Studie zum Super-Wahljahr 2024 Weshalb wurde bei den Kommunal-, EU- und Landtagswahlen AfD gewählt?
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31. Januar 2025, 11:37 Uhr
Laut einer Studie haben die Thüringer 2024 vor allem aus politischen Gründen bei den Kommunal-, EU- und Landtagswahlen AfD gewählt. Bildung, Alter, Einkommen, Wohnort oder Infrastruktur waren weniger ausschlaggebend.
Laut einer neuen Studie des "Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft" in Jena haben die Thüringer im Jahr 2024 vor allem aus politischen Gründen bei den Kommunal- EU- und Landtagswahlen AfD gewählt. Die Ergebnisse zeigen, dass zwar auch demografische oder ökonomische Faktoren zum erfolgreichen Abschneiden der Partei beigetragen haben.
Doch politische Gründe wie Demokratieunzufriedenheit oder Nationalismus hätten den Sozialwissenschaftlern zufolge die "mit Abstand höchste Erklärkraft für das Wahlergebnis".
"Nicht trotz, sondern wegen"
"Je stärker die Demokratieunzufriedenheit und fremdenfeindliche Einstellungen in den Kreisen und kreisfreien Städten verbreitet waren", teilt Forschungsleiter Axel Salheiser mit, "umso besser waren im Durchschnitt auch die Wahlergebnisse der AfD."
Die Partei wird von vielen Menschen nicht trotz, sondern wegen ihrer populistischen und autoritär-nationalistischen Agenda gewählt.
Dies bedeute "im Umkehrschluss sicherlich nicht, dass alle AfD-Wählenden diese Einstellungen" teilten. Die Tendenz sei aber sichtbar und auch aus vielen anderen Studien bekannt. Mitautor Christoph Richter stellt fest: "Die Partei wird von vielen Menschen nicht trotz, sondern wegen ihrer populistischen und autoritär-nationalistischen Agenda gewählt".
Der Thüringer AfD-Landesverband wird vom Landesamt für Verfassungsschutz seit 2021 als "erwiesen rechtsextremistische Bestrebung" gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung eingestuft. Ursache dafür sind Verstöße von zahlreichen Mandatsträgern und Parteifunktionären gegen das im Grundgesetz garantierte Menschenwürde-Prinzip sowie gegen das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip.
Forschungsbericht veröffentlicht
Die Studie wird am Freitag veröffentlicht. MDR THÜRINGEN lag sie vorab vor. Das Jenaer "Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft" befindert sich in Trägerschaft der Berliner Amadeu Antonio Stiftung. Finanziert wird es aus Mitteln des Thüringer Landesprogramms für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit. Wissenschaftliches Ziel des Forscherteams ist, ein "vertieftes Verständnis der Wahlergebnisse und vor allem der dafür ursächlichen Hintergründe" herzustellen.
Die Sozialwissenschaftler fragten: "Weshalb wählen so viele Menschen in bestimmten Regionen besonders häufig eine rechtsextreme Partei? Sind es tatsächlich vor allem wirtschaftlich schlechter gestellte Wähler*innen und Menschen in ‚abgehängten‘ Orten, in denen die Partei besonders erfolgreich ist?"
Wird nur aufgrund von "politischer Unzufriedenheit" gewählt? "Oder hat die Partei stattdessen sehr erfolgreich ein ideologisches Parteienangebot etabliert und wird nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer völkisch-nationalistischen Agenda gewählt?"
Diese letzte Frage also beantworten die Forscher in ihrer Studie mit einem deutlichen Ja. Dafür analysierten sie zunächst die Thüringer Ergebnisse der Kommunalwahlen im Mai, der EU-Wahl im Juni sowie der Landtagswahl am 1. September. Bei allen drei Wahlen erzielte die AfD massive Stimmenzuwächse. Im Anschluss kombinierten die Wissenschaftler ihre eigenen Analyse-Ergebnisse mit weiteren Daten etwa aus der Datenbank des Instituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung oder des Thüringer Landesamts für Statistik.
Zudem zogen sie Daten aus der Einstellungsforschung heran. Bei diesen Untersuchungen geht es um politische Überzeugungen, menschfeindliche und antidemokratische Ansichten und Haltungen sowie Vorurteile - wie etwa in der Langzeitstudie "Thüringen Monitor". Insgesamt wurden Daten zu 595 Thüringer Gemeinden für die Jenaer Analyse herangezogen.
Alter, Geschlecht, Kaufkraft
Neben den eigenen politischen Überzeugungen und Vorlieben spielen für die Entscheidung in der Wahlkabine zahlreiche weitere Faktoren eine Rolle: Alter, Bildungsstand, Geschlecht, Einkommen, Wohnort oder der Zustand der Infrastruktur.
Auch die allgemeine Kaufkraft kann von Bedeutung sein: "Zu allen drei Wahlen wird deutlich, dass die Kaufkraft an Bedeutung gewonnen hat. Sie zeigt sowohl zu den Kreiswahlen als auch zur Landtags- und Europawahl einen signifikanten, negativen Zusammenhang zum AfD-Stimmenanteil auf." Das heißt, je niedriger die Kaufkraft, desto mehr Stimmen für die AfD.
Mit Blick auf alle untersuchten Faktoren, die zu Wahlentscheidungen führen können, bestätigt die Studie aus Jena mit ihren Ergebnissen Zustände und Trends, die zahlreiche weitere Forschungsgruppen im deutschsprachigen Raum seit Jahren ähnlich beschreiben. Das zeigt sich auch, nimmt man die Kernwählerschaft der AfD in den Fokus.
Am häufigsten wählen die Partei zwischen 36 und 60 Jahre alte Männer, die auf dem Land leben und durchschnittlich gebildet sind. "Mit Blick auf die vergangenen Kreis-, Landtags- und Europawahlen in Thüringen hat sich dieses Bild verfestigt", teilt Studien-Mitautor Richter fest.
Infrastruktur, Einkommen, Verlustangst
Stichwort Infrastruktur: "Je geringer die Luftliniendistanz zu wichtigen zentralen Orten der Daseinsvorsorge wie Apotheken oder Grundschulen, umso niedriger der Zuspruch zur AfD in den Gemeinden", heißt es in der Studie. Oder andersrum formuliert: "Je höher die Infrastrukturdefizite ausfallen, umso höher liegen die Stimmenanteile der AfD."
In sogenannten abgehängten Regionen übersetzten sich Infrastrukturdefizite in das Gefühl absoluter oder relativer Benachteiligung.
Auch dieser Zusammenhang ist bereits bekannt und wird von Salheisers Team noch einmal bestätigt. "In sogenannten abgehängten Regionen übersetzten sich Infrastrukturdefizite in das Gefühl absoluter oder relativer Benachteiligung", schreiben die Forscher.
"Das wiederum befördert Frustration, Enttäuschung und kollektiv geteilte Wut, führt zu Missbilligung und Abwehr der 'etablierten' Politik und findet spätestens an den Wahlurnen seinen Ausdruck - und kann damit auch die Wahl rechtspopulistischer Parteien begünstigen."
Stichwort Einkommen: Je nach Umfrageinstitut sind bis zu 49 Prozent der AfD-Wähler Arbeiter, die durchschnittlich weniger verdienen als andere Berufsgruppen. Menschen mit niedrigeren Einkommen wählen häufiger AfD als Durschnitts- und Besserverdiener.
Auch das ist bekannt und so war es auch wieder bei diesen Thüringer Wahlen. Erneut wurde deutlich, dass die "AfD besonders in Regionen, die relativ zum Thüringer Durchschnitt wirtschaftlich schlechter gestellt sind, ein günstiges Mobilisierungsumfeld" vorfindet, heißt es im Forschungsbericht.
Es zeige sich, dass sich "insbesondere Personen, deren wirtschaftliche Ausgangslage eher ungünstig ist, oder diejenigen, die von den wirtschaftlichen Modernisierungsprozessen der Vergangenheit nicht profitieren konnten, aus Enttäuschung und Frust etablierten Parteien den Rücken kehren und sich radikal bzw. extrem rechten Parteien" zuwendeten.
Dabei spiele beim Thema Geld auch die Angst vor möglichem Verlust und Abstieg in der Zukunft eine Rolle. "Die Sorge, den eigenen Lebensstandard künftig nicht halten zu können, wird als ausschlaggebender Faktor für die Wahl radikal bzw. extrem rechter Parteien" gesehen.
Fazit: Alter, Geschlecht, Kaufkraft, Infrastruktur, Einkommen, Verlustangst waren auch bei den drei Thüringer Wahlen des vergangenen Jahres Faktoren, die die Entscheidungen der Thüringer in der Wahlkabine beeinflusst haben.
Auf diese Einflussgrößen allerdings entfalle laut Studienleiter Axel Salheiser "lediglich rund ein Drittel der gesamten Erklärkraft", um die AfD-Wahlergebnisse zu erklären. Die verbleibenden zwei Drittel könnten nur mit den politischen Überzeugungen der AfD-Wähler erklärt werden.
MDR (fno/baw)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 31. Januar 2025 | 19:00 Uhr
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