Weimar Was ein russischer Student über den Krieg in der Ukraine denkt

14. Dezember 2022, 05:00 Uhr

Ilia P., ein russischer Student in Weimar, spricht über den Krieg, die Beziehung zu seinem Heimatland und sein neues Leben in Deutschland. Er sagt: "Das Leben in Russland ist nicht nur gefährlich, sondern fühlt sich auch perspektivlos an."

Umzug aus Moskau und Studienbeginn in einem neuen Land - Ilia P. ist 22 Jahre alt und hat im Oktober dieses Jahres sein Master-Studium an der Bauhaus-Universität in Weimar begonnen. Diese Entscheidung traf er nicht aufgrund des russischen Angriffes auf die Ukraine. In seiner Heimatstadt werde versucht, die Normalität zu bewahren, indem die Menschen in der Großstadt von der Realität des Krieges abgeschirmt werden. Ängste bezüglich eines aufkommenden "Russenhasses" und der Situation in Russland begleiten ihn trotzdem.

Ilia kann sich noch genau an den 24. Februar 2022 erinnern - den ersten Tag des Krieges. Als er an diesem Tag in die U-Bahn stieg, hatte er die Nachrichten schon gehört. Er schaute sich um und versuchte, die Gefühle der Menschen von ihren Gesichtern abzulesen. Ilia konnte erkennen, dass die Menschen anders aussahen als noch am Tag zuvor. "Ihre Gesichter waren kalt", erinnert er sich. Alle saßen stumm auf ihren Plätzen. Keiner sah auf sein Handy oder sagte etwas.

Es war das Beste, die Heimat und die Regierung für mich innerlich voneinander zu trennen.

Ilia P. | Student

Die erste Zeit danach war für ihn beängstigend. Er musste lernen, mit der neuen Realität umzugehen. "Es ist schwer zu verstehen, dass dein Land, was du liebst, einen Krieg angefangen hat," erklärt Ilia. Ihn - wie auch Menschen in seinem Umfeld - plagten Schuldgefühle. "Es war das Beste, die Heimat und die Regierung für mich innerlich voneinander zu trennen." 

Zu der Heimat gehören seine Familie, seine Freunde und all die Orte, an denen er aufgewachsen ist. Alles andere gehört für ihn zur Regierung. Das hat Ilia geholfen, mit seinen Gefühlen umzugehen. Seine Familie, Freunde und er haben sich dann so gut wie möglich an die neue Realität gewöhnt - auch wenn keiner diese mochte.

Langer Weg bis zum Umzug nach Deutschland

Sein altes Leben hinter sich zu lassen und in einem neuen Land zu studieren, war für Ilia nicht einfach. Aber es war keine abrupte Entscheidung aufgrund des Kriegs. Schon vor Jahren hatte er sich entschieden, eines Tages nach Deutschland zu kommen. Grund dafür war sein großes Interesse an der deutschen Geschichte und der Kultur. Darin wurde er auch bei Besuchen bei seiner deutschen Verwandtschaft bestärkt.

Trotz Vorlauf musste er für seinen Umzug viel erledigen: "Es war ein langer Weg, um hier zu sein." Er musste sich um die vielen Dokumente kümmern, Deutschprüfungen absolvieren und gute bis sehr gute Noten an seiner Heimatuniversität in Moskau vorweisen. Die Planung umfasste insgesamt weit über ein Jahr.

Das Leben in Russland ist nicht nur gefährlich, sondern fühlt sich auch perspektivlos an.

Ilia P.

Trotz der unruhigen Situation war Ilia fest entschlossen, nach Deutschland zu kommen. Seine Familie hatte ihm geraten, lieber zu warten, bis sich die Situation normalisiert hat. Seine Freunde hingegen hatten ihm direkt zugesprochen. "Das Leben in Russland ist nicht nur gefährlich, sondern fühlt sich auch perspektivlos an", sagt Ilia. Er beobachte, wie Russland sich vom Rest der Welt abgrenze.

Schwere Anfangszeit in Weimar

Die ersten Tage in Deutschland waren für Ilia schwer, berichtete er. Er wusste noch nicht, wo er wohnen würde, er kannte keine Leute und war von den vielen neuen Eindrücken überwältigt. Drei Nächte verbrachte er in einem Hotel, dann kam er bei Bekannten unter. Erst einige Wochen nach Beginn des Semesters bekam er einen Platz im Wohnheim. "Tag für Tag ist es besser geworden und ich habe mich weniger fremd gefühlt", erklärt er. Mittlerweile ist er sich sicher, dass es die richtige Entscheidung war, nach Weimar zu kommen.

Sorge um die russische Kultur

Zwar fühlt sich Ilia immer mehr mit Deutschland verbunden, aber die russische Kultur vermisst er trotzdem. Gerne würde er auch privat mehr darüber sprechen und Menschen über russische Feiertagstraditionen erzählen oder ihnen die russische Küche zeigen. In der derzeitigen Situation fühlt sich das für ihn aber falsch an.

Zudem hat er Angst, dass seine Kultur durch die derzeitige Situation in den nächsten Jahren in Vergessenheit gerät. Auch das Wegbleiben der Touristen in Moskau bereitet ihm Sorgen. "Keiner wird sich mehr für die russische Kultur interessieren", fürchtet Ilia.

Unsicherheit bei Reaktion auf seine Heimat

Ilia überrascht, dass die Menschen ihn nicht direkt auf seinen Standpunkt zum Krieg ansprechen und ihm nicht viele Fragen stellen. Viele versuchten sogar, das Thema zu meiden. Er verstehe, wenn Menschen nicht wissen, wie sie das Thema richtig ansprechen sollen oder nicht einschätzen können, ob es für ihn in Ordnung ist. Negative Reaktionen aufgrund seines Heimatlands bekam er von Deutschen bislang nicht.

Ich verstecke mich nicht.

Ilia P.

Dennoch ist die Angst vor einem "Russenhass" bei ihm immer noch präsent: "Wenn ich in der Öffentlichkeit auf Russisch telefoniere oder eine Sprachnachricht aufnehme, pausiere ich kurz, wenn jemand vorbeiläuft." Wenn er nach seiner Meinung gefragt wird, will er trotzdem offen und ehrlich sein: "Ich verstecke mich nicht."

Informationen über die sozialen Netzwerke

Für Ilia war es schwer, sich richtig über den Krieg informieren zu können. "Es gibt natürlich viel Propaganda in Russland," erklärt er. Den offiziellen russischen Medien wie dem Fernsehen vertraut er bei dem Thema nicht. Deswegen informiert er sich überwiegend bei unabhängigen Medien oder Initiativen, die ihre Informationen über soziale Netzwerke wie Telegram oder Instagram teilen.

Die Verantwortlichen gingen dafür ein großes Risiko ein, mutmaßt Ilia. Schon das Wort "Krieg" dürfen sie nicht benutzen. Laut russischer Regierung handelt es sich um eine "Spezialoperation". Bei Verstößen können sogar Gefängnisstrafen drohen, so Ilia.

Auch wenn ich zuerst an meine Heimat denke, würde ich der Ukraine gerne besser helfen können.

Ilia P.

Als Ilia nach Deutschland kam, war er überrascht, wie viel die deutschen Medien über den Krieg berichten. Posts über die sozialen Netzwerke und viele Spenden an Ukrainer - das hat Ilia von den Deutschen mitbekommen. In Weimar beobachtet er, dass es viele Menschen und Initiativen gibt, die sich mit dem Ukraine-Krieg befassen, indem sie zur Solidarität mit der Ukraine aufrufen oder sich mit Geld- oder Sachspenden beteiligen. "Auch wenn ich zuerst an meine Heimat denke, würde ich der Ukraine gerne besser helfen können", sagt Ilia.

Ungewisse Zukunft durch den Krieg

Die Zukunft ist für ihn in dieser angespannten Lage unsicher, auch wegen der verdeckten Teilmobilmachung. Ob er nach seinem Master-Abschluss nach Russland zurückkehrt, weiß er noch nicht. Doch darüber will er sich erst später Gedanken machen, denn aktuell ist er dankbar für sein Leben in Deutschland. 

MDR (je)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 08. Dezember 2022 | 06:00 Uhr

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