Pfarrer Johannes Richter (Militärseelsorger) bei der Arbeit in der Henne-Kaserne in Erfurt
Beim Friedensgebet in der Kaserne verzichtet der Pfarrer auf seinen Talar. Bildrechte: MDR/Grit Hasselmann

Bundeswehr "Militärseelsorger gehören einfach zum Alltag der Truppe"

28. April 2022, 05:00 Uhr

Johannes Richter ist evangelischer Militärseelsorger in Erfurt. Er findet, das ist der spannendste Job, den er je hatte, obwohl ihm Corona den Start ganz schön schwergemacht hat. Derzeit bereitet er sich auf seinen ersten Auslandseinsatz vor.

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Der Regen hat gerade rechtzeitig aufgehört, so dass Militärpfarrer Johannes Richter sein Friedensgebet vorbereiten kann. Das große Holzkreuz steht immer im Hof der Kaserne, aus einem Klapptisch entsteht mit ein paar Handgriffen ein Altar.

Das Zubehör und die Gesangbücher sind in praktischen Koffern verstaut, so kann der Seelsorger alles mitnehmen, wenn es zu Übungen oder Rüstzeiten geht. Wie viele Soldaten kommen werden, weiß er allerdings nicht - alle seine Angebote sind freiwillig.

Seit 2019 ist Johannes Richter Militärpfarrer in Erfurt, eine Dienstzeit dauert sechs Jahre, danach kann sie noch einmal um sechs Jahre verlängert werden. Vom ersten Tag an faszinierte ihn die Vielfalt der Aufgaben. "Man ist bei allem dabei, richtig mittendrin, das ist etwas Anderes, als wenn nach dem Gottesdienst alle nach Hause gehen", erzählt der Pfarrer.

Dass er seinen Dienst genau in der Corona-Zeit begonnen hat, hat ihm das Ankommen hier in der Kaserne natürlich erschwert: "Viele Veranstaltungen konnten nicht stattfinden, in meinem Büro reden wir durch eine Glasscheibe - da kommt man sich langsamer näher als ich mir das gewünscht hätte."

Breites Aufgabenfeld

Welcher Religion die Soldaten angehören, weiß Richter nicht. Er ist für alle da. Offen für Gespräche, die sich zum großen Teil um persönliche Probleme drehen, die sich aus Konflikten zwischen dem Beruf der Soldaten und der Familie ergeben. Einen großen Teil seiner Arbeit macht aber auch der so genannte "lebenskundliche Unterricht" aus, in dem über völlig verschiedene Themen geredet wird - religiöse, moralische und ethische.

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Spannend ist für ihn, dass er hier sehr viel selbst gestalten kann. Das beginnt damit, dass er Gottesdienste und Andachten den Dienstzeiten in der Kaserne anpasst. Wenn er zu seinem "Bibelfrühstück" einlädt, sind die Plätze immer schnell ausgebucht, die Soldatinnen und Soldaten sprechen dann auch Dinge an, die sie sich von ihm wünschen, egal, ob es um Sorgen vor einem Auslandseinsatz geht oder Stress mit dem Vorgesetzten. Johannes Richter kann auch taufen und wird im Sommer sogar eine Trauung vornehmen.

Die Bergpredigt Jesu ist schon ein klares Votum für den Frieden. Krieg darf nach Gottes Willen nicht sein. 

Militärseelsorger Johannes Richter

Johannes Richter stellt immer wieder fest, dass die Soldaten sich vor allem über die Auslandseinsätze viele Gedanken machen, erst recht jetzt vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges. "Natürlich ist das ein schwieriges Thema, aber die Soldaten sind da sehr reflektiert. Sie wollen etwas für ihr Land tun, auch wenn ihnen die Gefahr deutlich bewusst ist", erzählt er.

Auslandseinsätze als Christ - ein schwieriges Thema

Auch Richter musste unterschreiben, dass er bereit ist, an Auslandseinsätzen teilzunehmen. Sein erster ist jetzt geplant, im Herbst geht er in den Kosovo. Derzeit steckt Richter mitten in den Vorbereitungen: "Ich freue mich schon darauf, in der Zusammenarbeit mit den Soldaten ergibt sich dort eine völlig neue Intensität. Aber je näher der Termin rückt, desto mehr Ängste zeigen sich auch."

Fakten und Zahlen zur Militärseelsorge und Auslandseinsätzen

  • Es gibt derzeit 180 Militärseelsorgerinnen und -seelsorger in der Bundeswehr. Davon sind 27 weiblich und 153 männlich.
  • Durch diese 180 Militärseelsorgerinnen und -seelsorger werden die Konfessionen Evangelisch, Römisch-Katholisch und Jüdisch vertreten. Gemäß der vertraglichen Grundlagen stehen alle Militärseelsorgerinnen und Militärseelsorger allen Soldatinnen und Soldaten - auch denjenigen ohne Glaubensbekenntnis - für Gespräche offen.
  • Mit Stand 17. März 2022 befinden sich 2.942 Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz. Davon aus Thüringen: 26 Soldatinnen und Soldaten (Wohnort und/oder Dienststelle in Thüringen)
  • Insgesamt waren bisher 479.112 Soldatinnen und Soldaten aus Deutschland im Auslandseinsatz. Davon aus Thüringen: 12.373 Soldatinnen und Soldaten (Wohnort und/oder Dienststelle in Thüringen)
  • Bisher sind insgesamt sind 114 Soldatinnen und Soldaten in Auslandseinsätzen verstorben. Davon waren neun Soldatinnen/Soldaten wohnhaft oder stationiert in Thüringen.
  • Im Jahr 2021 wurden für das Personal 30,8 Mio €, für Material (Fuhrpark, Geschäftsbedarf usw.) 2.3 Mio € und für seelsorgerische Dienste 710.000 € im Rahmen der Militärseelsorge ausgegeben
  • Quelle: Bundesministerium der Verteidigung

Als Christ ist ihm natürlich klar, dass er auf einem schmalen Grat bewegt: "Die Bergpredigt Jesu ist schon ein klares Votum für den Frieden. Krieg darf nach Gottes Willen nicht sein. Auf der anderen Seite - wenn ich Unrecht sehe und einfach nur zuschaue, mache ich mich doch auch schuldig. Und deshalb kann es in extremen Situationen notwendig sein, Gewalt anzuwenden, um das Recht, um den Frieden zu verteidigen."

Auch Frauen als Seelsorgerin im Ausland

Diese Meinung teilt auch Richters Kollegin Barbara Reichert. Sie ist Militärpfarrerin in Bad Salzungen, anders als Richter war sie aber schon mehrfach in Auslandseinsätzen dabei.

Reichert war als junge Frau in der Friedensbewegung aktiv und wird oft auf den Widerspruch zwischen Christentum und Militär angesprochen: "Aber wir sind ja keine Angriffsarmee, wir sind eine Verteidigungsarmee, eine Parlamentsarmee noch dazu. Wir töten wirklich nur, wenn wir einen Auftrag dazu haben, und jeder im Land, der diese Regierung gewählt hat, tötet dann mit."

Aus ihrer Sicht darf sie gerade als Pfarrerin die Soldaten und Soldatinnen dort nicht allein lassen. Sterben, Tod, Verwundungen - nicht jeder kann, trotz guter Vorbereitung, damit klarkommen. "Wenn die Patrouille in Afghanistan dann abends zurückkam und die hatten den ganzen Tag Opfer geborgen, da musste doch jemand da sein, mit dem sie reden können".

Seelsorge ist immer ganz nah dran

Gut findet Reichert, dass sie im Gegensatz zur Psychologie mitten in der Einheit arbeitet. Aufsuchende und nachgehende Seelsorge nennt sie das. Und wenn sie das Gefühl hat, jemand braucht mehr als das, kann sie direkt zum Kommandeur gehen und ihm den Soldaten ans Herz legen.

Wenn sie merkt, dass es jemandem richtig schlecht geht, spricht sie auch mit der Familie, denn die muss am Ende ja auch unter dem Trauma des Soldaten leiden. Oder, wie es in der Bibel heißt: "Die Väter haben saure Trauben gegessen und den Kindern ist der Mund stumpf geworden", sagt die Pfarrerin.

Menschenbild im Militär ändert sich

Beide Militärseelsorger beobachten, dass es deutliche Veränderungen im Miteinander in der Bundeswehr gibt. Immer mehr Soldatinnen und Soldaten reden inzwischen über ihre Probleme. Und zwar, völlig unabhängig von ihrer eigenen Religiosität, auch mit den Militär-Pfarrern. "Die Zahl derer, die zweimal ins Kopfkissen schreien und dann alles mit sich selber ausmachen, nimmt zum Glück ab", sagt Barbara Reichert.

Seelsorge in der Bundeswehr

Die Militärseelsorge hat als Form der Seelsorge an Menschen in besonderen Situationen eine lange Tradition. Am 27. Februar 1957 wurde zwischen der Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) der Militärseelsorgevertrag unterzeichnet. Er ist nach der Vereinigung von den evangelischen Landeskirchen in den neuen Bundesländern zunächst nicht übernommen worden. Umstritten war vor allem, dass die Soldatenseelsorger auf Zeit als Beamte in den Staatsdienst wechseln. Zudem ist eine staatliche Beeinflussung des "Lebenskundlichen Unterrichts" vermutet worden, den die römisch-katholische und die evangelische Kirche in ökumenischer Gemeinschaft verantworten.

Anders als in anderen Ländern, haben Pfarrer als Militärgeistliche in Deutschland den Status von Zivilisten, unterliegen keinen Anweisungen der Bundeswehr und müssen auch nicht - wie etwa in Finnland - eine militärische Grundausbildung durchlaufen. Die Synode der EKD beschloss 2002 eine Änderung des "Kirchengesetzes zur Regelung der evangelischen Militärseelsorge in der Bundesrepublik Deutschland", der auch die ostdeutschen Landeskirchen zugestimmt haben und somit dem Militärseelsorgevertrag beigetreten sind.

Das Gesetz trägt jetzt die Überschrift: "Kirchengesetz zur Regelung der evangelischen Seelsorge in der Bundeswehr". Es erlaubt, dass die evangelischen Seelsorger in der Bundeswehr in den neuen Bundesländern Beamte im kirchlichen Dienst bleiben. Die Kosten der Militärseelsorge, die von einem Militärbischof nebenamtlich geleitet wird, werden in der Hauptsache durch den Staat getragen. Der besondere finanzielle Beitrag der evangelischen Kirche ist insbesondere auf die Betreuung und Begleitung ausgerichtet und beträgt rund 10 Millionen Euro im Jahr.

Und noch etwas fällt auf: Beim Militär verschwimmen die Grenzen zwischen den Religionen mehr als im Zivilen. Evangelische und katholische Seelsorger arbeiten oft eng zusammen. Und auch Atheisten können mit den Pfarrern im Notfall besser sprechen als mit dem Kommandeur. Barbara Reichert: "Ich sag immer zu denen, ein Mond spiegelt sich in vielen Wassern. Am Ende ist es doch der gleiche Gott."

MDR

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Augenblick mal | 24. April 2022 | 06:20 Uhr

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