Angermuseum & Kunsthalle Warum der Direktor der Erfurter Kunstmuseen sein Amt aufgibt
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28. Dezember 2024, 04:00 Uhr
Kai Uwe Schierz zählt seit 20 Jahren zu den prägenden Köpfen der Erfurter Kulturszene: Erst war er Leiter der Kunsthalle und seit 2011 ist er Direktor aller Kunstmuseen in Thüringens Landeshauptstadt. Doch nun gibt er sein Amt auf. Rund fünf Jahre vor dem Renteneintritt fängt er im Januar als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Kulturdirektion von Erfurt an, nimmt also eine Stelle mit weniger Gehalt und auch weniger Einfluss an. Hier erläutert er seine Gründe für diesen Schritt.
- Wegen Einsparungen wurde es immer mehr Arbeit für den Direktor der Erfurter Kunstmuseen – jetzt zieht er die Reißleine.
- Letztes Herzensprojekt: Die große Friedrich-Nerly-Ausstellung ermöglichte Kai Uwe Schierz mit Fördermitteln und Spenden.
- Die Situation der Erfurter Museen ist schwierig: Auch der Direktor der Geschichtsmuseen hat gekündigt.
Es ist zehn Minuten nach der vereinbarten Zeit, als Kai Uwe Schierz in den Besprechungsraum des Erfurter Angermuseums stürmt. Etwas zu spät, wie so oft. Atemlos entschuldigt er sich, setzt sich und versucht, zur Ruhe zu kommen. Für jemanden wie ihn ist das gar nicht so leicht. Fast 30 Jahre lang war Schierz in den Kunstmuseen der Stadt tätig, zunächst ab 1996 als künstlerischer Leiter der Kunsthalle, wenig später als Direktor der Kunsthalle. 2011 wurde er Direktor aller Kunstmuseen und war damit auch für Angermuseum, die Galerie Waidspeicher und das Schlossmuseum Molsdorf zuständig.
Ständige Arbeitsverdichtung durch Sparzwang
Er habe über die Jahre immer mehr Arbeit aufgesogen, resümiert er nun. Bis es irgendwann einfach zu viel gewesen sei: "Als ich in der Kunsthalle aufgestiegen bin, wurde meine alte Position nicht nachbesetzt, ich musste also beides ausfüllen. Und beim nächsten Aufstieg war es genauso, als ich Direktor der Kunstmuseen wurde, gab es gleichzeitig keine Einzelleitung der Kunsthalle mehr."
So wurde Schierz einer, der den Sparzwang in der kommunalen Kulturpolitik am eigenen Leib erfuhr – die Arbeitsverdichtung führte zu einem Leben in Hast, von Termin zu Termin, Frist zu Frist. Bis eine Erschöpfungsdepression dem ein Ende setzte. "Das ist etwas, was ich mir nicht hätte träumen lassen", bilanziert Schierz heute: "Aber wenn man älter wird, merkt man plötzlich, dass man nicht mehr so dynamisch ist." Man könne nicht mehr Abende durcharbeiten, um noch rechtzeitig alles zu schaffen.
Friedrich-Nerly-Ausstellung letztes großes Herzensprojekt
Also hat Schierz die Reißleine gezogen. Dies sind seine letzten Tage als Direktor, ab Januar widmet er sich in der Kulturdirektion einem Forschungsprojekt. Von Wehmut ist nichts zu spüren, als wir durch die opulente Friedrich-Nerly-Ausstellung im Angermuseum laufen. Sie ist sein letztes Herzensprojekt, mit dem er dem Sohn der Stadt endlich die große Bühne geboten hat. Die Schau hat ihn gehörig Kraft gekostet, vor allem, weil die Stadt Erfurt sie nie allein hätte finanzieren können: "Viele Menschen hier in der Verwaltung, aber auch im Museum haben gesagt: Das ist ja überhaupt nicht zu schaffen, das könnt ihr nicht machen. Aber wir haben es doch angefangen. Und wir haben die Mittel dafür bekommen."
Für die Nerly-Ausstellung hat Schierz Fördermittel von der Ernst von Siemens Kunststiftung, der Kulturstiftung der Länder und vielen weiteren Geldgebern erhalten. Er ist in den vergangenen Jahren gezwungenermaßen zum Profi im Einwerben von Fördermitteln und privaten Spenden geworden. Nur so war es möglich, trotz der knapp bemessenen kommunalen Mittel größere Projekte zu stemmen, wie etwa eine Schau zu den "Bauhausmädels" 2019.
Wir müssen als mittelgroße Einrichtungen natürlich unter ganz anderen Bedingungen arbeiten als die großen Häuser.
Schmerzhaft für ihn ist, dass es trotz dieser Erfolge immer wieder auch Kritik in der Stadtgesellschaft gegeben habe – wieso man denn nicht so aufsehenerregende Ausstellungen präsentieren könne wie etwa das Städel Museum in Frankfurt: "Dieser Erwartungshaltung bin ich immer wieder begegnet, und sie ärgert mich sehr. Denn wir müssen als mittelgroße Einrichtungen natürlich unter ganz anderen Bedingungen arbeiten als die großen Häuser. Solche Vergleiche sind also geradezu absurd."
Schwierige Situation der Erfurter Museen
Es waren schwierige Voraussetzungen in Erfurt – und Schierz hat das Beste daraus gemacht. Besonders gern erinnert er sich an Ausstellungsprojekte zurück, durch die sich ein bestimmtes Thema zog, wie etwa eine Meister-Eckhart-Schau 2003, oder eine Schau zum Mythos Rom im Jahr 2011. Auch auf den Ausbau der Kunsthalle und ihre Positionierung als Ort für zeitgenössische Fotografie ist Schierz stolz. Gegen Pläne der Stadt, die Halle auch für andere Zwecke zu nutzen, hat er sich immer wieder gewehrt.
Nun verabschiedet Schierz sich und reißt eine große Lücke in die Erfurter Museumslandschaft. Denn auch der Chefposten bei den Geschichtsmuseen ist vakant, da der junge und ambitionierte Direktor Martin Sladeczek vor ein paar Monaten gekündigt hat. Der Abschied der beiden habe viel zu tun mit einem problematischen Arbeitsstil von Kulturdirektor Christian Horn, hört man aus dem Museumsumfeld. Äußern will sich Schierz dazu nicht. Für ihn ist der Rückzug ein persönlicher Befreiungsschlag: Endlich kann er sich wieder mit Kunst beschäftigen, ohne an Fristen und Fördergelder zu denken.
Redaktionelle Bearbeitung: jb, hki
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 27. Dezember 2024 | 06:15 Uhr