Eine Immobilie ohne Eigenkapital erwerben? Bezahlbar wohnen bis zum Lebensende: Wie das geht, zeigt die Baugemeinschaft "Weinberg 21"

13. August 2024, 13:10 Uhr

In vier von zehn Haushalten gehen hierzulande schon mehr als 30 Prozent des Netto-Einkommens für die Miete drauf. Experten sehen diese Marke als kritisch an, insbesondere Familien mit kleinerem Einkommen bliebe da bald nicht mehr genug Geld für den Alltag. Was also tun? Warten und darauf hoffen, dass die Politik die Mietpreisbremse endlich effektiv anzieht? In Dresden haben sich ein paar Menschen gesagt: Wir probieren da mal was ganz anderes aus, unterstützt vom Mietshäuser-Syndikat.

Idyllischer geht es kaum: Ländlich und gleichzeitig direkt vor den Toren Dresdens, am Fuß früherer Weinberge liegt ein 200 Jahre alter Dreiseithof. Dort zu wohnen, diesen Traum wollte sich eine Gemeinschaft von 15 Leuten unbedingt erfüllen. Vor drei Jahren entdeckten sie das verfallende Areal, das sie ins Schwärmen kommen ließ. Die "spinnerte" Idee, den Hof zu kaufen und zu sanieren, ließ sie nicht mehr los.

Die "spinnerte Idee"

Aber wie das Geld dafür – sage und schreibe zwei Millionen Euro – aufbringen? Kaum einer von ihnen verdiente mehr als 1.500 Euro im Monat. Auch pralle Sparguthaben fehlten und keiner hatte ein dickes Erbe zu erwarten, das einer Bank als Sicherheit dienen könnte. Katja Muschter, die als freiberufliche Yogalehrerin arbeitet und Mutter von drei Kindern ist, erinnert sich an den Start des Hausprojekts "Weinberg 21":

Es kamen immer mal Menschen aus dem Dorf, die gesagt haben: 'Wir haben gehört, was ihr bezahlen müsst. Habt ihr den riesigen Riss gesehen, der durch das Haus geht. Das ist eigentlich dem Zusammenbruch geweiht und ihr wollt das aufbauen: Das kann nicht klappen'.

Katja Muschter

Entmutigen ließen sich die Weinbergs-Bauherren in spe davon nicht. Sie ließen sich nicht abbringen von der Idee, dass es anders geht. Auch in punkto Wohneigentum. Aus dem Hof wollten sie eine Art Wohn-Genossenschaft machen, in der jeder, wirklich jeder, bezahlbaren Wohnraum bekommt. Uwe Mark, der als Gartengestalter sein Geld verdient, erklärt:

Mir gefiel auch die Idee, dass es kein Besitz ist, das ich 'nur' Mieter bin. 

Uwe Mark

Das Modell des Mietshäuser-Syndikats

Aber wer würde so eine Idee, die ein bisschen nach Luftschloss klingt, finanzieren und die nötigen zwei Millionen leihen? Bei ihren Recherchen entdeckte die Gruppe das Modell des so genannten Mietshäuser-Syndikats – ein Verbund von Hausprojekten in ganz Deutschland vereint durch das Ziel, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und zu mehren. 140 Mal schon hat das Syndikat solche Hausträume wie in Dresden wahr werden lassen. Ein Jahr dauerte allein die Vorbereitung des Kaufs, ehe das Baugeschehen am Weinberg 21 beginnen konnte. Katja Muschter sagt, wie wertvoll das im Syndikat gebündelte Wissen war, Kauf und Bau zu realisieren, wenn das Eigenkapital Richtung Null tendiert.

Lektion Nummer 1: Für so etwas braucht es mehr als nur die Bank. Denn die finanziert nie zu 100%. Was enorm viel hilft, ist, wenn Freunde, Familie aber auch Menschen, denen das Bau-Projekt sympathisch ist, viele kleine Scheine dazugeben. So genannte Nachrangdarlehen. Bei den Weinbergs-Bauherren kam so fast eine halbe Million Euro zusammen. Doch selbst danach klaffte immer noch ein großes Finanz-Loch. Klar war, viel muss in Eigenleistung erbracht werden:

Wir haben am Anfang gedacht, wir machen alles selber (lacht), dann haben uns unsere Berater vom Syndikat gesagt: 'Leute, plant nicht mehr als fünf bis zehn Prozent ein. Mehr könnt ihr niemals leisten. Haltet den Ball flach'.

Katja Muschter

Stück für Stück in Eigenleistung: Das Leben ist eine Baustelle

Auch Axel Streit und Antje Cremer, die betreuenden Architekten, haben das so gesehen. Doch letztlich gab es wegen des fehlenden Kapitals schlicht keine andere Alternative als selbst anzupacken.

Und dann haben wir uns halt mit Gummistiefeln hingestellt und gezeigt: So betoniert man und so macht man das mit den Eisen. Die geringere Qualifikation wird dann sozusagen durch Menschenmasse ausgeglichen. Es sind halt viele da und dann kann man das auch machen.

Axel Streit, betreuender Architekt

Am Anfang war da ein großer Enthusiasmus erinnert sich Streit. Julia Wegener und Katja Schlachte staunen heute selbst über das Geleistete:

Ich weiß noch, dass es hier wie im Krieg aussah. Alles war vernebelt, als wir die Wand abgeklopft haben. Genauso das Dach. Wir haben alle Ziegel abgenommen und wieder drauf gelegt. Wenn man sich da so Fotos anguckt, denkt man schon: Wow, das haben wir alles gemacht?

Julia Wegener

Ich weiß noch, ich hatte mal so einen Moment, wo Ronny mir 'ne Flex in die Hand gedrückt und gesagt hat: Hier, flex jetzt mal das KG-Rohr durch. Ich stand erstmal da und dann hab ich's gemacht und hab' mich total gut gefühlt.

Katja Schlachte

Doch irgendwann lagen die Nerven blank. Axel Streit sagt, in der Bauzeit sei allen klar geworden, was sie sich auferlegt haben. Und immer noch auferlegen. Auch nach über zwei Jahren sind sie jeden Samstag und ganze Urlaube auf der Baustelle. Doch es wird. Das Pensum freilich haben sie anfangs so nicht erfassen können – zum Glück, sagen Katja Muschter und Uwe Mark:

Hätte man alles von vornherein gewusst, dann hätte man es nicht gemacht. Man wird wahnsinnig, wenn man versucht, alles zu erfassen. Es geht immer so Stück für Stück. Man macht, was gerade zu tun ist.

Katja Muschter und Uwe Mark

Stichwort: Mietshäuer Syndikat Sachsen ist im Verbund der Hausprojekte des Mietshäuser Syndikats gerade bundesweit richtig weit vorne dabei. Derzeit ist das Bundesland mit 23 realisierten oder in Realisierung befindlichen Projekten auf Platz Nummer 2 der Bundesländer. Mehr Projekte sind bislang nur in Baden-Württemberg entstanden (insgesamt 39 Projekte), wo die Idee dazu 1993 entstand.

Katja Muschter ist inzwischen auch mitverantwortlich für den einmal im Monat stattfindenden Beratungstermin in Dresden, wo Interessierte nachfragen können.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Nah dran | 28. Februar 2019 | 22:35 Uhr