Weimar Musiker auf allen Wegen: Das wilde Leben des Moritz Rabe
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02. August 2023, 17:20 Uhr
Moritz Rabe hat in seinem Leben schon viele Sachen probiert: Koch, Baustelle und ein BWL-Studium in Jena sind nur Beispiele für eine bewegte Biografie. Auch düstere Zeiten hat es gegeben. Heute lebt Rabe in Weimar und kann sich dort voll und ganz seiner eigentlichen Leidenschaft widmen - der Musik.
- Moritz Rabe ist ein Musiker aus Weimar und hat rund 700 Lieder im Repertoire.
- Eine Zeit lang ist er als musizierender Vagabund durchs Land gezogen.
- Sein großer Traum ist es, eine eigene Platte aufzunehmen.
In Weimar ist Moritz Rabe ein bekanntes Gesicht. Mehrmals in der Woche bespielt der Musiker die Fußgängerzone der Kulturstadt - mit Hut, Gitarre und markantem Liedgut. Als Straßenmusiker will er sich nicht bezeichnen. "Das klingt so abfällig", sagt Rabe und ergänzt lachend: "Lieber Musiker auf Straßen, Wegen und Plätzen (...) ich bin einfach Musiker und das ist meine Seele, mein Inneres und das geht mir in Fleisch und Blut. Egal, ob ich auf der Bühne bin, vor Freunden sitze oder auf der Straße - es ist immer: Musiker."
Die Tonkunst sei ihm in die Wiege gelegt worden, erzählt er. Sein Großvater Dirigent, seine Großmutter Opernsängerin, auch die Mutter spielte Geige. Heute lebt der 47-Jährige von seiner Musik und hat ihr sein Leben gewidmet - doch der Weg dorthin verlief alles andere als geradlinig.
Späte Jugend auf Abwegen
Moritz Rabe - das ist eigentlich ein Künstlername, ein Pseudonym. Seinen bürgerlichen Namen verrät er nur wenigen Menschen. Der sei nur für die Behörden wichtig, sagt der Musiker, der schon als Kind im Jugendchor in seiner Heimatstadt Gera aktiv war - bis zum Stimmbruch.
Ich habe mir dann auch so eine Überzeugung eingeredet, ich sei überzeugt von diesem ganzen nationalen Kram.
Einige Jahre später, so etwa mit 20 Jahren, sollte sich Rabe erneut der Musik zuwenden. Doch die Vorzeichen waren dieses Mal andere. Nach einigen Jahren in Österreich und der Rückkehr nach Ostthüringen kam er in Kontakt mit der NPD.
"Ich denke mal, der Hauptgrund ist der, dass Gera sowieso ein recht heißes Pflaster war, was sich sehr stark in Rechts und Links aufgeteilt hat. Wobei die rechte Szene dort maßlich stärker war. Dadurch war ich schon in meiner Kindheit geprägt von diesem rechten Gedankengang", erinnert sich Rabe.
Das Weltbild bröckelt
Er habe noch einmal "auftrumpfen und den Rebellen rauslassen wollen", sagt der Musiker und schüttelt den Kopf. Heute distanziert er sich deutlich von rechtem Gedankengut: "Ich schäme mich für meine damaligen Überzeugungen", sagt er. "Ich habe mir dann auch so eine Überzeugung eingeredet, ich sei überzeugt von diesem ganzen nationalen Kram."
Die Ideologie schliff immer weiter runter, bis ich irgendwann gesagt habe: Was soll das? Das bin ich nicht - das will ich gar nicht sein.
Während seines kurzzeitigen Studiums der Betriebswirtschaftslehre in Jena - in der er auch in einer Burschenschaft aktiv war - habe er dann gemerkt, dass etwas "nicht ganz koscher" sei.
"Jedes Mal nach dem dritten Bier kam es zur Kriegsschuldfrage und diesem ganzen ausgeleierten Mist", blickt Rabe zurück. Durch Reisen und Bekanntschaften habe sein damaliges Weltbild dann immer größere Risse bekommen: "Die Ideologie schliff immer weiter runter, bis ich irgendwann gesagt habe: Was soll das? Das bin ich nicht - das will ich gar nicht sein."
Leben als Experiment
Etwa zu dieser Zeit war es, als Rabe auch wieder die Musik für sich entdeckte - auch wenn es nichts mit der NPD zu tun hatte. Eher sei es Ausdruck einer jugendlichen, depressiven Anti-Haltung gewesen, die er mit der Musik habe verarbeiten können. Natürlich seien damals auch politische Lieder entstanden, die er schon lange nicht mehr singt. "Weil sie politisch falsch sind und mir heute nicht mehr gefallen", sagt Rabe. Rund 150 Lieder habe er selbst geschrieben, etwa die Hälfte davon sei ad acta gelegt.
Mein Repertoire bezieht sich so auf etwa 700 Lieder.
"Meine Lieder heute sind mit denen von damals gar nicht mehr vergleichbar. Ich singe heute über Natur, meine eher anarchistische Einstellung, die sehr konträr zu meiner alten faschistoiden Denkweise ist. Mein Leben ist ein Experiment - und da will ich mir das auch herausnehmen und wagen", beschreibt Rabe seine Kunst. "Mein Repertoire bezieht sich so auf etwa 700 Lieder. Das ist natürlich nicht so, dass ich die gleich singen kann, aber ich kann darauf zugreifen und bei denen brauche ich ein oder zwei Tage - dann hab ich sie drin", sagt Rabe.
Wirklich Gitarre "gelernt" habe er nie: "Ich bin Autodidakt. Ich habe schon viele Berufe angefangen: Koch, ich war auf der Baustelle, Praktika im Kindergarten. Ich habe es nie geschafft, weil ich mich nicht unterrichten lasse. Ich kann das nicht. Ich habe als Autodidakt meine Gitarre gelernt, ich habe als Autodidakt meine Stenografie gelernt - aber ich kann nicht lernen, wenn mich jemand was unterrichtet."
Von Liebe und Revolution
Zu den Inspirationsquellen Rabes gehören vor allem der Liedermacher Reinhard Mey und der Sänger Tom Waits. Inzwischen habe er aber seinen eigenen Stil gefunden. Auch durch Zeit, die er mit Pfadfindern verbracht habe. "Da ist auch der Lagerfeuer-Gitarrenschlag mit drin: drei Akkorde und drauflos geschmettert. Das spiegelt sich auch in meinen Liedern wider, obwohl ich heute schon melodischer geworden bin", sagt er.
Der eine kann mich leiden, der andere kann mich mal. Jedoch von allen beiden bezieh' ich mein Kapital.
Thematisch geht es bei Rabe nicht ganz so alltäglich zu: "Das sind verschiedene Themenbereiche, beginnend mit Vagabundenliedern, Revolutionsliedern der 1848er, Protestlieder der 60er- und 70er-Jahre - natürlich auch Liebeslieder und Gesellschaftskritisches." In vielen davon verarbeitet er eigene Erlebnisse.
Als Vagabund durchs Land
Zu diesen Erlebnissen gehören nicht nur vergangene Liebschaften, sondern auch das Reisen als Vagabund. "Wir haben uns angezogen mit Kniebundhosen, langen Strümpfen, Hut und Rucksack auf und ne' Weste an - und sind dann von Dorf zu Dorf gezogen. Wir haben in Kneipen, Gaststätten, Bäckereien und Fleischereien angehalten. Dann gingen die Türen auf: 'Meine Damen, meine Herren, wir sind die wilden Lumpenbrüder!' Immer ein Anklopfspruch und dann haben wir ein Lied vorgesungen", berichtet Rabe. Diese Zeit sei durchaus erfolgreich gewesen. Manchmal habe er auf der Straße besser gelebt als zu Hause, sagt er. Teilweise sei es sogar zu viel gewesen: "In manchen Zeiten hatte ich vier Mittagessen im Rucksack, als wir es übertrieben haben."
Die Resonanz auf seine Kunst sei zwar geteilt, für ihn aber eigentlich immer gut. "Mir gefällt beides, ob die Leute den Kopf schütteln und sich darüber aufregen oder ob sie es feiern - oder ob sie einfach vorbeilaufen. Das trainiert mich auch, viel offener und freier zu leben und Musik zu machen. Der eine kann mich leiden, der andere kann mich mal. Jedoch von allen beiden bezieh' ich mein Kapital", sagt Rabe und lacht. Der eine gebe eben Geld, der andere Ideen für neue Lieder. In Weimar habe er inzwischen so etwas wie eine Stammkundschaft, die sich freut, wenn er singt, und dann auch ein paar Münzen dalässt.
Ein großer Traum bleibt
Trotz seiner Freiheit, die Rabe sichtlich genießt, hat der Musiker noch einen großen Traum. "Ich suche noch einen Mäzen, der mir das Geld zuwirft und sagt: Jetzt mach einfach mal und nimm eine Platte auf", sagt er und schmunzelt. Das habe er schon seit mehr als 20 Jahren vor, aber es habe bisher nie geklappt. "Ich brauche auch immer jemand anderes, der mir auch mal in den Arsch tritt."
In Weimar ist Rabe nun schon seit mehr als 20 Jahren unterwegs, seit fünf Jahren wohnt er auch in der Kulturstadt. Hier hat er einen Garten und wird - zumindest für die nächste Zeit - auch weiter auf den Straßen, Wegen und Plätzen zu hören sein.
MDR (cfr)
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