"Hilfe für Helfer in Not" aus Magdeburg Seelsorge im Krisenfall: Wer hilft denen, die helfen?

21. Juli 2021, 19:30 Uhr

Rettungskräfte, Polizei und Feuerwehr müssen bei Einsätzen einfach funktionieren. Das zeigt derzeit die Flutkatastrophe im Westen Deutschlands. Doch bei ihren Einsätzen müssen auch die Rettungskräfte viel Leid verarbeiten. Ein Verein aus Magdeburg hilft ihnen dabei. Seinen ersten großen Einsatz hatte er bei der Flut 2013 in Sachsen-Anhalt.

Eine Viertelstunde vor dem Termin klingelt das Telefon. Der Anrufer: Stefan Perlbach. Er muss das Interview mit MDR SACHSEN-ANHALT verschieben. Eine Straßenbahn ist mit einem Auto kollidiert. Er wird gebraucht. "Zum Glück", sagt der 58-Jährige zwei Stunden später, "nur ein Blechschaden. Das lief relativ glimpflich ab."

Perlbach hat noch seine rote Weste an, als er in der Geschäftsstelle des Vereins in Magdeburg sitzt, den er vor neun Jahren gegründet hat. Die Mitglieder von "Hilfe für Helfer in Not" haben es sich zur Berufung gemacht, anderen zu helfen: Einsatzkräften von Polizei, Feuerwehr oder Rettungsdiensten, aber beispielsweise auch Zeugen bei Unfällen oder Angehörigen von Unfallopfern.

"Wir machen das für die Menschen hier, die sehr viel Leid erleben müssen", sagt Stefan Perlbach. "Wir stehen ihnen in Krisensituationen bei, nach Schicksalsschlägen jeglicher Art, damit sie einen Weg finden, um mit der Tragik der Situation besser umzugehen."

Flutkatastrophe: "Dann werden wir runterfahren und helfen"

Psychosoziale Notfallversorgung heißt das, was Perlbach und die anderen Mitglieder des Kriseninterventionsdienstes (KID) Magdeburg leisten. Sie betreuen Einsatzkräfte nach belastenden Ereignissen, sie begleiten die Polizei bei der Überbringung von Todesnachrichten, sie betreuen Angehörige nach Todesfällen oder Zeugen nach Unfällen und vieles mehr.

Ehrenamtlich, immer in Bereitschaft. 50 Mitglieder zählen zum Verein, zwölf gehören derzeit zum Einsatzteam. "Hilfe für Helfer in Not" finanziert sich einzig aus Mitgliedsbeiträgen und aus Spenden und arbeitet eng mit der Notfallseelsorge zusammen.

Das Anliegen des Vereins ist angesichts der Flutkatstrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz aktueller denn je. Perlbach sagt: "Wir haben ein deutschlandweites Netzwerk und was Polizisten oder Feuerwehrmitarbeiter, die dort im Einsatz waren, mir geschildert haben, ist haarsträubend. Das ist dann nochmal etwas anderes, als wenn man es im Fernsehen oder auf Social Media sieht. So stellt man sich Krieg vor. Als wäre eine Bombe eingeschlagen und dann steht da nichts mehr."

Hochwasser an der Elbe in Magdeburg (Sachsen Anhalt) 1 min
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Unzählige Menschen haben ihr Zuhause verloren, einige sogar Angehörige. Einsatzkräfte arbeiten rund um die Uhr. Eine Ausnahmesituation. "Wir haben hier 2013 in Magdeburg und der Region ja ähnliches erlebt mit dem Hochwasser", sagt Stefan Perlbach, dessen Verein damals auch im Einsatz war und unter anderem Geld für betroffenen Helfer bei einer groß angelegten Spendenaktion sammelte, "aber das war zum Glück nicht solch eine Dimension wie jetzt dort."

Perlbach gehört zum Katastrophenschutzstab der Landeshauptstadt Magdeburg. Er weiß: "In solchen Situationen möchte jeder gerne sofort helfen. Aber da gibt es klare Regelungen. Einfach blindlinks loszurennen, bringt nichts." Das gelte für Bürger und Bürgerinnen, aber auch für Kriseninterventionsdienste oder andere Organisationen.

Sollte eine Anforderung aus den betroffenen Regionen kommen, werden wir da runterfahren und helfen. Da gibt es gar keine Diskussion.

Stefan Perlbach, Vorsitzender des Vereins "Hilfe für Helfer in Not", zur aktuellen Flutkatastrophe

"Sollte eine Anforderung aus den betroffenen Regionen kommen, werden wir da runterfahren und helfen. Da gibt es gar keine Diskussion. Dann stehen wir unseren Mann und unsere Frau", sagt Perlbach und blickt aus Erfahrung bereits voraus: "Auch jetzt ist das Leid dort schon groß, aber noch sind die Leute abgelenkt. Wenn die Arbeit vorbei ist, die Wohnungen leergeräumt, die Straßen beräumt sind, dann wird die Zeit kommen, darüber nachzudenken, wie es weitergeht. Kann ich meine Existenz wieder aufbauen? Muss ich mein Haus abreißen?"

Das alles komme erst nach Wochen, "wenn nicht sogar Monaten", sagt Perlbach. "Da ist es wichtig, dass die Menschen dort nicht alleine sind, dass man ihnen beisteht in dieser Situation."

Wann kommt der Kriseninterventionsdienst zum Einsatz?

Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Kriseninterventionsdienstes (KID) kommen in Fällen von außergewöhnlich belastenden Ereignissen zum Einsatz. Zum Beispiel bei Unfällen, Gewalt, Katastrophen oder Todesfällen. Der Verein "Hilfe für Helfer in Not" leistet im Auftrag der Stadt Magdeburg psychosozile Akuthilfe.

Die Mitglieder des KID-Teams sind speziell dafür ausgebildete psychosoziale Fachkräfte. "Unser jüngstes Mitglied ist 23 Jahre alt, unser ältestes 64", sagt Stefan Perlbach, der Vorsitzende des Vereins. Alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen arbeiten ehrenamtlich.

Die Helfer werden von Polizei, Feuerwehr oder dem Rettungsdienst angefordert und wechseln sich im Bereitschaftsdienst monatlich mit der Notfallseelsorge Magdeburg ab. Außerdem betreut der KID ganzjährig die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Magdeburger Verkehrsbetriebe nach belastenden Ereignissen während ihrer Arbeitszeit.

Hilfe für Helfer kein Tabuthema mehr

Menschen in Krisensituationen beistehen, das müssen Perlbach und die anderen Mitglieder des KID-Teams immer häufiger. 167 Einsätze gab es im vergangenen Jahr trotz der Corona-Pandemie, "wodurch die Zahl der Badeunfälle und Verkehrsunfälle schon deutlich gesunken ist", wie der Vorstandsvorsitzende Perlbach erzählt. 2019 waren es 90 Einsätze gewesen.

Hilfe für Helfer – das ist kein Tabuthema mehr. "Da hat der Maurer ein Loch gelassen", sagt Perlbach und zeigt zur Tür. "Wenn du das nicht abkannst, dann bitte, geh." Solche Sprüche habe es früher gegeben. "Das war ein ungeschriebenes Gesetz." Bloß keine Schwäche zeigen. Aber: "Das hat sich gewandelt. Die Einsatzkräfte nehmen unser Angebot danken an. Manche mehr, manche weniger. Aber dass man das dogmatisch ablehnt, das gibt es nicht mehr."

Perlbach arbeitet selbst seit 34 Jahren als Polizist. Und er sagt: "Es gibt heutzutage mehr Elend als früher. Die bösen Sachen passieren jetzt häufiger." Also gibt es auch mehr, was Rettungskräfte verarbeiten müssen.

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Einsätze, die unvergessen bleiben

Einsätze, die ihm besonders im Gedächtnis geblieben sind? "Jeder Fall ist anders", sagt Perlbach. "Es gibt keine leichten oder schweren Fälle, sondern immer wieder neue Herausforderungen." Und dann blickt er doch auf einige zurück: verunglückte Grundschüler in einem Schaubergwerk oder ein von einer Straßenbahn überrollter Mann mit zahlreichen Augenzeugen.

Außerdem immer wieder Todesfälle im häuslichen Bereich, viele Verkehrsunfälle. "Wir haben schon einiges mitgemacht", sagt Stefan Perlbach. Und: "Man darf auch persönlich ergriffen sein, aber man muss eine gewisse Distanz zu dem Geschehen haben – gerade, wenn Kinder beteiligt sind, ist das aber schwierig."

So wie im vergangenen Jahr. Ein Zweijähriger war auf einem Kita-Ausflug verschwunden und später leblos im Neustädter See in Magdeburg gefunden worden. Die Mitglieder von "Hilfe für Helfer in Not" standen am Tag des Unglücks allen Beteiligten bei: den Erzieherinnen, den Eltern des Jungen, den Rettungskräften. Außerdem halfen sie mehrere Tage danach noch in der Kindertagesstätte.

"Wir haben dort viele Gespräche geführt und einfach zugehört", sagt Perlbach zur Arbeit am Neustädter See. Und: "Die Menschen dort haben das nach dieser Tragödie auch gebraucht."

Das Erlebte hängt im Schrank

Rettungskräfte müssen oft einfach funktionieren. Gerade auch in Krisensituation oder im Katastrophenfall wie der Flut. Doch: "Auch, wenn es immer heißt, dass Polizisten oder Rettungsdienstmitarbeiter oder Feuerwehrleute harte Hunde sind – nein, das sind auch alles nur Menschen", sagt Stefan Perlbach.

Und deshalb sei die Hilfe für diejenigen, die helfen, auch so wichtig. "Mit Entlastungsgesprächen können wir so gegensteuern, dass sich bestimmte Folgen von solchen Tragödien nicht manifestieren, dass die Helfer keinen psychischen Schaden erleiden", sagt Perlbach. "Wir wollen mit allen Mitteln verhindern, dass sie dienstunfähig werden."

Auch der härteste hat einen weichen Kern. Bei dem ein oder anderen dauert es etwas länger, bis es zum Vorschein kommt. Aber solche Erlebnisse, gerade mit Kindern, lassen keinen kalt.

Stefan Perlbach, Vorsitzender des Vereins "Hilfe für Helfer in Not", über Einsatzkräfte

Gleiches gelte im Übrigen auch für die Ehrenamtlichen von "Hilfe für Helfer in Not". Denn: "Wir wollen nicht, dass die Leute hier so traumatisiert von den Einsätzen kommen, dass sie selber nicht mehr arbeiten können", so Perlbach. "Deshalb sprechen wir regelmäßig über die Fälle. Außerdem besteht immer die Möglichkeit der Supervision."

Was bedeutet Supervision?

In der Supervision können beim Kriseninterventionsdienst noch einmal Fälle, oft besonders belastende, nachbesprochen werden. Den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen stehen dort ausgebildete Psychologen zur Verfügung. Bislang geschah diese Supervision beim Verein "Hilfe für Helfer in Not" in der Gruppe. "Zum Glück brauchte noch niemand eine Einzel-Supervision", sagt Stefan Perlbach, der Vorsitzende des Vereins.

Ihm selbst helfe noch immer ein Erlebnis aus seiner Anfangszeit bei der Polizei. Sein Vorgesetzter habe ihm damals gesagt: "Das ist deine Uniform. Wenn du Feierabend hast, ziehst du das Ding aus und alles, was du an diesem Tag im Dienst erlebt hast, hängst du mit in den Schrank."

Stefan Perlbach sagt: "Das habe ich mir sehr zu Herzen genommen und seitdem auch versucht, so umzusetzen." Und das funktioniere bis heute – zumindest meistens.

Über den Autor Daniel George wurde 1992 in Magdeburg geboren. Nach dem Studium Journalistik und Medienmanagement zog es ihn erst nach Dessau und später nach Halle. Dort arbeitete er für die Mitteldeutsche Zeitung.

Vom Internet und den neuen Möglichkeiten darin ist er fasziniert. Deshalb zog es ihn im April 2017 zurück in seine Heimatstadt. Bei MDR SACHSEN-ANHALT arbeitet er seitdem als Sport-, Social-Media- und Politik-Redakteur, immer auf der Suche nach guten Geschichten, immer im Austausch mit unseren Nutzern.

MDR/Daniel George

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 20. Juli 2021 | 19:00 Uhr

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