Nachtleben "Erfurt-Guides" statt Polizei - Ansprechpartner für jugendliche Partygänger
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29. März 2024, 18:44 Uhr
LED-Rucksäcke statt Taschenlampen und ein Smartphone statt Funkgerät: Die "Erfurt-Guides" sind keine Polizei-Patrouille - und sollen dennoch für mehr Ruhe und weniger Konflikte im Nachtleben sorgen. Sie sind das Ergebnis zahlreicher Gesprächs- und Diskussionsrunden von ruhegestörten Anwohnern, jungen Erwachsenen, Jugendorganisationen, Stadträten und -verwaltung.
"Peer to peer" ist das Konzept der "Erfurt-Guides". Gleichaltrige statt Ordnungsbehörden sollen junge Erwachsene in den Parks auf Lärmbelästigung und hinterbliebenen Müll ansprechen. "Die Guides arbeiten präventiv, das heißt sie machen zum Beispiel auch keine Ausweiskontrollen", erklärt Karsten Melang.
Der Erlebnispädagoge aus Erfurt hat im vergangenen Herbst das Konzept zu den Erfurt Guides erstellt. Dabei hat er sich an der Idee der "Dortmund-Guides" orientiert und auch seine Erfahrung aus "Awareness"-Arbeit bei Festivals miteinfließen lassen.
Idee: Ermahnen auf Augenhöhe
Drei Einsatzgebiete in Erfurt hat Melang für die Teams ausgemacht: Den Nordpark, die Altstadt mit Petersberg und Brühler Garten sowie einen Südbereich inklusive Süd- und Stadtpark. Konkret sollen die "Guides" immer in Dreiergruppen unterwegs sein. Ausgestattet mit Smartphone, Erste-Hilfe-Set, Infomaterial zu Beratungsstellen, aber auch Müllbeuteln, Taschen-Aschenbechern, K.O.-Tropfen-Tests und Kondomen.
Außerdem sollen sie möglichst mehrere Sprachen sprechen und unterschiedliche Altersgruppen und Geschlechter abdecken. "Sie sollen mit den jungen Erwachsenen auf Augenhöhe ins Gespräch kommen", sagt Melang.
Würden die "Guides" im Park auf eine feiernde Gruppe Jugendlicher treffen, sollen sie diese ansprechen auf eventuell liegen gebliebenen Müll, nachfragen, ob es allen gut gehe oder ob sie die laute Musik etwas leiser stellen könnten, um Anwohner nicht zu stören.
Beispiel Dortmund: Weniger Polizei-Einsätze nötig
"Das Beispiel aus Dortmund hat gezeigt, dass das besser funktioniert, als wenn die Polizei direkt eingreifen würde", erklärt Melang. Seitdem es die "Dortmund-Guides" gibt, habe es bis zu 50 Prozent weniger Polizeieinsätze wegen Ruhestörung gegeben, so der Erlebnispädagoge. Sollte eine Situation doch brenzlig werden, dann würden die "Guides" auch die Polizei rufen.
Das Beispiel aus Dortmund hat gezeigt, dass das besser funktioniert, als wenn die Polizei direkt eingreifen würde.
"Es ist angedacht, dass sie zu Beginn ihrer Runden die Einsatzleitstellen verständigen und dann bei einem Anruf vorrangig behandelt werden", sagt Karsten Melang. Zuvor sollen die "Guides" an zwei Wochenenden ein Ausbildungsprogramm durchlaufen. Dort soll es Vorträge und Workshops unter anderem zu Diversität, der Lebenswelt von Jugendlichen und Selbstschutz in Krisensituationen geben. Auch einen Erste-Hilfe-Kurs sollen die künftigen Teams absolvieren.
Jeder kann "Guide" werden
Das Projekt ist vorerst auf zwei Jahre angelegt, dafür hat der Stadtrat rund 200.000 Euro pro Jahr im neuen Haushalt eingestellt. Sobald das Landesverwaltungsamt dem zustimmt, kann die Ausschreibung für einen Projektträger starten. Wegen der hohen Summe muss dieses europaweit stattfinden.
Melang persönlich wünscht sich einen sozialen Träger und kein Security-Unternehmen für das Projekt. Im Sommer könnte dann das Bewerbungsverfahren für die "Guides" starten. "Ich könnte mir da gut Studenten, FSJler und Teilnehmer aus dem Bundesfreiwilligendienst vorstellen. Aber auch die Arbeitsagenturen sollten einbezogen werden, damit auch Personen über 30 Jahren dabei sind", sagt Melang.
Mit Nacht- und Feiertagszuschläge soll ein Guide rund 20 Euro netto die Stunde verdienen. Die Einsatzzeit der Gruppen ist von 20 bis 3 Uhr angedacht.
"Erfurt-Guides" als nachhaltige Lösung für das Nachtleben
Grünen-Stadtrat Jasper Robeck war nicht nur am Konzept, sondern auch an den Diskussionsrunden mit Anwohnern beteiligt. "Das Ergebnis mit den Guides zeigt, dass Bürgerbeteiligung funktioniert", so der Stadtrat. Im Herbst 2021 hatte der Stadtrat auf Drängen von Jugendorganisationen ein Musikverbot in Parkanlagen abgewendet und die Bürgerbeteiligung gestartet. "Auch die Anwohner haben bei den Diskussionen erkannt, dass ein Verbot nichts hilft, sondern es etwas braucht, dass die Nachtkultur nachhaltig verändert", sagt Robeck.
Die "Erfurt-Guides" sollen auch per Mobilnummer für Anwohner erreichbar sein, sollten diese eine Ruhestörung bemerken. "Die Menschen sollen aber in den Parks bleiben dürfen - wir wollen sie nicht einfach rauswerfen", erklärt Karsten Melang.
Auch die Anwohner haben bei den Diskussionen erkannt, dass ein Verbot nichts hilft, sondern es etwas braucht, dass die Nachtkultur nachhaltig verändert.
Auch Ordnungsdezernent Andreas Horn (CDU) hat sich auf das Konzept eingelassen. Zuerst hatte er 2021 das Musikverbot gefordert, aber dann auch dem Beteiligungsprozess beigewohnt. "Die Beteiligung war intensiv, aber auch sehr konstruktiv und ergebnisorientiert", erinnert sich Horn an die Diskussionsrunden.
Erste Interessenten
Mia Tausend ist Studentin in Erfurt und sachkundige Bürgerin im Ordnungsausschuss der Stadt. Sie findet vor allem die Kommunikation auf Augenhöhe gut. "Es ist schon ein Unterschied, ob einem jemand mit Taschenlampe ins Gesicht leuchtet und sagt, man soll die Musik ausmachen oder ob jemand fragt, ob es einem gut geht, man vielleicht Hilfe braucht und einem dann einen Müllbeutel zum Saubermachen in die Hand drückt", sagt Tausend.
Sie habe sich selbst schon öfter gewünscht, eine Anlaufstelle zu haben, wenn sie im Park mit Freunden unterwegs ist. "Einer Freundin wurden mal K.O.-Tropfen ins Getränk gemischt, das hätte ich gerne irgendwo gemeldet, wo es gut behandelt wird, nicht gleich bei der Polizei", erzählt sie.
Sie könnte sich auch selbst vorstellen, sich als "Guide" zu bewerben. "Ich bin eh eine Nachteule und das passt gut mit meinem Uni-Alltag zusammen", sagt Mia Tausend.
Einer Freundin wurden mal K.O.-Tropfen ins Getränk gemischt, das hätte ich gerne irgendwo gemeldet, wo es gut behandelt wird, nicht gleich bei der Polizei.
Hotline des Weißen Rings Opfer-Telefon 116 006 - bundesweit anonyme und kostenfreie Beratung für Betroffene und Angehörige. Täglich von 7 bis 22 Uhr.
Neuer Name und Startschuss
Laut Melang könnten die Gruppen ab September losziehen. Sie sollen dann auch bei Stadtveranstaltungen wie Oktoberfest und Weihnachtsmarkt eingesetzt werden. Bis dahin sollen die "Erfurt Guides" auch noch einen neuen Namen bekommen. Dazu findet gerade eine Online-Umfrage statt, bei der Vorschläge eingereicht werden können.
"Ich hoffe, dass wir am Ende dahinkommen, dass die Parkanlagen etwas ruhiger in den Abend- und Nachtstunden werden, dass die Anwohner zu ihrer Nachtruhe kommen, aber auch die Jugendlichen Möglichkeiten haben, sich zu entfalten", sagt Ordnungsdezernent Horn mit Blick auf den Start im Herbst.
MDR (dvs)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tage | 29. März 2024 | 18:20 Uhr
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