Desinformations-Kampagnen Russlands Kampf um die Informationshoheit

25. Februar 2022, 21:19 Uhr

Die Ukraine – ein "Nazi-Staat", der einen Genozid an den in der Ukraine lebenden Russen verüben und dabei chemische Waffen verwenden will. Erzählungen wie diese sind ein wesentlicher Bestandteil von Russlands-Desinformationskampagnen. Eine aktuelle Auswertung des EU-Projekts "EU vs. Disinfo" zeigt, dass Russland seit Monaten kontinuierlich falsche Interpretationen über den Ukraine-Konflikt streut.

Porträt Sabine Cygan
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Die russische Nachrichtenagentur "TASS" berichtete am 21. Februar, dass es einen Angriff ukrainischer Streitkräfte auf eine Unterkunft von Grenzsoldaten in der russischen Oblast Rostov gegeben habe. Das ist ein Beispiel für Russlands Bemühungen, seine militärische Offensive zu rechtfertigen und sich selbst in die Rolle des "Retters" oder "Verteidigers" zu heben. Belegt wird diese Behauptung mit einem 37-sekündigen Video. In dem ist zu sehen, wie die Unterkunft zerstört wird.

In einer Analyse von "EU vs. Disinfo" wird aufgelistet, warum es "sehr unwahrscheinlich" sei, dass es diesen Angriff tatsächlich gegeben habe: Beispielsweise befinde sich das Gebäude 40 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt. Eine Zerstörung hätte also mit einer Waffe schweren Kalibers durchgeführt werden müssen, die wiederum hätte weit mehr Schaden anrichten müssen, als es tatsächlich der Fall war.

Desinformationskampagne richtet sich an russische Bevölkerung

Geschichten wie diese sind kein Einzelfall und richten sich in erster Linie an die russische Bevölkerung, so die Arbeitsgruppe "EU vs. Disinfo". Sie sind Teil einer lang angelegten russischen Desinformationskampagne. Das bestätigt auch Ekkehard Brose, Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik. Er hat mehrere Jahre in der deutschen Botschaft in Moskau gearbeitet und kennt sich mit der Politik des Kremls gut aus.

Zu Hause muss Putin versuchen sicherzustellen, dass seine Version der Geschichte und der aktuellen Vorgänge in der Ukraine das Meinungsklima bestimmt.

Ekkehard Brose, Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik

Die russische Bevölkerung sei nach Afghanistan, Tschetschenien und Syrien des Krieges müde, allemal eines Bruderkrieges. "Daher unternimmt Putin große Anstrengungen, es wie einen Verteidigungs- oder Präventivkrieg aussehen zu lassen", sagt Brose.

Über das Projekt "EU vs. Disinfo" Das Projekt "EU vs. Disinfo" gehört zum Europäischen Auswärtigen Dienst. Die sogenannte "Task Force" wurde 2015 gegründet, weil die EU Staats- und Regierungschefs eine Notwendigkeit sahen, Russlands laufende Desinformationskampagnen zu erkennen, richtigzustellen und besser vorhersehen zu können. Eine wichtige Aufgabe der Arbeitsgruppe ist das Monitoring von veröffentlichten Informationen aus Russland und deren Richtigstellung, wenn sie falsch sind. Die Mitarbeiter befüllen außerdem eine fortlaufende öffentliche Datenbank mit Falschinformationen aus Russland. https://euvsdisinfo.eu/to-challenge-russias-ongoing-disinformation-campaigns-the-story-of-euvsdisinfo/

Langfristige Desinformationskampagnen über die Ukraine seit 2014

Eine Taktik des Kremls: Langfristig angelegte Desinformationskampagnen, die in Bezug auf die Ukraine schon seit 2014 etabliert wurden. Eine der gefährlichsten Mythen, so die Arbeitsgruppe der EU, dass die Ukraine ein Produkt Russlands sei und damit kein Recht auf Souveränität habe. Zudem sei immer wieder behauptet worden, dass die Ukraine unter ausländischer Kontrolle stehe und als Waffe gegen Russland eingesetzt werde.

Auch der militärischen Offensive am Morgen des 24. Februar gingen gut vorbereitete Desinformationskampagnen voraus. Die Arbeitsgruppe "EU vs. Disinfo" hat in den vergangenen sechs Monaten Inhalte mit Ukraine-Bezug analysiert, die von russischen Staatsmedien, von anderen Kreml-nahen Publikationen sowie von offiziellen diplomatischen russischen Twitter-Accounts veröffentlicht wurden.

Diese vier konkreten Schlagworte wertete die Arbeitsgruppe unter anderem nach ihrer Häufigkeit aus: Die Ukraine als "Nazi"-Staat, ein "Genozid" an der russischen Bevölkerung in der Ukraine, der Einsatz "chemischer Waffen" seitens der Ukraine sowie das Schlagwort "atomar" in Bezug auf Russlands Besitz atomarer Waffen. Mit Beginn des Jahres 2022 und bis zum Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine stieg vor allem die Verwendung der Formulierung "Nazi" in Bezug auf die Ukraine stark an.

Diese Erzählung streuten die untersuchten Medien am häufigsten, wie aus der grafischen Auswertung der Arbeitsgruppe hervorgeht. Kurz vor der militärischen Offensive Russlands wurde ebenfalls die Behauptung eines "Genozids" in der Ukraine sehr häufig bedient. Die Geschichte über "chemische Waffen" zum Einsatz gegen die russische Bevölkerung in der Ukraine wurde einerseits vor allem im Dezember 2021 eingesetzt und andererseits ab dem 3. Januar immer häufiger verbreitet. Außerdem hätten die russischen Staatsmedien seit November 2021 verstärkt über Russlands Atomwaffen berichtet, wie ebenfalls aus einer grafischen Darstellung hervorgeht.

Desinformationskampagnen funktionieren in Teilen der russischen Bevölkerung

Laut der europäischen Arbeitsgruppe verabschiedeten sich die Erzählungen zwar immer mehr von der Realität. Dennoch würden auch noch so abwegige und abstruse Behauptungen bei einigen Menschen – vor allem in Russland – auf fruchtbaren Boden fallen. In der Analyse heißt es: "Auch wenn Pro-Kreml-Desinformationen manchmal mit ihren plumpen Lügen von westlichen Zuschauern und Analysten ausgelacht wurden, war die absurde Tragikomödie des Kremls ein gruseliger Ausblick auf die kommenden Dinge."

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Brose: Putin erreicht das Ausland mit seiner Version nicht

Ekkehard Brose, Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik ergänzt, dass auch die russische Bevölkerung Zugang zu ungefilterten Informationen von der Front habe. "Die russische Intelligenz hat jahrzehntelange Übung darin, zwischen den Zeilen zu lesen und nur begrenztes Vertrauen in ihre Obrigkeit", sagt Brose. Zudem ist er der Meinung, dass der russische Präsident Wladimir Putin das Ausland, die Vereinten Nationen oder andere Akteure mit Zugang zu freien Medien nicht für seine Version gewinnen könne. "Zu krass ist der Widerspruch zur Realität, zu beängstigend die Praxis des Rechts des Stärkeren für die meisten eher schwachen Staaten. Selbst China verharrt in neutraler Distanz."

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 25. Februar 2022 | 06:00 Uhr

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