Björn Höcke, AfD-Fraktionschef
Björn Höcke hat als Thüringer AfD-Chef andere Parteien zu Verhandlungen über eine Thüringer Regierung eingeladen. Doch keiner will mit ihm reden. Ist das noch demokratisch? Bildrechte: picture alliance/dpa | Martin Schutt

Landtagswahl Warum die AfD als stärkste Partei nicht in der Landesregierung sein muss

06. September 2024, 18:22 Uhr

Die AfD holt bei der Landtagswahl in Thüringen die meisten Stimmen - aber kann voraussichtlich nicht die Regierung stellen. Das führt zu vielfacher Kritik, dass dies nicht dem Wählerwillen entspricht. Eine Einordnung.

"Warum wurde überhaupt gewählt, wenn nicht der Wähler zählt? Der Wähler hat entschieden und das eindeutig. Auch wenn es manchem nicht passt." "Die Mehrheit hat AfD gewählt. Nur um das Ergebnis nicht anzuerkennen, schließen sich Parteien zusammen, um den Sieger zu verhindern. Das ist keine Demokratie, das ist schlichtweg Betrug." Das sind nur zwei von weit mehr als 100 Nutzerkommentaren auf unserer Webseite, unter Postings auf unseren Facebook- und Instagram-Auftritten, die uns nach der Thüringer Landtagswahl am Sonntag erreicht haben.

CDU, BSW, Linke und SPD vor der Wahl gegen AfD-Koalition

Sie alle beschäftigten sich seit Sonntag mit dieser Frage: Warum stellt die AfD als Partei mit den meisten Stimmen zur Thüringer Landtagswahl nicht auch die neue Landesregierung? Thüringens AfD-Chef Björn und AfD-Spitzenkandidat Höcke auf MDR AKTUELL hatte noch am Wahltag erklärt. "Es ist gute parlamentarische Tradition, dass die stärkste Kraft zu Gesprächen einlädt.[...] Wir werden entscheiden, wem wir diese Gespräche anbieten." Doch bisher will keine der im Thüringer Landtag vertretenen Parteien mit der AfD offiziell über eine Koalition oder Zusammenarbeit sprechen. Das hatten CDU, BSW und SPD auch schon vor der Wahl angekündigt. Und das ist der erste Punkt: Viele Wähler dürften eine der Parteien auch wegen genau dieses Wahlversprechens gewählt haben. Und bei einer Koalition mit der AfD würde dieser Wählerwille nicht erfüllt.

Dazu kommt, dass die AfD zwar stärkste politische Kraft in Thüringen geworden ist. Aber laut einer Umfrage von Infratest Dimap ist eine Mehrheit der Thüringer dafür, dass die CDU die nächste Landesregierung führen sollte. Und eine Mehrheit von 57 zu 40 Prozent würde eine Beteiligung der AfD an einer Landesregierung nicht gut finden. Die knapp 33 Prozent für die AfD spiegeln dabei ebensowenig wie zum Beispiel die knapp 24 Prozent für die CDU den Anteil der Beliebtheit der Parteien bei den Thüringern. Denn trotz einer rekordverdächtigen Wahlbeteiligung von fast 74 Prozent blieb etwa jeder Vierte der Wahlurne fern - zu einem großen Teil auch, weil den Nichtwählern keine der Parteien überzeugen konnte.

Wähler wählen Parteien, keine Regierungen

Der zweite Punkt: Entscheidend für eine parlamentarische Demokratie ist nicht, wer die meisten Stimmen bei der Wahl erzielt, sondern wer bei der Verabschiedung von Gesetzen im Parlament die Mehrheit stellt. Wer also am Ende des Tages über mehr als die Hälfte der Abgeordneten im Landtag verfügt. Es geht dabei darum, regierungs- und mehrheitsfähig zu sein: "Wenn die anderen Fraktionen im Parlament eine Mehrheit bilden, bilden sie den Willen der Mehrheit der Wähler ab", fasst es Uwe Jun, Politik-Professor an der Uni Trier gegenüber BR24, zusammen. Und müssen dabei unterschiedlichste Interessen zwischen Arbeitnehmern, Beamten, Unternehmern, Rentnern oder Bürgergeld-Empfängern berücksichtigen - schon deshalb ist der immer wieder von der AfD postulierte "Volkswille" gar nicht möglich.

Aber weil die AfD mehr als ein Drittel der Landtagssitze erreicht hat, stehen ihr durch die sogenannte Sperrminorität nun einige parlamentarische Rechte zu. Auch das ist Teil der Demokratie.

Wie ist das Ergebnis der Landtagswahl in Thüringen?

Die AfD erhält nach dem vorläufigen Endergebnis 32 Sitze im Landtag, die CDU 23, das BSW 15, die Linken 12 und die SPD 6. Für eine Mehrheit werden damit 45 Sitze benötigt. Der AfD fehlen also dazu 14 Sitze, die sie durch eine Koalition mit oder durch eine Tolerierung durch anderen Parteien erzielen muss, um in Thüringen regieren zu können.

In absoluten Stimmen bedeutet das: Die AfD holte laut dem Landeswahlleiter rund knapp 400.000 Parteistimmen ("Zweitstimmen"). Die CDU kam auf 285.000, das BSW auf 190.000, die Linkspartei auf gut 150.000 und die SPD auf über 70.000 Stimmen.

Radikalisierung der AfD verhindert Zusammenarbeit

Ein grundlegendes Problem der Thüringer AfD für eine Zusammenarbeit mit anderen Parteien ist, dass sie sich zunehmend radikalisiert hat und daher vom Verfassungsschutz seit Langem als rechtsextrem eingestuft wird. Zahlreiche Medienberichte und wissenschaftliche Studien zur AfD untermauern diese Einschätzung. Auch das Thüringer Oberverwaltungsgericht erkannte die verfassungswidrige Ausrichtung der Thüringer AfD an, als es über den Waffenbesitz eines einzelnen Parteimitglieds urteilte. Damit wurde eine politische Zusammenarbeit mit anderen Parteien immer unwahrscheinlicher.

Wiederholt Regierungen ohne stärkste Partei

Und der dritte Punkt ist: Dass die AfD als stärkste Partei in Thüringen nicht an die Macht kommt, ist bei weitem kein Einzelfall in Deutschland: In der Vergangenheit gab es viele Beispiele, bei denen die stärkste Partei nicht die Regierung bildete. So erhielt bei der Bundestagswahl 1976 die CDU/CSU unter Helmut Kohl die meisten Stimmen. Doch Helmut Schmidt blieb Bundeskanzler einer SPD-FDP-Koalition. Das wiederholte sich zur Bundestagswahl 1980.

Bei der Landtagswahl 2011 in Baden-Württemberg wurde ebenso die CDU Wahlsieger. Doch die Grünen vereinbarten mit der SPD eine Landesregierung. Winfried Kretschmann (Grüne) ist seitdem Ministerpräsident des Bundeslandes.

Und in Thüringen bildeten 2014 Linke, SPD und Grüne eine Koalition, obwohl die CDU nach den Landtagswahlen stärkste Kraft geworden war. Bodo Ramelow (Linkspartei) löste daraufhin Christine Lieberknecht (CDU) als Thüringer Ministerpräsident ab.

Doch das sind bei weitem nicht alle Beispiele: Nach einer Zählung des Politikwissenschaftlers Christian Stecker wird seit 1949 in Deutschland in etwa jeder zehnten Wahl die Partei mit den meisten Stimmen nicht an der Regierung beteiligt.

Nicht einmal eine Koalition zwischen den beiden stärksten Parteien ist übrigens zwingend, da sie regelmäßig politische Konkurrenten sind. Sogenannte "Große Koalitionen" etwa zwischen SPD und CDU sind eher die Ausnahme. Typisch sind dagegen Koalitionen aus einem großen und einem kleineren Partner, zum Beispiel jahrzehntelang die FDP als kleinere Regierungspartei auf Bundesebene - auch mit wechselnden Partnern.

Als Fazit bleibt: Es ist nicht undemokratisch und kein Einzelfall, wenn die Partei mit den meisten Wählerstimmen nicht die Regierung bildet.

In Zusammenarbeit mit Christian Schneider und Andreas Kehrer.

MDR (rom)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 06. September 2024 | 19:00 Uhr

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