Kommunalpolitik Nur AfD ist zufrieden: Parteien, Kirche und Verbände enttäuscht von Sonneberg-Wahl
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26. Juni 2023, 13:44 Uhr
Während die Thüringer AfD auf weitere Wahlerfolge hofft, sieht die CDU die Gründe für ihr Scheitern in Berlin. Die Grünen kritisieren die Sonneberger, die die AfD gewählt haben. Innenminister Maier (SPD) schlägt vor, die AfD mehr als bisher bei Sachthemen zu stellen. Bei den Kommunalwahlen 2024 hält der Jenaer Politologe Oppelland ein starkes AfD-Ergebnis für denkbar. Die Jüdische Landesgemeinde nennt das Ergebnis "erschreckend". Auch von Nachbarkreisen gibt es kritische Reaktionen.
Inhalt des Artikels:
- AfD-Chef Höcke: Sonneberg als "politisches Wetterleuchten"
- CDU: Lösungen gegen Art des Protests aus Berlin finden
- Coburger Nachbar-Landrat: Nicht hilfreich für weitere Zusammenarbeit
- Metropolregion: "Fremdenfeindliche Parolen haben mit Aufgaben eines Kommunalpolitikers nichts zu tun"
- Ministerpräsident Ramelow: Sonneberger wollten Signal geben
- SPD-Innenminister: Sachpolitik statt Geheimdienstbeobachtung
- Grünen-Landeschef: "Bewusst für 'rechtsextremes' Original entschieden"
- FDP-Chef Kemmerich: Kein politisches Konzept erkennbar
- Politikwissenschaftler: Starke Ergebnisse für AfD auch kommendes Jahr möglich
- Evangelische Bischöfin: Sonneberger nach Wahl nicht in politische Ecke stellen
- Jüdische Landesgemeinde: Erschreckendes Ergebnis
- Stiftung Gedenkstätten: Ausgang der Landratswahl ist "Schande"
- DGB begrüßt gemeinsamen Wahlaufruf
- CDU-Politiker aus Sachsen-Anhalt warnen vor Radikalisierung
Die Reaktionen auf die Wahl des ersten AfD-Landrates in Deutschland im Kreis Sonneberg fallen unterschiedlich aus.
AfD-Chef Höcke: Sonneberg als "politisches Wetterleuchten"
Thüringens AfD-Chef Björn Höcke sieht im Wahlsieg des AfD-Politikers Robert Sesselmann den Auftakt für mehr Erfolge bei Kommunal- und Landtagswahlen. Höcke sagte am Sonntag bei der AfD-Wahlparty, von Sonneberg gehe ein "politisches Wetterleuchten" aus.
Die AfD wolle diesen Schwung mitnehmen für die kommenden Landratswahlen. "Und dann bereiten wir uns für die Landtagswahlen im Osten vor, wo wir dann wirklich ein politisches Erdbeben erzeugen können." Kommendes Jahr werden die Landtage in Sachsen, Thüringen und Brandenburg gewählt. Zuletzt lag die Thüringer AfD in Umfragen auf Platz eins. Die Thüringer AfD warf den anderen Parteien undemokratisches Handeln.
CDU: Lösungen gegen Art des Protests aus Berlin finden
Für die Thüringer CDU erklärt der Thüringer Generalsekretär Christian Herrgott, dass der amtierende Landrat und CDU-Kandidat "Jürgen Köpper als erfahrener und ehrlicher Arbeiter den Landkreis Sonneberg auf Kurs gehalten hätte, statt ihn in eine unsichere Zukunft zu führen." Herrgott fordert nun, dass "jetzt wir alle Lösungen gegen diese Art des Protestes gegen Berlin finden."
Coburger Nachbar-Landrat: Nicht hilfreich für weitere Zusammenarbeit
Perspektivisch sei die Wahl eines AfD-Landrates im Sonneberger Landkreis erst einmal nicht hilfreich für die weitere Zusammenarbeit, sagt der Coburger Landrat Sebastian Straubel (CSU) nach der Wahl. Eine Prognose zur weiteren Zusammenarbeit verbiete sich erst einmal für ihn. "Das Ergebnis nehme ich als Landrat des Nachbar-Landkreises zur Kenntnis", erklärt Straubel.
Außergewöhnlich sei gewesen, dass bundespolitische Themen eine so große Rolle im Wahlkampf gespielt hätten, jedoch nicht regionale Themen, die die Kommunalpolitik ja ausmachten. Gerade auf regionaler Ebene sei in den vergangenen Jahren viel auf den Weg gebracht worden. Als Beispiel nannte er das "erfolgreiche Tourismusmarketing im Verein Coburg-Rennsteig".
Metropolregion: "Fremdenfeindliche Parolen haben mit Aufgaben eines Kommunalpolitikers nichts zu tun"
Die Reaktion von führenden Vertretern der Metropolregion Nürnberg, in der der Landkreis Sonneberg neben der Stadt Sonneberg als einzige Thüringer Regionen Mitglied sind, fiel deutlicher aus: "Robert Sesselmann sucht die Nähe zu Björn Höcke, der die AfD führend zu einer rechtsextremen Partei geformt hat. Die europa- und fremdenfeindlichen Parolen, mit denen Sesselmann die Wahl bestritten hat, haben mit den Aufgaben und Kompetenzen eines Kommunalpolitikers nichts zu tun", teilten der Ratsvorsitzende der Metropolregion, der Bamberger Landrat Johann Kalb (CSU), und seine Stellvertreter, Erlangens Oberbürgermeister Florian Janik (SPD) und Neumarkts Bürgermeister Thomas Thumann (Freie Wähler), am Montag mit.
Sesselmanns Aussagen passten zudem nicht "zu unserer Metropolregion", hieß es weiter: "Rund 170 Nationalitäten leben in der Metropolregion friedlich zusammen. Die Vielfalt der Kulturen bereichert das Zusammenleben. Weltoffenheit und eine Willkommenskultur spielen für die Region eine wichtige Rolle." In der Allianz gegen Rechtsextremismus der Europäischen Metropolregion Nürnbergseien 160 Städte, Gemeinden und Landkreise der Metropolregion engagiert.
Coburgs Oberbürgermeister Dominik Sauerteig (SPD) schrieb zudem auf Facebook: "Bei den gemeinsamen Fragestellungen der Stadt Coburg und dem Landkreis Sonneberg werde ich Herrn Sesselmann ganz konkret in die Pflicht nehmen". Kommunalpolitik und das konkrete Lösen von Aufgabenstellungen vor Ort funktioniere nicht mit "einem ausschließlichen Kurs des Dagegenseins und des Zeigens auf Berlin oder Erfurt."
In der Metropolregion Nürnberg haben sich 23 Landkreise und 11 kreisfreie Städte miteinander verbunden - von Sonneberg bis nach Weißenburg-Gunzenhausen im Süden. Im Westen gehören Teile Unterfrankens dazu, im Osten Teile der Oberpfalz. Rund 3,6 Millionen Einwohner gehören dazu. Die Metropolregion ist auf vielen verschiedenen Feldern aktiv - etwa Wirtschaft, Verkehr, Wohnraum.
Ministerpräsident Ramelow: Sonneberger wollten Signal geben
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linken sagte angesichts des Wahlsieges des AfD-Landratskandidaten am Sonntagabend in der ZDF-Sendung "Berlin direkt", die Sonneberger hätten sich entschieden, ein Signal zu geben.
Auch Ramelow verweist darauf, dass Sesselmann allein mit Themen Wahlkampf gemacht habe, die nichts mit Kommunalpolitik zu tun hätten. Als Wahlbeamter sei es jedoch seine Aufgabe eine Kommunalverwaltung zu führen. Zur gemeinsamen Wahlempfehlung über die Parteigrenzen hinweg, sagte Ramelow, dass er nicht ausschließen könne, das mancher das als Bevormundung empfindet.
Der Linken-Politiker erklärt dabei, dass die Landratswahl im Kreis Sonneberg eine demokratische Landratswahl gewesen sei. Ramelow hält es für notwendig, dass die Parteien "die Ostdeutschen mitnehmen, statt über sie zu reden".
SPD-Innenminister: Sachpolitik statt Geheimdienstbeobachtung
Der Ausgang der Landratswahl in Sonneberg zeigt für Thüringens Innenminister und SPD-Chef Georg Maier, dass weder Wahlaufrufe gegen die AfD noch deren Beobachtung durch den Verfassungsschutz Menschen davon abhielten, diese Partei zu wählen. Konkrete Sachpolitik sei das Mittel, um die AfD zu bekämpfen. Maier appellierte an die rot-rot-grüne Koalition und die CDU in Thüringen, "einen Modus zu finden, um die politische Selbstlähmung des Landtages zu überwinden".
Wesentlich dabei sei, dass bei allen Plänen zur Bewältigung von Krisen auch eine soziale Abfederung mitgedacht werde - wie etwa beim umstrittenen Heizungsgesetz von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) oder auch, wenn es um das Aus für Verbrenner-Motoren gehe. Wer auf dem Land lebe, habe derzeit oft keine reale Chance, auf seinen Verbrenner zu verzichten und den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen, sagt Maier. "Wir haben da wirklich eine Überforderung vieler Menschen gehabt."
Gleichzeitig kritisierte Maier den Präsidenten des Gemeinde- und Städtebundes Thüringen, Michael Brychcy (CDU), der sich offen für eine Zusammenarbeit mit AfD-Vertretern auf kommunaler Ebene gezeigt hatte. "Manche haben der AfD ja den Teppich ausgerollt", sagt Maier mit Verweis auf Brychcy. "Was soll das?"
Für die nächsten Monate erwarte Maier, dass Sesselmann als neuer Landrat versuchen werde, "Sand ins Getriebe zu streuen". An vielen Stellen seien Landräte zwar nur ein ausführendes Organ von politischen Entscheidungen an anderer Stelle. Etwa bei der Jugendpolitik in ihrem Landkreis könnten sie aber durchaus versuchen, zum Beispiel Migranten schlechter zu stellen als Nicht-Migranten.
Grünen-Landeschef: "Bewusst für 'rechtsextremes' Original entschieden"
Obwohl sich die Wahl von Sesselmann als neuer Landrates im Kreis Sonneberg abgezeichnet habe, "lässt mich das Ergebnis fassungslos zurück", sagt Ann-Sophie Bohm, eine der beiden Landesvorsitzenden der Grünen in Thüringen. Die Mehrheit der Wähler im Kreis Sonneberg hätte damit das Amt des Landrates "in die Hände einer Partei gelegt, deren politische Agenda die gesellschaftliche Spaltung ist", erklärt sie weiter.
Der Grünen-Co-Vorsitzende Max Reschke erklärt, dass "wir uns trotz aller inhaltlichen Differenzen hinter den CDU-Kandidaten gestellt" hätten, doch dies habe nicht gereicht. Teile der Bevölkerung im Kreis Sonneberg hätten sich "bewusst für das 'rechtsextreme' Original entschieden". Der AfD-Kandidat Sesselmann habe keinen einzigen praktikablen Vorschlag für die Lösung der Probleme des Landkreises. Bedenklich sei stattdessen, dass er nur mit dem Schüren von Stimmungen und Ängsten so viel Zuspruch erfahren habe.
FDP-Chef Kemmerich: Kein politisches Konzept erkennbar
Thomas Kemmerich als Vorsitzender der FDP im Thüringer Landtag erklärte, dass "niemand in Thüringen ein politisches Amt übernehmen sollte, der kein erkennbar positives Konzept für die Zukunft unseres Landes hat." Es müssten gute Lösungen für Probleme gefunden werden, "deren Bestehen für den Höhenflug extremer Kräfte sorgt."
Die Jungen Liberalen, die FDP-Nachwuchsorganisation, äußern sich deutlicher als Kemmerich. Sie blicken in einer Stellungnahme mit höchster Sorge auf das Wahlergebnis: Demokratische Grundwerte und friedliches Miteinander seien in Gefahr. Landesvorsitzender Christopher Hubrich sieht die AfD "nicht nur als eine politische Gefahr, sondern auch als ökonomischen Albtraum für Ostdeutschland." Jede Stimme für die AfD sei ein direkter Angriff auf den Zusammenhalt und setze die wirtschaftliche Zukunft der Region aufs Spiel.
Politikwissenschaftler: Starke Ergebnisse für AfD auch kommendes Jahr möglich
Der Jenaer Politikwissenschaftler Torsten Oppelland hält auch bei den Thüringer Kommunalwahlen im kommenden Jahr ein starkes AfD-Ergebnis für möglich. Ganz auszuschließen sei das nicht, sagte Oppelland nach der Landratswahl in Sonneberg MDR THÜRINGEN. Die etablierten Parteien hätten das Signal aus Sonneberg sicher verstanden, könnten ihre Politik aber auch nicht komplett ändern.
Die Probleme blieben für alle bestehen, die Wähler müssten mitgenommen werden. Das sei vor allem bei den großen bundespolitischen Themen wichtig, die auf regionaler Ebene für Wellen schlagen. Neben dem Heizungsgesetz sei das die Frage der medizinischen Versorgung, sagte Oppelland mit Verweis auf das Krankenhausgesetz, das derzeit diskutiert wird.
Oppelland sagte, auf kommunaler Ebene müsse man mit der AfD in irgendeiner Weise zusammenarbeiten, eine reine Blockade und Verweigerung im Kreistag sei "sicher nicht sinnvoll". Das bedeute aber keine politische Zusammenarbeit. Das Prinzip der etablierten Parteien, politische Bündnisse mit der AfD zu verweigern, könne man aufrechterhalten, so der Politologe.
Evangelische Bischöfin: Sonneberger nach Wahl nicht in politische Ecke stellen
Die Regionalbischöfin Friederike Spengler von der evangelischen Kirche in Mitteldeutschland hat nach eigenen Angaben bis zum Schluss gehofft, dass es ein anderes Wahlergebnis gibt. "Aber es gehört zur Demokratie, dass Wahlergebnis anzuerkennen. Das muss ich akzeptieren", sagt die für Südthüringen zuständige evangelische Bischöfin MDR THÜRINGEN.
Sie verweist darauf, dass laut Studien drei Viertel der Menschen die AfD aus Protest gewählt hätten. Sie warnt zugleich davor, die Sonneberger in eine politische Ecke zu stellen. Die Menschen hätten eine Art Wut gespürt, ein Gefühl, dass sie nicht mehr gehört würden und nicht mehr an demokratischen Prozessen beteiligt seien. "Weitere Sonntagsreden helfen da nicht". Stattdessen werde ein öffentlicher Diskurs benötigt, vor allem muss man sich "gegenseitig ausreden lassen."
Das einzig Gute an dem Wahlabend sei die hohe Wahlbeteiligung gewesen, sagt Spengler, die zuvor auch einen Aufruf, zur Wahl zu gehen, mitgetragen hatte.
Jüdische Landesgemeinde: Erschreckendes Ergebnis
Den Vorsitzenden der jüdischen Landesgemeinde in Thüringen, Reinhard Schramm, macht das Wahlergebnis "zutiefst traurig". Die Wahl des AfD-Landrates sei für ihn erschreckend, sagte er MDR THÜRINGEN. Wer in Thüringen die AfD mit einem Björn Höcke an der Spitze wähle, weiß, wem er die Stimme gebe. "Wo soll das noch hinführen?", fragte er mit Blick darauf, dass der Nationalsozialismus und dessen Verbrechen relativiert würden.
Die AfD sei keine normale demokratische Partei. Er habe Angst davor, was noch kommen könnte, sagte Schramm. "Demokratische Parteien und Organisationen sind nun aufgefordert, die Stärken der Demokratie zu vermitteln", sagt er weiter.
Stiftung Gedenkstätten: Ausgang der Landratswahl ist "Schande"
Der Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner, hat den Ausgang der Landratswahl als "Schande" bezeichnet. Zwar seien nicht alle, die bei dieser Wahl für den AfD-Kandidaten Robert Sesselmann gestimmt hätten, Rechtsextreme und Rassisten, schrieb Wagner auf Twitter. Aber jeder AfD-Wähler habe "wissentlich für eine Partei gestimmt, zu deren Kern Rassismus, Antisemitismus und Demokratiefeindlichkeit gehören".
DGB begrüßt gemeinsamen Wahlaufruf
Der Deutsche Gewerkschaftsbund Hessen Thüringen (DGB) sieht es als wichtiges Zeichen an, dass vor der Stichwahl alle demokratischen Parteien "an einem Strang gezogen haben". Jetzt müsse dafür gesorgt werden, "dass zwischen den demokratischen Fraktionen kein politischer Stillstand entsteht", sagt Michael Rudolph als Vorsitzender der Gewerkschaft. Das Prinzip der Spaltung und der Ausgrenzung dürfe nicht die Oberhand in der Politik gewinnen.
Der DGB forderte, dass im Sonneberger Kreistag die demokratischen Fraktionen daran arbeiten, eine soziale und inklusive Politik voranzutreiben.
CDU-Politiker aus Sachsen-Anhalt warnen vor Radikalisierung
Auch in Sachsen-Anhalt gab es Reaktionen auf die Wahl in Südthüringen. So zeigte sich der Vorsitzende des Landkreistages von Sachsen-Anhalt, Götz Ulrich (CDU), beunruhigt. Ulrich sagte dem MDR am Montag, man sehe eine ähnliche Entwicklung mindestens in Mitteldeutschland, wahrscheinlich auch in ganz Ostdeutschland. Das mache ihm Sorge.
Auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) zeigte sich betroffen. Haseloff warnte einerseits vor zu schnellen Bewertungen. Andererseits müsse man sich angesichts der Wahlbeteiligung von etwa 60 Prozent fragen, was jetzt im gesamten politischen Bereich zu diskutieren und auch zu besprechen sei: "Dafür müssen wir uns jetzt auch wirklich die Zeit nehmen in den nächsten Tagen und Wochen, darüber im demokratischen Spektrum auch eine klare Vereinbarung zu treffen, dass wir diesen radikalen Tendenzen entsprechend auch entgegenwirken können."
Hinweis aus der Redaktion: User-Kommentare sind unter diesem Beitrag zur Wahl in Sonneberg möglich.
MDR (rom/dpa)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 25. Juni 2023 | 19:00 Uhr