Ein Hörsaal mit zwei Studenten
Ein ungewohntes Bild: Einen Hörsaal haben die Studenten seit vier Semestern nicht mehr von innen gesehen. Bildrechte: MDR/Anna Hönig

Studium Zwischen Abwasch und Algorithmen: So geht es Studenten in der Corona-Pandemie

11. Februar 2022, 13:11 Uhr

Seit fast vier Semestern absolvieren die Studentinnen und Studenten ihr Studium von zu Hause aus. In dieser Zeit hatten sie nicht nur mit technischen, sondern auch mit psychischen Problemen zu kämpfen. Besonders die stark eingeschränkte Freizeitgestaltung macht ihnen zu schaffen. Wie geht's den Erfurter Studenten aktuell?

Ein kalter Wind weht über den Campus der Uni Erfurt. "Am Eingang ist es immer windig", sagt Ricardo Kastner. Der 25-Jährige studiert Lehramt in Erfurt und kennt das Gelände durch seine Arbeit als "Campusspezialist" besonders gut. Neben ihm steht Kommilitonin Stella Hohenschläger, ebenfalls Lehramtsstudentin. Wir machen uns auf zum Lehrgebäude 1. Wie auch der Campus sind die Gänge im Haus wie leergefegt. Ricardo öffnet die Tür zu einem der Seminarräume. "Hier war ich schon ewig nicht mehr", sagt Stella. "Ich auch nicht", antwortet Ricardo. Die beiden setzen sich. Die vergangenen Semester waren eine Herausforderung. Beide Studenten haben aber zumindest einen Teil ihres Studiums vor Corona erlebt.

Studentenleben vor Corona

"Irgendwie schwelgen wir jetzt schon in Erinnerungen an diese Zeit, obwohl das Studium ja noch nicht vorbei ist", erzählt Ricardo. Die Zeit vor Corona: Für Ricardo bedeutete das Volleyballspielen beim Hochschulsport, gemeinsame Spieleabende, abends mit Freunden Fußball schauen und dazu ein Bier trinken oder in eine Kneipe gehen. "Eigentlich waren es so normale Dinge, die dann einfach weggebrochen sind", sagt er. Seine Kommilitonen sah er fast nur noch in den Videokonferenzen seiner Seminare und Vorlesungen. "Da hat es manchmal schon geholfen, wenn man nur die Namen in der Anwesenheitsliste gelesen hat und dachte: Mensch, ich bin ja hier doch nicht alleine", berichtet der Student. Er habe dann auch wieder mehr Zeit in der Heimat bei seiner Familie verbracht, das habe ihn aufgefangen.

Ein Hörsaal mit zwei Studenten
Ricardo Kastner (25) würde gerne mal wieder im Hörsaal einer Vorlesung lauschen. Der Raum auf dem Bild wurde während der Pandemie renoviert. Jetzt saß er zum ersten Mal dort. Bildrechte: MDR/Anna Hönig

Umzüge und die Liebe

"Ich war schon immer ein Heimat-Mensch", sagt Stella. Sie war zu Beginn ihres Studiums in eine WG nach Erfurt gezogen, verbrachte aber trotzdem viel Zeit zu Hause in Nordthüringen. Schließlich löste sich die WG auf, denn auch Stellas Mitbewohnerin sehnte sich nach zu Hause. "Dann war die Frage: Suche ich mir einen neuen Mitbewohner, bleibe ich alleine oder ziehe ich zurück?", erzählt Stella. Schnell war klar: Sie will wieder in die Heimat. "Dann bin ich zu meiner Mutter gezogen, das hat leider nicht geklappt. Dann bin ich zu meiner Oma, aber da waren die Generationenunterschiede einfach zu groß", sagt Stella. Jetzt wohnt sie in einer eigenen Wohnung. Genau zwischen Oma und Mutter. "Meine Oma kommt dann manchmal zum Frühstück vorbei", sagt sie und lächelt.

Meine Oma kommt dann manchmal zum Frühstück vorbei.

Stella Hohenschläger Studentin

Ricardo wohnte schon vor Corona alleine in einer Wohnung. Mittlerweile lebt er mit seiner Freundin Lena zusammen, sie studiert an der Fachhochschule in Erfurt. Die beiden haben sich während Corona über Social Media kennengelernt. "Ich würde schon sagen, dass Corona das Zusammenziehen beschleunigt hat", sagt Ricardo. Aber Freundin Lena sieht das anders: "Ich habe mir durch die Pandemie irgendwie genauer überlegt, mit wem ich meine Zeit verbringen möchte. Aber überstürzt war das nicht". Und auch Stella ist in ihrer 3-Zimmer-Wohnung nicht mehr alleine. "Ich habe online jemanden kennengelernt, er wohnt zwar nicht bei mir, aber wir sehen uns oft", sagt die 23-Jährige.

Eine Studentin auf dem Campus der Universität Erfurt
Stella Hohenschläger (23) ist eigentlich ganz zufrieden mit dem Online-Studium. Sie schätzt vor allem die Flexibilität. Bildrechte: MDR/Anna Hönig

Vor- und Nachteile des Online-Studiums

Aber ganz unabhängig von der Wohnsituation: Das Studium musste weitergehen. Zur Online-Lehre fällt Stella direkt ein großer Vorteil ein: Flexibilität. "Ich konnte meinen Haushalt super in den Alltag integrieren", erzählt Stella. Bei der Vorlesung zuhören und nebenbei Wäsche aufhängen oder erst den Abwasch machen, frühstücken und später die Präsentation durcharbeiten – das Homeoffice macht’s möglich. "Ich wünsche mir, dass ein Teil davon auch nach Corona bleibt", sagt die Studentin. Sie komme mit der Online-Lehre sehr gut zurecht.

Den ganzen Tag vorm Laptop, das haben meine Augen, mein Rücken und auch meine Psyche irgendwann nicht mehr mitgemacht.

Lena Kohlmann Studentin

Ricardo und Lena sehnen sich das Präsenzstudium etwas mehr zurück. "Man hat einfach seine Routine, dass man ins Seminar geht, Freunde trifft, in der Mensa zusammen Mittag isst", sagt Ricardo. "Den ganzen Tag vorm Laptop, das haben meine Augen, mein Rücken und auch meine Psyche irgendwann nicht mehr mitgemacht", erzählt Lena. "Ich bin sonst wie ein Flummi". Sie habe den ein oder anderen Tiefpunkt gehabt, an dem sie überlegte aufzugeben und eine Ausbildung anzufangen. Aber Ricardo habe sie immer wieder motiviert. "Er meinte immer, komm du schaffst das, gib nicht auf", erzählt sie. Jetzt überlegt sie sogar, noch einen Master dranzuhängen. Vorausgesetzt er findet in Präsenz statt. "Das wäre nochmal die Aussicht auf zwei schöne Jahre", sagt Lena. Bleibt alles digital, würde sie nach dem Bachelorabschluss aber lieber arbeiten gehen.

Eine Studentin auf dem Campus der Universität Erfurt
Lena Kohlmann (23) auf dem Campus der Fachhochschule Erfurt. Gerade mal ein Semester hat sie hier vebracht. Mittlerweile ist sie im 5.Semester. Bildrechte: MDR/Anna Hönig

Prüfungen mit Foto-Überwachung

Nicht nur das Lernen fand online statt, sondern auch die meisten Prüfungen. Die Uni Erfurt hat dafür eine extra Prüfungssoftware angeschafft. "Wiseflow" heißt sie und stammt vom dänischen Anbieter Uniwise. Über "Wiseflow" schreiben Ricardo, Stella und ihre Kommilitonen seit dem Sommersemester 2020 ihre Klausuren von zu Hause aus. Dabei werden sie über ihre Computerkamera überwacht. Prof. Dr. Gerd Mannhaupt ist Vizepräsident für Studienangelegenheiten an der Uni Erfurt und kennt sich mit der Software gut aus.

"Wiseflow schießt in unregelmäßigen Abständen Fotos von den Studenten und vergleicht diese mit einem Referenzfoto, das bei der ersten Nutzung von den Prüflingen gemacht wurde", erklärt er. Das Programm rechnet dann die Abweichung aus. Ist sie zu hoch, kann der Dozent eingreifen. In den Fotos sieht er dann, ob zum Beispiel ein Handy in der Hand gehalten wurde oder ob überhaupt noch der richtige Student vor dem PC sitzt.

Prof. Dr. Gerd Mannhaupt an seinem Arbeitsplatz in der Universität Erfurt
Prof. Dr. Gerd Mannhaupt an seinem Arbeitsplatz in der Uni. Von hier aus kann er die Studenten während der Prüfungen per Foto-Proctoring überwachen. Bildrechte: MDR/Anna Hönig

Online-Prüfungen nicht betrugssicher

Ganz betrugssicher ist das aber nicht, weiß auch Mannhaupt. "Die Täuschungsversuche werden schon mehr geworden sein", sagt er. Auf eine Video- oder gar Audioüberwachung möchte er aber trotzdem verzichten. "Auch da würden sich die Studierenden wieder was Neues einfallen lassen, um die Prüfungsordnung zu umgehen", vermutet der Dozent. "Gefühlt hab ich schon alle Varianten gehört", erzählt auch Ricardo. Aber die Dozenten wüssten das auch. "Sie sagen uns aber immer am Ende des Semesters, dass sie einfach das Vertrauen haben, dass wir nicht betrügen", sagt Ricardo.

Bessere Noten?

Und es klappt auch ohne Spickzettel: Ricardo, Stella und Lena sagen, dass sie seit dem Online-Studium alle bessere Noten haben. "Man beschäftigt sich einfach intensiver mit den Inhalten", findet Stella. Ein anderer Grund sei, dass vermehrt Hausarbeiten geschrieben würden, sagt Lena. "Da arbeitet man sich mal so richtig in ein Thema ein und lernt nicht nur alles auswendig", erklärt sie.

Leere Gänge in der Universität Erfurt
Leere Gänge in der Uni Erfurt. Studenten trifft man hier momentan nur vereinzelt an. Immerhin dürfen Veranstaltungen bis 50 Personen in Präsenz stattfindet. Bildrechte: MDR/Anna Hönig

Hoffnung liegt auf Sommersemester

Trotz besserer Noten und mehr Flexibilität: Die Studenten sehnen sich nach dem Campusleben. Und mal wieder lägen die Hoffnungen auf dem Sommersemester, sagt Gerd Mannhaupt. Zumindest ein paar Monate müssen sich die Studenten noch gedulden. "Es tat aber gut, dass man das alles mal so loswerden konnte", sagt Stella am Ende unseres Gesprächs. Und damit verlässt sie den Raum und den windigen Campus. Bis in ein paar Monaten, vielleicht.

MDR

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 09. Februar 2022 | 18:49 Uhr

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