Polizeibeamte stehen an einem Auto in der Erfurter Innenstadt
Seit einem Vierteljahrhundert ist die Mafia `Ndrangheta mutmaßlich in Thüringen aktiv. Im Mai fand deswegen eine große Razzia statt. (Archivbild) Bildrechte: MDR/Axel Hemmerling

Mafia in Thüringen Millionenschweres Immobiliengeschäft in Erfurt löst geheime Geldwäscheermittlungen aus

13. Dezember 2023, 10:32 Uhr

Im Mai 2023 lief das weltweit größte Verfahren gegen die italienische Mafia-Gruppe `Ndrangheta an. Im Zuge der Operation "Eureka" schlugen die Fahnder auch in Erfurt zu. Vertrauliche Dokumente zeigen nun: Bereits vor "Eureka" gab es mehrere verdeckte Geldwäscheverfahren gegen die `Ndrangheta und ihr Umfeld in Erfurt.

Es gibt ein Haus im Norden von Erfurt, das Mafia-Ermittler des Bundeskriminalamts (BKA) und des Thüringer Landeskriminalamtes gut kennen. Seit Jahrzehnten gab es den Verdacht, dass es eine der wichtigsten strategischen Immobilien der sogenannten "Erfurter Gruppe" ist. Sie gilt als eine mächtige Zelle der italienischen Mafia-Organisation `Ndrangheta und soll seit mehr als 25 Jahren in Thüringen und Sachsen aktiv sein.

Hauskauf Mitte der neunziger Jahre

Italienische Geschäftsleute und Restaurantbesitzer, die mutmaßlich zur "Erfurter Gruppe" und ihrem Umfeld gehören, kauften das Haus Mitte der Neunzigerjahre. Wohnungen wurden darin eingerichtet.

Bezogen wurden sie im Laufe der Jahre meist von italienischen Staatsbürgern, die fast alle zwei Dinge gemeinsam hatten: Sie arbeiteten in einem der vielen italienischen Restaurants in Erfurt und sie kamen überwiegend aus der italienischen Region Kalabrien - vor allem aus San Luca und Umgebung. Das Dorf San Luca ist wohl der bekannteste Ort in Italien, der im Zusammenhang mit der `Ndrangheta steht.

Die italienische Stadt San Luca.
Die Stadt San Luca gilt als einer der wichtigsten `Ndrangheta-Orte in Italien. (Archivbild) Bildrechte: FAZ/David Klaubert

Gebäude wird in Anti-Mafia-Operation überwacht

Im Laufe der Zeit, so ermittelten es Fahnder von BKA und LKA, meldeten sich unter der Adresse des Hauses in Erfurt 234 italienische Staatsbürger an. Bereits vor mehr als 20 Jahren wurde das Haus durch LKA-Beamte observiert.

Im Zuge einer Operation namens "Fido" legten sie sich gegenüber der Immobilie in einer angemieteten Wohnung auf die Lauer, machten Fotos und Videos. Laut den damaligen Überwachungsberichten gab es im Gebäude ein Kommen und Gehen. In den folgenden Jahren meldeten sich Italiener dort an und wieder ab.

Manche wohnten Jahre, andere nur wenige Monate dort. Sie reisten weiter, um in mutmaßlichen `Ndrangheta-Restaurants in Leipzig, Dresden oder München zu arbeiten. Manche verschwanden auch und tauchten später in San Luca wieder auf. Die operativen Maßnahmen der Operation "Fido" wurden 2002 ohne Ergebnisse eingestellt und sind Gegenstand eines Untersuchungsausschusses im Thüringer Landtag.

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Ein Reporterteam des MDR und der F.A.Z. hat Geschichte der italienischen Mafia in Ostdeutschland recherchiert. Der Film zeigt, dass die Strukturen in Ostdeutschland bis heute aktiv sind.

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Verdacht der Geldwäsche bei Verkauf 2019

Recherchen von MDR und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) zeigen nun: Das Gebäude stand mehr als 20 Jahre nach "Fido" wieder im Fokus deutscher Ermittler. Eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, kurz GbR genannt, wollte 2019 das Haus und eine Lagerhalle verkaufen. Die GbR gehört drei italienischen Geschäftsleuten. Zwei von ihnen stehen seit Jahren im Verdacht, entweder zur `Ndrangheta oder zu ihrem Umfeld zu gehören. Einer war bereits Beschuldigter im "Fido"-Verfahren.

Ein weiterer wird von BKA und LKA verdächtigt, so etwas wie der Buchhalter der "Erfurter Gruppe" gewesen zu sein. Zudem ist er verwandt mit einem Mann, der seit Jahren im Verdacht steht, ein mutmaßlicher Geldwäscher der `Ndrangheta in Portugal zu sein. Dieser war im Zuge der "Eureka"-Ermittlungen im Mai dieses Jahres dort festgenommen worden und hatte zuvor viele Jahre in Erfurt gelebt.

Die Operation "Eureka" war die bislang größte Operation gegen die ‘Ndrangheta. Ermittler aus mehreren europäischen Ländern schlugen gleichzeitig zu, auch in Deutschland kam es zu 25 Verhaftungen.

Immobilienfirma aus Bayern macht Millionendeal

Die Käuferin der beiden Gebäude war 2019 eine große Immobiliengesellschaft aus Bayern. Beide Immobilien wechselten für 2,84 Millionen Euro den Besitzer. Damit hätte das Kapitel für die drei Italienischen Geschäftsleute beendet gewesen sein können. Doch ihr weiterer Umgang mit dem Millionenbetrag weckte bei beteiligten Banken einen Verdacht.

Nach Recherchen von MDR und FAZ starteten im Sommer 2019 rege Finanztransaktionen. So wurden mehrere Einzelüberweisungen, die sich auf 225.000 Euro summierten, von dem Konto der GbR auf das private Konto eines der drei Italiener überwiesen. Im gleichen Zusammenhang wechselten 1,75 Millionen Euro aus dem Verkauf den Besitzer und landeten auf dem privaten Konto eines anderen der drei GbR-Gesellschafter.

Verdächtige Geldtransaktionen zwischen Italien und Deutschland

In einem vertraulichen Bericht des BKA, der dem MDR und der FAZ vorliegt, ist zu lesen, dass dies offenbar nur der erste Teil der Transaktionen war. Denn kurze Zeit später wurden von den 1,75 Millionen Euro auf dem Privatkonto des einen GbR-Mitinhabers insgesamt 500.000 Euro abgezweigt und auf das private Konto seines Geschäftspartners überwiesen.

Dann folgte offensichtlich Schritt drei. Denn nun wurden diese Gelder aus dem millionenschweren Immobiliendeal von den privaten Konten der Geschäftsleute an zwei Firmen in Italien und rund einem halben Dutzend Privatpersonen in Italien überwiesen. Offenbar landete auch ein Teil des Geldes in Spanien.

Im vierten Schritt floss das Geld von den Konten mehrerer Privatpersonen in Italien und Spanien wieder zurück nach Erfurt auf das private Konto eines der drei GbR-Inhaber. Der mutmaßlich Hauptakteur teilte MDR und FAZ mit: "Die von Ihnen erfragten Angelegenheiten sind privater Natur, weswegen ich Ihnen keine Auskünfte über den Verkauf erteile."

Staatsanwaltschaft sieht Geldwäscheverdacht nicht

Drei Geldwäscheverdachtsanzeigen durch Banken, darunter der Sparkasse Mittelthüringen, lösten Ermittlungen beim Thüringer LKA aus, was die Behörde auf aktuelle Anfrage bestätigt. Die Fahnder gingen damals den Geldflüssen akribisch nach. Doch trotz ihrer Anstrengungen stellte die Staatsanwaltschaft Gera, die für Ermittlungen gegen Organisierte Kriminalität in Thüringen verantwortlich ist, das Verfahren 2020 ein. Offensichtlich konnte der Verdacht der Geldwäsche nicht erhärtet werden und auch eine mögliche Verbindung zur Mafia sahen die Staatsanwälte nicht.

Hinweise auf Geldflüsse zwischen Erfurt und Rom

Doch bei einer anderen Behörde machten Ermittler weiter. Das BKA, das auch in die europaweiten Ermittlungen im Rahmen der "Eureka"-Operation eingebunden war, nahm das Verfahren in dem bereits erwähnten vertraulichen Analysebericht von 2020 auf. Die "Erfurter Gruppe" steht für das BKA seit Jahren im Verdacht, eine Rolle bei der Geldwäsche der `Ndrangheta zu spielen.

Bereits 2014 hatten Ermittler der Italienischen Anti-Mafia-Behörde DIA Hinweise, dass italienische Restaurantbetreiber aus Erfurt über Gesellschaften Geld nach Italien transferierten, das mutmaßlich aus kriminellen Geschäften stammte. Es soll unter anderem in mehrere Restaurants in Rom investiert worden sein. Der MDR hatte 2015 erstmalig über diese Geschäfte berichtet.

Mafia Prozess in Kalabrien (Italien)
In Kalabrien fand ein großer Mafia-Prozess statt. (Archivbild) Bildrechte: imago images / ZUMA Wire

BKA ermittelt in weiterem Geldwäscheverfahren

Diese Ermittlungen in Italien hatten 2017 wiederum zu Finanzermittlungen des BKA unter dem Decknamen "Salu" geführt. So ist es in dem BKA-Bericht zu lesen. Im Fokus: drei andere italienische Restaurantbesitzer aus Erfurt, darunter auch der mutmaßliche Capo Locale, also der Statthalter der `Ndrangheta in Thüringen. Das BKA ging den Geldtransaktionen zwischen Deutschland und Italien nach, ohne Erfolg. 2018 wurden auch diese Ermittlungen eingestellt.

Italienischer Wirt sitzt in Kalabrien in Untersuchungshaft

Am 3. Mai dieses Jahres, dem Tag der "Eureka"-Operation, gelang es den Ermittlern einen der damals Verdächtigen doch noch wegen des Vorwurfs einer anderen Straftat in Erfurt festzunehmen. Der Erfurter Wirt Maurizio C. steht im Verdacht, an der Organisation eines Kokaingeschäfts zwischen Südamerika und Australien beteiligt gewesen zu sein. Er war einer der Verdächtigen aus der Geldwäsche-Operation "Salu". Im Sommer dieses Jahres wurde er nach Italien ausgeliefert. Er sitzt seitdem in einem Gefängnis in Kalabrien in Untersuchungshaft, das bestätigte sein italienischer Anwalt auf Anfrage. Zu den laufenden Ermittlungen sagte er, seinem Mandanten werde lediglich vorgeworfen, an einem Kokaindeal beteiligt gewesen zu sein, aber nicht Teil einer kriminellen Vereinigung zu sein.

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MDR (Margherita Bettoni, Axel Hemmerling und Ludwig Kendzia)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Exakt - DIE STORY | 13. Dezember 2023 | 20:45 Uhr

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