Opern-Premiere mit Kult-Potenzial DNT Weimar: Goethe trifft "Aschenputtel" in der brennenden Anna Amalia Bibliothek
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18. März 2024, 04:00 Uhr
In Weimar brannte vor 20 Jahren die Anna Amalia Bibliothek. Ein Tempel der Aufklärung, heute Klassik-Welterbe. Goethe war bis zu seinem Tod dort Chefbibliothekar. Das Deutsche Nationaltheater Weimar nimmt das Jubiläum zum Anlass, nach dem Wert kultureller Bildung zu fragen. Ausgerechnet mit "Aschenputtel", einer Oper von Rossini. Mit "La Cenerentola" gelingt Regisseur Roland Schwab und seinem Team eine Inszenierung mit Kult-Potenzial, findet unser Kritiker. Auch das Publikum am Samstagabend war begeistert.
- Am Deutschen Nationaltheater Weimar feierte am Samstagabend die Rossini-Oper "La Cenerentola", also "Aschenputtel" Premiere.
- Regisseur Roland Schwab lässt die Handlung in den Trümmern der Anna Amalia Bibliothek beginnen und fragt mit seiner Inszenierung auch nach dem Wert kultureller Bildung.
- Die Premiere wurde vom Publikum gefeiert. Das Ensemble zeigte sich in Top-Form, anders als der Dirigent, urteilt unser Kritiker.
Gioachino Rossini, ein Zeitgenosse Goethes, hatte gerade seinen berühmten "Barbier von Sevilla" uraufführen lassen, da kam schon die Anfrage nach einem neuen Stoff. Rossini entschied sich für das Märchen "Aschenputtel", dem er allerdings alles Märchen- und Zauberhafte austrieb.
Es gibt bei ihm keine Fee und keine Haselnüsse. Stattdessen einen Philosophen, der die Menschen im Geist der Aufklärung erziehen möchte und der Aschenputtel mit dem Prinzen zusammenbringt. Es gibt auch keine böse Stiefmutter, sondern einen Stiefvater, der in dieser Inszenierung ins Hier und Heute versetzt wird.
DNT versetzt Rossini-Oper in die Anna Amalia Bibliothek
Zur Ouvertüre sehen wir ein Video. Der Hausmeister, Don Magnifico, tritt seinen neuen Dienst an. Sein Arbeitgeber ist der Direktor der Anna Amalia Bibliothek. Er zeigt ihm Haus und Technik, dann lässt er ihn mit seinen drei Töchtern in der Bibliothek zurück und das Unglück nimmt seinen Lauf.
Am Abend trinkt der Hausmeister über den Durst. Aschenputtel, die Stieftochter, ist brav zu Bett gegangen, die beiden jüngeren Schwestern, Tisbe und Clorinda aber, machen Party im Rokokosaal. Tik Tok ist ihr Lebensinhalt: Auffallen um jeden Preis. Die Bibliothek wird Kulisse und die brennende Zigarette achtlos in die Ecke geworfen.
Szenen-Applaus für grandioses Regietheater
Wenn sich zum ersten Akt der Vorhang öffnet, sehen wir einen Ascheberg aus verkohlten Büchern und Gipsbüsten. Was zynisch wirkt, weil es raucht und glimmt, ist schnell ein Hoffnungszeichen. Der Asche entsteigen die klassischen Helden, die auf der Galerie der Bibliothek aufgereiht waren.
Allen voran Goethe, der wie auf Tischbeins Bild "Goethe in Campagna" auftritt (Kostüme: Gabriele Rupprecht). Er ist bei Rossini ein Philosoph und der Lehrer des Prinzen, der hier in Weimar folgerichtig zu Großherzog Carl August wird und ebenfalls seinem Gemälde, das in der Bibliothek gegenüber dem Eingang hängt, entsteigt. Der Herzog ist auf Brautschau, tauscht mit seinem Diener die Kleider, um die Richtige zu finden, die nicht auf den feudalen Lack abfährt, sondern auf den humanistischen Kern.
Die Übersetzung des Märchens ins Ambiente der Weimarer Anna Amalia Bibliothek gelingt grandios – für Regietheater nicht immer üblich. Oft wirkt es aufgesetzt. Hier aber gar nicht. Als das Prinzenschloss, die Bibliothek, quasi neuerschaffen aus dem Schnürboden herabfährt (Bühne: Piero Vinciguerra) und Raum für das große Fest gibt, ist das Publikum wirklich ergriffen. Es gibt Szenenapplaus und viele Lacher, weil Regisseur Roland Schwab maximale Situationskomik auf die Bühne bringt. Chapeau!
Sängerinnen und Sänger auch spielerisch in Top-Form
Was natürlich auch bedeutet, dass die Sängerinnen und Sänger hier auch zu spielerischer Top-Form auflaufen. Und auflaufen können! Das DNT hat jüngst den Preis der deutschen Theaterverlage für seine Opern-Sparte bekommen, die sich mit Mut und Leidenschaft für Theater mit gesellschaftlicher Relevanz einsetze.
Bedingung ist immer ein Ensemble, das diesen Kurs mit trägt. Stellvertretend sollen Sayaka Shigeshima (Aschenputtel), Ylva Stenberg (Clorinda), Marlene Gaßner (Tisbe), Taejun Sun (Prinz) und Uwe Schenker-Primus (Magnifico) genannt sein. Was sie an Spielfreude, Gestaltungswillen und Figurenzeichnung an den Tag legen, ist große Kunst.
Auch sängerisch wird ein hohes Niveau geboten. Shigeshima ersingt sich mit einem voluminösen, warmen Mezzosopran eine reale, heutige Frauenfigur. Taejun Sun findet passende lyrische, menschliche Töne und muss nur manchmal die alles überstrahlende Prinzentenorstimme wie ein Schwert zücken. Schenker-Primus findet einen echten Vaterton auch gegenüber der Stieftochter und bleibt nicht in der Klangmaske des drolligen Alten gefangen. Goethe, Philipp Meierhöfer, führt souverän durch die Handlung. Der Diener, Ilya Silchuk, zeigt mit seiner Stimme, wie sehr er hin- und hergerissen und damit auch in Not ist.
Einziger Wermutstropfen ist das ideenlose Dirigat von Andreas Wolf. Er verschleppt die Tempi und schafft es nicht, mit Lautstärken zu spielen, Farben zu malen, hier zu beschleunigen, dort Tempo rauszunehmen. Am Ende ist es spannungslos und uninspiriert. So schlecht dirigiert habe ich die Staatskapelle noch nicht gehört.
Fazit: Inszenierung mit Kult-Potenzial
Es gibt dann doch die aus dem Märchen bekannte Schuh-Szene am Ende. Als er passt, zeigen sich Prinz und Prinzessin milde. Strafe ist nur die zweitbeste Möglichkeit. Einsicht die bessere. In heil'gen Hallen kennt man die Rache nicht. Oder doch? In einer Szene zuvor, als der Hausmeister in den Weinkeller steigt, kommt er betrunken zurück mit teuflischen Geistern. Grünes Licht, Nebel. Es sieht aus wie bei der Erstürmung des Kapitols. Und alles ist plötzlich da: von Fake News bis zu alternativen Fakten. Und wenn die uneinsichtigen Schwestern am Ende der Oper in Paris vor Notre-Dame stehen, droht die nächste Katastrophe.
Fazit: Eine Inszenierung mit Kult-Potenzial. Die überzeugende Übersetzung des Märchens in die Zeit der Weimarer Klassik, die witzige, spielfreudige, unterhaltsame Umsetzung – das sind die Zutaten für eine Inszenierung, zu der man sagen möchte: Verweile doch noch 30 Jahre, bis zum 50. Brand-Jubiläum, denn du bist so schön!
Weitere Informationen
La Cenerentola
Regie: Roland Schwab
Premiere 16. März
Weitere Aufführungen
Do, 21.03.2024, 19:30 Uhr
So, 31.03.2024, 19:30 Uhr
So, 14.04.2024, 19:30 Uhr
Fr, 19.04.2024, 19:30 Uhr
Sa, 11.05.2024, 19.30 Uhr
Mo, 20.05.2024, 18 Uhr
Sa, 01.06.2024, 19:30 Uhr
Deutsches Nationaltheater Weimar
Theaterplatz 2
99423 Weimar
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 18. März 2024 | 08:40 Uhr