Bürgerschaftliches Engagement Rettung für bedrohte Dorfkirche in Selben
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17. August 2024, 04:00 Uhr
Kirche ist vielen egal, aber wenn das Gotteshaus im eigenen Dorf verfällt, dann werden auch Nicht-Christen aktiv. In Selben bei Delitzsch etwa ist das Gotteshaus vom Tagebau schwer geschädigt – und wird nun auch von Menschen gerettet, die gar nicht in der Kirchengemeinde sind. Dafür erhielten sie den Titel "Kirche des Jahres".
Patrick Fölsch ist im Moment der einzige Selbener, der in die kleine Dorfkirche darf. Doch auch er betritt das Gotteshaus nur mit Helm, denn im Deckengewölbe klafft ein Loch, der Dachstuhl liegt offen.
Man kann das ruhig so sagen: Die Kirche stand kurz vor dem Zusammenbruch.
Dass es anders kam, dass das rund 500 Jahre alte Gotteshaus nun gerettet wird – liegt auch an Einwohnern wie ihm. Zwar sind sie nicht in der Kirchengemeinde, doch das Sterben ihrer Dorfkirche wollten sie nicht mit ansehen.
Zäher Kampf um Entschädigung
Ursache für den Verfall ist wahrscheinlich der nahe gelegene ehemalige Tagebau Delitzsch-Südwest, der zu DDR-Zeiten das Grundwasser senkte und nach seinem Ende 1993 wieder ansteigen ließ. Für die winzige Selbener Kirchgemeinde begann seither ein Kampf mit dem Bergbau-Sanierer LMBV um Entschädigung.
"So lange zieht sich das schon hin. Was für uns auch ein bisschen bedauerlich war, weil wir einfach lange Zeit keinen richtigen Fortschritt gesehen haben", erinnert sich Harald Baber, Ur-Selbener, dort geboren, fortgezogen und zurückgekehrt. Der Kirche hat er den Rücken gekehrt, für "seine" Dorfkirche jedoch engagiert er sich.
Gut 30 Selbener wie Harald Baber gründeten vor neun Jahren einen Förderkreis, um ihre Kirche zu retten. Sie sammelten Spenden, warben Fördergelder ein, stritten mit der Bergbaugesellschaft und gewannen jetzt den Titel "Kirche des Jahres" der evangelischen Kirchenbau-Stiftung. Mittlerweile haben sie schon eine dreiviertel Million Euro für die Sanierung zusammen bekommen.
Das Wunder von Selben
Annett Lützkendorf ist Neu-Selbenerin. Auch sie ist weder evangelisch noch katholisch, und dennoch will sie die Kirche unbedingt erhalten. Sie erinnert sich, als sie das Gotteshaus das erste Mal betrat: "Ich bin Weihnachten das erste Mal in die Kirche gegangen, obwohl ich nicht kirchlich bin. Das ist immer so ein Moment, wo man mal an die Kirche denkt. Und dann stand ich in der Kirche und da war`s um mich geschehen", so die heutige Kirchenretterin.
Pfarrer Daniel Senf kann nur staunen, was da in Selben wächst. Was er sieht, gibt ihm auch Hoffnung für seine schrumpfende Kirche insgesamt.
Das ist das Wunder von Selben, dass hier an diesem Ort in einer Kirche, die eigentlich gar nicht nutzbar ist als Kirche, Menschen zusammenfinden.
Patrick Fölsch zeigt dem Pfarrer die Risse im Mauerwerk – sie sind mittlerweile verfüllt. Stahlanker geben der Dorfkirche neuen Halt. Mit einem Lächeln erzählt Gartenbauer Fölsch:
"Die Selbener berichten, ich hätte mal gesagt: Ich würde erst dann heiraten, wenn die Kirche fertig ist. Jetzt ist es ja in greifbarer Nähe. In wahrscheinlich zwei Jahren könnte es so weit sein."
Die Frau dazu gibt es schon. Auch sie ist eine der Kirchenretterinnen von Selben.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | Religion und Gesellschaft | 18. August 2024 | 08:15 Uhr