Räumung ohne Gerichtsvollzieher Erfurt: Eigentümer wirft Hartz 4-Empfänger aus Wohnungen
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02. September 2021, 05:00 Uhr
Diese Männer hatten es nie leicht, eine Wohnung zu finden. Sie trinken zu viel, haben psychische Probleme oder Schulden. Sie leben in der Alten Parteischule in Erfurt und die wird seit Monaten umgebaut. Die letzten Mieter sind nun rausgeworfen worden – ihnen droht die Obdachlosigkeit.
Er hat sein Zuhause verloren – eine kleine Wohnung von 20 Quadratmetern auf der Großbaustelle in der ehemaligen SED-Bezirksparteischule Erfurt. Eines Morgens stand der Eigentümer "mit dem Bauleiter vor der Tür", sagt Gerd Schmidt. Es habe geheißen: Eine halbe Stunde Zeit und die "Bude wird leergemacht heute. Taxi bestellt für das Obdachlosenheim".
Die Schränke von Gerd Schmidt seien bei seiner Abfahrt noch voll gewesen, sagt der 63-Jährige. Sein Mietvertrag war erst einige Tage zuvor abgelaufen, als er ohne gerichtlichen Räumungstitel seine Wohnung verlassen musste. Sein letztes Hab und Gut passt in ein paar Tüten. Erst schlief er bei einem früheren Nachbarn auf dem Boden. Jetzt ist er obdachlos.
Empfänger von Hartz-4 ohne Wasser und Heizung
Im Leben von Gerd Schmidt lief einiges schief: Er war im Gefängnis und im Obdachlosenheim. Umso wichtiger waren dem Hartz 4-Empfänger die eigenen vier Wände. Doch schon in der Alten Parteischule herrschte beständig Lärm und die letzten Mieter mussten teilweise ohne Heizung oder warmes Wasser auskommen.
Früher wurden in der SED-Bezirksparteischule Erfurt kommunistische Kader geschult. Bis 2011 nutzte die Landesregierung das Gebäude als Gästehaus, danach ist es an zwei Privatleute verkauft worden. Jahrelang waren in dem Gebäude auch viele sozial schwache Mieter untergebracht, die sich dort zu Hause fühlten. Jetzt wird die Alte Parteischule von den privaten Investoren umgebaut als Ausbildungseinrichtung für den Zoll. Die letzten Bewohner sollten raus. Doch eine neue Wohnung war für sie nicht leicht zu finden: sie sind mittellos, haben Schufa-Einträge oder sind alkoholkrank.
Wohnung wegen Schulden verloren
Thomas Wirth hatte seine alte Wohnung aufgrund von Mietschulden verloren, als er vor sieben Jahren in die Alte Parteischule einzog. Als MDR exakt vor einem Monat das erste Mal über die Mieter berichtete, sagte der 42-Jährige:
Ich habe jetzt seit ungefähr zweieinhalb Jahren kein Wasser mehr zur Verfügung. Nachdem ein Wasserschaden durch defekte Fliesen aufgetreten ist.
Der Hartz 4-Empfänger war nun ebenfalls aus seiner Wohnung geworfen worden, berichtet Thomas Wirth MDR exakt. Der Eigentümer sei "mit 15 Bauarbeitern bei mir an der Tür gewesen und hat gesagt: Wir werden Sie jetzt rausbringen", sagt er. Er habe natürlich Widerstand geleistet. Doch die Männer seien über ihn hergefallen, hätten ihn zu Boden gedrückt und versucht, ihn raus zu schleifen. Dabei sei er verletzt worden.
Alles, was sich in seiner Wohnung befand, sei beschädigt worden, sagt Thomas Wirth. Die Männer hätten in seiner Wohnung mit Feuerlöschern und Wasser herumgespritzt. "Damit das dann halt so eine schöne klumpige Masse gibt und so jeder Aufenthalt unmöglich gemacht wird." Er hat Fotos gemacht. Vorläufig sei er nun bei Freunden untergekommen.
Eigentümer lässt Wohnung ohne Gerichtsvollzieher räumen
Bei seiner Räumung sei kein Gerichtsvollzieher anwesend gewesen, erzählt Thomas Wirth. Das bestätigen MDR exakt auch Stadtverwaltung und Amtsgericht. MDR exakt hätte gern vom Eigentümer erfahren, warum er seine Mieter ohne Gerichtsvollzieher räumen ließ. Doch weder auf schriftliche noch auf telefonische Anfragen gibt es eine Reaktion.
Eine Räumung ohne Gerichtsvollzieher stelle eine unerlaubte Selbsthilfe dar und sei strafbar, so Doreen Denstädt vom Thüringer Innenministerium, die die Vorwürfe kennt: "Da könnten mehrere Straftatbestände verwirklicht worden sein, zum Beispiel Körperverletzungsdelikte oder Nötigung. Unterm Strich muss das natürlich vom Gericht geprüft werden." Ihre Kollegen hätten die Anzeigen aufgenommen und diese werden dann gerichtlich geprüft.
Doch das hilft Gerd Schmidt und Thomas Wirt in der jetzigen Situation nicht weiter. Thomas Wirth hat nur einen provisorischen Schlafplatz. Gerd Schmidt lebt mittlerweile nun doch in einer Obdachlosenunterkunft. Beide benötigen dringend eine neue Wohnung.
Quelle: MDR exakt/ mpö
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 01. September 2021 | 20:15 Uhr