen, einer Stadt, in der sie sich willkommen gefühlt haben, ein AfD-Kandidat große Wahlchancen hat, den frühere Äußerungen trotz seines bürgerlich-harmlosen Auftretens als lupenreinen Rechtsextremisten entlarven, erinnert die Überlebenden an jene dunklen Zeiten, die sie nahe Nordhausen durchleiden mussten und verschüttet die Wege des Vertrauens, die über viele Jahre entstanden sind."
MDR (ak/mm)/kna
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 24. September 2023 | 19:00 Uhr
Not Found
The requested URL /api/v1/talk/includes/html/5093dc7b-41ab-4799-a4b3-f248590fb30e was not found on this server.