
Neuer Projektträger Die neuen Erfurter Nachteulen - Wie läuft das Awareness-Projekt unter der Security-Firma?
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01. Mai 2025, 08:58 Uhr
Der Streit um die Vergabe des Erfurter Nachteulen-Projektes machte im Februar Schlagzeilen. Weil die Stadt das Awareness-Projekt an eine Security-Firma vergab und der bisherige Träger, ein Pädagogik-Dienstleister, ausgebootet wurde, gab es Protest. Der Vorwurf: Security und Awareness passten nicht zusammen. Ein Irrtum - wie ein Abend mit den neuen Erfurter Nachteulen zeigt.
Eine Wolkenfront verschluckt das Licht der abendlichen Sonne, als Franziska und Leon zu ihrer ersten Runde als Erfurter Nachteulen aufbrechen. Es ist Ostersonntag. In Erfurt tummeln sich einige tausend Menschen beim Altstadtfrühling auf dem Domplatz. Franziska und Leon bahnen sich ihren Weg durch die ausgelassene Menschenmenge.
"Unsere Hauptaufgabe ist es, zu schauen, dass niemand in Not gerät, es niemandem schlecht geht", erklärt Leon. Und so schauen sie immer wieder auch in die Nischen zwischen den Fressbuden und Fahrgeschäften, um niemanden zu übersehen. Tatsächlich entdecken sie bald eine junge Frau, die sich am Rand auf den Boden gesetzt hat.
"Hey geht es dir gut?", fragt Franziska und hockt sich eben sie. Die junge Frau ist überrascht und sagt, dass sie nur kurz ihre Füße ausruhe. "Ok. Ich bin von den Erfurter Nachteulen, hast du schon von uns gehört?" Die junge Frau schüttelt den Kopf. "Wir sind jedes Wochenende im Auftrag der Stadt unterwegs. Von 18 bis 0 Uhr schauen wir in Parks und auf Stadtfesten nach dem Rechten", erklärt Franziska und gibt der Frau noch einen Flyer.
Jeden Freitag und Samstag im Einsatz
"Wir machen auch Werbung für das Projekt, um die Nachteulen in der Stadt insgesamt bekannter zu machen", erklärt Leon. Denn das Awareness-Projekt ist noch relativ neu. 2024 ging es in die Pilotphase. In diesem Jahr läuft es erstmals regulär und wird von dem Erfurter Sicherheitsunternehmen "Guardian Force" umgesetzt. Ziel ist es, das Erfurter Nachtleben an den Wochenenden (in der Regel freitags und samstags) um ein leicht zugängliches Hilfs- und Sicherheitsangebot zu ergänzen und damit die Polizei zu entlasten.
So helfen die Nachteulen zum Beispiel betrunkenen oder verletzten Menschen, geleiten junge Frauen nachts sicher nach Hause, sind ansprechbar, wenn jemand Opfer diskriminierender oder sexualisierter Übergriffe geworden ist, und versuchen vor allem die Straßen, Parks und Plätze zu beruhigen. "Der Brühler Garten ist da natürlich ein Schwerpunkt, der Anger ist ein Schwerpunkt, die Meienbergstraße ist ein Schwerpunkt, den Petersberg schauen wir uns auch mit an“, zählt Florian Schlotzhauer auf. Er ist Prokurist bei "Guardian Force" und seit diesem Jahr Leiter des Nachteulenprojektes.
"Wir versuchen über eine niederschwellige Ansprache und ohne Belehrungen einen Zugang zu den Leuten finden." Meist klappe das gut, manchmal aber auch nicht. "Die Nachteulen sind keine Security und schon gar keine Polizei. Wir versuchen immer zu deeskalieren und ziehen uns sonst zurück", sagt Schlotzhauer.
Dafür sind an den Abenden immer drei Zweier-Teams in Erfurt unterwegs. Team Nord geht entlang der Gera-Aue zwischen dem kleinen Venedig und dem Nordpark. Das Team Mitte kümmert sich um die Altstadt samt Petersberg und Brühler Garten und Team Süd pendelt zwischen Bahnhof, Luisenpark und Löbervorstadt. Zudem gibt es eine "Obereule", die die Koordinierung der Teams via Funk übernimmt.
Die Nachteulen sind ein bunter Mix
Auf dem Altstadtfrühling hat es inzwischen zu nieseln begonnen. Leon und Franziska drehen Runde um Runde. Erst helfen sie einem verunsicherten Kind, seine Eltern wiederzufinden, dann rutscht ein stark angetrunkener Mann auf dem nassen Kopfsteinpflaster aus. Sie geben ihm etwas Wasser zu trinken und raten ihm, es den Abend etwas ruhiger angehen zu lassen.
Was auffällt: Leon und Franziska sind ein ungleiches Nachteulen-Paar. Er ist 24 Jahre alt, ein fast zwei Meter großer Schlacks mit etwas dunklerem Teint, der bei "Guardian Force" als Minijobber arbeitet. Franzi ist 32 Jahre alt, fast drei Köpfe kleiner, gepierct und arbeitet eigentlich bei der Postbank. Als Nachteule bessert sie ihre Reisekasse auf und findet die Abwechslung spannend. Beide wirken überhaupt nicht wie die klassischen Türsteher-Typen, mit denen man Security-Mitarbeiter normalerweise assoziiert.
"Wir haben die Teams aus unserem Personalbestand zusammengestellt. Das ist ein bunter Mix", erklärt Florian Schlotzhauer. "Da sind Leute aus 13 unterschiedlichen Nationen dabei, Queer-People, die Teams sind immer paritätisch besetzt. Außerdem haben wir Leute ausgesucht, die empathisch und kommunikativ sind." Damit unterscheiden sich die Teams von "Guardian Force" nur wenig von denen des Trägers im Vorjahr, des Erlebnis-Pädagogik-Dienstleisters "Feuer und Flamme".
Trägerwechsel sorgte für Unmut und Protest
Rückblick: Im Februar 2025 war bekannt geworden, dass das Nachteulenprojekt nach nur einem Jahr einen neuen Träger bekommt: "Guardian Force", eine thüringenweit bekannte Security-Firma. Rund 70 Menschen versammelten sich daraufhin auf dem Erfurter Fischmarkt, um zu protestieren. Die Pilotphase unter "Feuer und Flamme" sei erfolgreich gewesen, deswegen sollte das Team auch weitermachen dürfen - so die Argumentation der Protestierenden.
Verständlich. Schließlich hatte Erfurts Oberbürgermeister Andreas Horn (CDU) noch im November 2024 von der erfolgreichen Pilotphase des Nachteulen-Projekts geschwärmt und dafür medienwirksam mit dem Team von "Feuer und Flamme" für Pressefotos posiert. Dass statt dem Pädagogik-Dienstleister nun ein Sicherheitsunternehmen das Awareness-Projekt umsetzen soll, war für viele nicht zu begreifen.
So beklagte damals beispielweise die Ständige Kulturvertretung Erfurt in einem Brief an die Stadtverwaltung, dass "Guardian Force" ungeeignet für das Projekt wäre. Im Wortlaut heißt es hier: "Nachteulen sollen als niedrigschwellige, unterstützende und deeskalierende Instanz für Betroffene von Diskriminierung, Belästigung und Gewalt fungieren. Demgegenüber stehen beispielsweise die Leistungen einer Security-Firma. Sie verfolgt in erster Linie ordnungspolitische und sicherheitsrelevante Ziele, die oft mit Durchsetzung, Kontrolle und ggf. Repression verbunden sind."
Awareness war immer Teil von Security-Diensten
Ein Vorurteil, dem Schlotzhauer entschieden widerspricht: "Das Thema Awareness ist schon seit 25 Jahren unser Thema. Das hieß früher nur nicht Awareness. Wir haben schon immer ein Auge auf die gehabt, die Hilfe brauchen. Wer wird denn auf Veranstaltungen angesprochen, wenn es jemanden nicht gut geht? Die Sicherheit", argumentiert er.
Sicherheitsdienste stünden immer unter Verdacht restriktiv und brutal zur Sache zu gehen, sagt Schlotzhauer. "Doch das ist in den allerwenigsten Aufträgen, die wir erhalten, der Fall. Wir arbeiten immer dafür, dass es gar nicht erst dazu kommt." Leider gebe in der Branche zu viele schwarze Schafe, klagt er.
Bei "Guardian Force" arbeiteten hingegen gut ausgebildete Sicherheitsleute, die alle eine IHK-Prüfung absolviert hätten und vom Verfassungsschutz geprüft seien. Ferner gebe es Fortbildungen wie Deeskalationsschulungen, Kommunikationstraining und vieles mehr. "All das hat mit Awareness zu tun und natürlich können wir das prima für die Nachteulen nutzen", so Schlotzhauer.
Kunden loben Awarness-Arbeit von "Guardian Force"
Um der Kritik des Fischmarktprotestes an "Guardian Force" nachzugehen, hat MDR THÜRINGEN im Vorfeld zum Besuch der neuen Nachteulen mehrere Anfragen an Veranstalter geschickt, für die das Sicherheitsunternehmen in den vergangenen Jahren tätig war. Das Feedback von städtischen wie von unternehmerischen Kunden fiel dabei durchweg positiv aus. Viele hoben die Zuverlässigkeit und vertrauensvolle Zusammenarbeit hervor. Negative Vorkommnisse? Fehlanzeige.
Die Erfurter Diskothek "Musikpark" erklärte sogar: "Awareness war ein zentraler Aspekt unserer gemeinsamen Arbeit. Besonders hervorzuheben ist, dass Guardian Force diesen Ansatz bereits frühzeitig und ganz selbstverständlich in ihre Tätigkeit integriert hat - noch bevor 'Awareness' gesellschaftlich breiter diskutiert wurde". Für den Musikpark arbeitete Guardian Force 25 Jahre lang. Seit diesem Jahr gehen beide Firmen getrennte Wege, was ausschließlich wirtschaftliche Gründe habe, heißt es vom "Musikpark".
Die Kritiker vom Februar-Protest sind hingegen verstummt. Auf Nachfrage von MDR THÜRINGEN wollte sich die Ständige Kulturvertretung nicht zum Thema äußern. Eine Sprecherin teile nur mit, dass man die Arbeit von Guardian Force als Nachteulen nicht beobachte und daher nicht bewerten könne. Auch der bisherige Projektträger "Feuer und Flamme" wollte sich nicht erneut äußern.
Guardian Force war für die Stadt wesentlich billiger
Ein weiterer Hauptkritikpunkt im Februar war zudem die wenig transparente Vergabe-Praxis. Weil "Feuer und Flamme" zunächst Widerspruch gegen die Vergabe an "Guardian Force" eingelegt hatte, schwieg sich die Stadt zu den Vorwürfen zunächst aus. Da das Verfahren inzwischen abgeschlossen ist und das Landesvergabeamt die Rechtmäßigkeit bestätigte, hat sich das nun geändert.
"Es gibt hier emotionale und objektive Aspekte. 'Feuer und Flamme', die Initiatoren des Projektes haben das sehr kompetent umgesetzt", betont die Erfurter Sicherheitsdezernentin Heike Langguth. Allerdings gebe es rein objektiv bei der Vergabe von städtischen Projekten Richtlinien, nach denen die Verwaltung verfahren muss.
Kai Weiße, der zuständige Referent im Sicherheitsdezernat präzisiert: "Beide Bieter haben sich im Verfahren als geeignet herausgestellt. Beide haben für die Leistungserbringung ein Angebot abgegeben und wir haben uns dann - dazu ist die Verwaltung verpflichtet - für das günstige Angebot entschieden." Wie viel Geld die Stadt mit "Guardian Force" gespart hat, darf Weiße nicht mitteilen.
Nach Informationen von MDR THÜRINGEN soll es sich dabei aber um eine mittlere fünfstellige Summe handeln - was angesichts einer jährlichen Projektsumme von insgesamt 210.000 Euro eine beträchtliche Differenz darstellt.
"Das heißt nicht, dass die einen das besser machen als die anderen“, sagt Langguth. Um das zu beurteilen, sei es auch noch viel zu zeitig. Am Ende des Jahres werde die Arbeit von "Guardian Force" evaluiert. Sollte das Nachteulen-Projekt dann im nächsten Jahr weiterlaufen (die Entscheidung darüber fällt mit dem Haushalt), hätten beide Bewerber erneut die Chance den Zuschlag zu bekommen.
Weiße ergänzt: "Sollten wir aber ein Doppelhaushalt bekommen, wonach es derzeit aussieht, würde das Projekt dann gleich zwei Jahre lang ausgeschrieben werden." Dann würde, aufgrund des Auftragsvolumens das europäische Vergaberecht greifen. Die Folge könnte sein, dass das Nachteulen-Projekt dann sogar nicht mal mehr von einer Thüringer Firma umgesetzt werden würde.
Bei Wind und Wetter
Aber das ist Zukunftsmusik. Die Musik auf dem Altstadtfrühling ist inzwischen nur noch dumpf im ringsum rauschenden Regen zu hören. Bindfäden fallen vom Himmel und viele Besucher haben längst vor dem Wetter kapituliert.
Franziska und Leon sind noch unterwegs. Sie haben sich nur kurz ins Trockene gerettet. Da kommt ein Funkspruch: Ein Gewitter ziehe auf. Die Fahrgeschäfte stellten den Betrieb ein. "Schaut, dass sich niemand bei dem Wetter in Gefahr bringt und jeder einen sicheren Unterstand findet", heißt es aus dem Walk-Talki.
MDR (ask)
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