Kino-Tour Frauen unterwegs: Thüringer Dokumentarfilmerin zeigt moderne Nomadinnen in Deutschland
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24. Februar 2025, 16:29 Uhr
Der Film "Lichter der Straße" der Thüringer Regisseurin Anna Friedrich geht auf Kino-Tour. Das passt, denn der Dokumentarfilm begleitet Frauen, die einen Großteil ihres Lebens nomadisch leben, also selbst viel unterwegs sind. Premiere hatte der Hochschul-Abschlussfilm 2024 beim Dok Leipzig, wo er von spannenden Nachgesprächen begleitet wurde. Das soll nun in Programmkinos und Kulturvereinen beispielsweise in Jena oder Arnstadt wiederholt werden.
- Mit ihrem Film "Lichter der Straße" geht die Thüringer Anna Friedrich auf Tour – denn der Film erzählt vom Unterwegssein.
- Für ihre Doku hat Friedrich vier Frauen begleitet, die einen semi-nomadischen Lebensstil pflegen.
- Der Film feierte mit viel Erfolg beim Dok Leipzig 2024 Premiere mit spannenden Filmgesprächen im Anschluss.
Der Blick durch ein Fenster auf die nächtliche Landstraße, wo ein Scheinwerfer aufblinkt – mit diesem Bild ist der Rahmen des Filmes gesetzt. Anna Maria Friedrich kennt diesen Blick gut, seit sie auf dem Land lebt. Gerade in Pandemie-Zeiten habe sie den genossen, erinnert sich die in Thüringen geborene Regisseurin, "auch weil dort eben immer diese Scheinwerfer sich in die Landschaft ergossen haben".
Dokumentarfilm über das Unterwegssein
Das nächtliche Scheinwerferlicht, das eine unbekannte Bewegung anzeigt, und der Straßenrand bei Tage sind die beiden großen Metaphern in Friedrichs Abschlussfilm für die Filmuniversität Babelsberg mit dem passenden Titel "Lichter der Straße". Produziert wurde er zusammen mit der in Halle ansässigen Produktionsfirma Rosenpictures und dem MDR.
Zuvor hatte Friedrich mit "Coming off the Real Time, for a While" einen schwedischen Bauern porträtiert, der sein Dorf nie verlassen hatte. Eine extreme Form der Sesshaftigkeit. Nun schlägt das Pendel in die andere Richtung. Ihr aktueller Film ist ein dokumentarisches Roadmovie, immer in Bewegung, und erkundet auf diese Weise das Unterwegssein als Lebensform.
Regisseurin aus Thüringen sucht nomadisches Leben
Damals, erklärt Friedrich, habe sie angefangen, sich zu fragen, wo in Deutschland eigentlich nomadisch lebende Menschen zu finden seien – und warum sie diese nicht sehe, wenn sie selbst unterwegs sei? Gefunden hat sie schließlich ganz verschiedene Formen nomadischen oder besser semi-nomadischen Lebens. Denn zwischen sesshaft und nomadisch entsteht ein großer Spielraum.
Für den Film begleitete sie vier Protagonistinnen: Aktivistin Johanna fährt in ihrem umgebauten LKW von einem Protestcamp zum nächsten, lebt dazwischen in Wagenburgen. Wandergesellin Magdalena ist im vierten Jahr auf der Walz – was in einem spannungsreichen Kontrast zu ihrem Herzensberuf steht, nämlich Landwirtin. Die ehemalige Hochseilakrobatin Elwera und ihre Enkelin Ghislaine, die zur Gemeinschaft der Jenischen gehören, reisen als Schaustellerinnen zu verschiedenen Märkten.
Wer sind die Jenischen Die Jenischen sind eine transnationale Volksgruppe in Europa mit eigener Sprache und Tradition. Die Gruppe fahrender Handelsfamilien existiert mindestens seit dem Mittelalter. Die Fremd- und Eigenbezeichnung "Jenische" kam im 18. Jahrhundert auf. Heute leben die Nachfahren der Jenischen immer häufiger sesshaft, auch aus bürokratischen Gründen.
Frauen auf Reisen
Allen vier gemeinsam ist ihre Unabhängigkeit. Und natürlich, dass sie Frauen sind. Das war eine bewusste Entscheidung, sagt Friedrich. Sie fand, dass weibliche Perspektiven auf das Reisen bisher zu wenig vertreten seien. Außerdem hatte sie das Gefühl, sich mit den Frauen für den Film verschwistern zu können: "Da gibt es Berührungspunkte."
Für das gemeinsame Reisen war das nicht unwesentlich. Mit Magdalena zum Beispiel war die Regisseurin mehrere Tage auch ohne Team unterwegs – nur die zwei, die Kamera und zwei Hunde. Schwierigkeiten gab es nicht, denn die Walz, so ihr Eindruck, sei trotz verschiedener Herausforderungen eine vergleichsweise privilegierte Form des Unterwegsseins in Deutschland.
Thüringerin zeigt verschiedene Lebensentwürfe
Das hängt auch mit der Kluft, der traditionellen Kleidung, zusammen. Die sei, so erzählten viele Wandergesellen, einerseits eine Bürde, denn sie mache sie jederzeit sichtbar. Abtauchen ist nicht möglich. Beim Trampen machte Friedrich aber selbst die Erfahrung, wie hilfreich diese Erkennbarkeit auch ist: "Wir wurden immer mitgenommen, egal, wie klein das Auto war. Ford Fiesta oder so – kein Problem."
Dass Frauen überhaupt unterwegs sein dürfen, sei innerhalb der tradierten Form der Wanderschaft bereits ein gesellschaftlicher Fortschritt, meint Friedrich. Insgesamt habe sie auf ihrer Reise kreuz und quer durch Deutschland aber wenig modernen Zeitgeist vorgefunden und war geschockt, mit was für einem harten Blick viele Menschen auf andere Lebensentwürfe schauten. Die Sesshaftigkeit gilt eben nach wie vor als Norm.
Die Jenischen sind als wandernde Handwerker*innen, Schausteller*innen und so weiter seit Jahrhunderten genauso am arbeiten.
Vorurteile gegen das "fahrende Volk"
Im Film gibt Magdalena zu bedenken, dass ihr Reisen toleriert werde, weil sie arbeite und Arbeit spiele in Deutschland eben eine ganz große moralische Rolle. Für Friedrich wirft das eine wichtige Frage auf, "weil die Jenischen ja als wandernde Handwerker*innen, Schausteller*innen und so weiter – in mannigfaltigen Berufen – seit Jahrhunderten genauso arbeiten.“
Sie aber werden nicht toleriert. Der Sichtbarkeit der Wandergesellinnen steht im Film die Unsichtbarkeit der Jenichen gegenüber, die im Klischee als "fahrendes Volk" gelten und bis heute um ihre Anerkennung als transnationale ethnische Minderheit mit eigener Sprache, Kultur und Traditionen kämpfen. Auch das spielt im Film eine Rolle.
Vertrauen vor der Kamera
Friedrich verrät, wie mühevoll es war, Vertrauen aufzubauen. Das Misstrauen, auf das sie bei den Recherchen gestoßen sei, könne sie aber sehr gut verstehen: "Die Wurzeln liegen in den restriktiven Gesetzen und der Unterdrückung in der Nazizeit, aber auch in Diskriminierungen, die schon vorher da waren, also auch in Rassismus, die sie halt erleben."
Schließlich war die Regisseurin glücklich, auf Elwera zu stoßen, die früher im Zirkus gearbeitet hat. Sie und ihre Enkelin Ghislaine wollen die Tradition des Reisens erhalten, obwohl sie bereits selbst gewissermaßen sesshaft sind. Wenn sie nicht mit ihren Ständen auf den Jahrmärkten sind, haben sie ihre festen Wohnorte.
Kino als Ort für Dialog
Mit "Lichter der Straße" will Anna Maria Friedrich auch einen Perspektivwechsel vollziehen und ein positives Denkangebot machen. Vom Straßenrand aus sieht die Welt eben anders aus. Das geht auch als visuelles Konzept sehr gut auf. Der Straßenrand, von einem sogenannten Straßenmeister im Film auch "Chaussee-Graben" genannt, ist die sichtbare Grenze zwischen zwei Lebensentwürfen, die sich nur scheinbar gegenseitig ausschließen.
Die Wurzeln liegen [...] in der Unterdrückung in der Nazizeit, aber auch in Diskriminierungen, die schon vorher da waren, also auch in Rassismus.
Beim Dok Leipzig 2024 lief der Film mehrfach im ausverkauftem Kinosaal und führte zu lebhaften Filmgesprächen. Genau diese Gesprächskultur wollen Friedrich und ihr Team nun gerne fortsetzen. Sie bringen den Film im Eigenverleih heraus und präsentieren ihn – passenderweise – "on the road" bei einer selbst organisierten Kinotour mit Gästen.
Um das zu finanzieren, wurde auch eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. Die Tour soll durch ganz Deutschland führen, gerne auch in kleine Orte. So könnten beispielsweise interessierte Kulturvereine den Film buchen. Erster Haltepunkt ist am 25. Februar 2025 das Theater Arnstadt.
Geplante Stopps der Kino-Tour
- 25. Februar 2025 | 18 Uhr | Theater Arnstadt
- 7. April 2025 | 19 Uhr | Kulturkneipe Spatz, Waltershausen
- 8. April 2025 | 20 Uhr | Kino im Schillerhof, Jena
- 14. April 2025 | 20 Uhr | Puschkino, Halle
Redaktionelle Bearbeitung: tsa
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR am Nachmittag | 25. Februar 2025 | 15:10 Uhr