Biodiversität Artensterben auf dem Acker: Warum Brachflächen einen Unterschied machen

24. Juli 2024, 05:00 Uhr

Jedes Jahr vier Prozent der Ackerfläche brachliegen lassen: Dazu wollte die EU die Landwirte bis 2027 verpflichten - als Voraussetzung für die Subventionen. Jetzt ist diese Pflicht entfallen. Dabei hätte sie beim Artenschwund viel bewirken können. Mehr dazu auch in der MDR-Doku in der Mediathek.

Seit Jahrzehnten wird sie diskutiert: die Verantwortung der Landwirtschaft für die biologische Vielfalt. Immer dringlicher werden die Appelle. Vor rund vier Jahren hatten die "Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina", die "acatech - Deutsche Akademie der Technikwissenschaften" und die "Union der deutschen Akademien der Wissenschaften" in dieser Diskussion sehr grundsätzlich Stellung genommen. Mit einer Stimme und dem entsprechenden Gewicht.

Kratzdistel
Unbeliebt bei Landwirten – beliebt bei Insekten: die Acker-Kratzdistel. Bildrechte: MDR/Alexander Nowotny

Schon im Vorwort des Papiers heißt es: "Die Agrarlandschaft ist trotzdem seit geraumer Zeit in besonderem Maße von einem dramatischen Rückgang von Tier- und Pflanzenarten betroffen." Damit die Ökosysteme um uns herum nicht zusammenbrechen und die Landwirte weiter auskömmlich wirtschaften können, sehen es die Wissenschaftler als notwendig an, "die Rahmenbedingungen unserer Landwirtschaft grundlegend zu überdenken."

Vier Prozent Stilllegung - beschlossen und zurückgenommen

So ein Überdenken schien tatsächlich in der letzten Reform der Agrarpolitik der Europäischen Union zu liegen. In den Verhandlungen über die Förderung für die Jahre 2023 bis 2027 hatten die politischen Lager um eine Pflicht für die Landwirte gerungen, Felder stillzulegen. Die Regelung sollte gelten für alle Betriebe, die Direktzahlungen - also die europäischen Subventionen für die bewirtschaftete Fläche - haben wollen.

Blaue Brache, Drohnenaufnahme, Blick von oben.
Brachfläche auf magerem Boden mit blühendem Natternkopf bei Havelberg im Norden von Sachsen-Anhalt Bildrechte: MDR/Simon Breitung

Ein Tauziehen war dieser Entscheidung vorausgegangen: null Prozent oder gleich zehn Prozent brach liegen lassen? Auf vier Prozent der Betriebsfläche übers Jahr weder Feldfrüchte säen noch ernten noch den Boden bearbeiten - das hatten Kommission, EU-Parlament und Rat der Agrarminister zum Schluss ausgehandelt und beschlossen. Und dann im Frühjahr 2024 diese Regelung vollständig zurückgenommen. Nach den Bauernprotesten. Im Eilverfahren.

Stillgelegte Felder wegen Überproduktion

Dabei machen still gelegte Felder – also Brachflächen – einen Unterschied für die Artenvielfalt. Dr. Norbert Röder ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Thünen-Institut für Ländliche Räume in Braunschweig und dort Sprecher des Arbeitsbereichs "Landnutzung und natürliche Ressourcen". Mit seinem Team erforscht er seit mehr als 20 Jahren, wie sich agrarpolitische Entscheidungen der EU auswirken in der Landschaft – unter anderem auf die Biodiversität.

Er verweist darauf, dass es Stilllegungen gegen Zahlungen aus Brüssel in den 90er-Jahren schon einmal gab. Als Mittel, um die Produktion von Nahrungsmitteln weit über dem Bedarf einzuschränken. Stichwort Butterberge und Milchseen.

Brachen als Horte der Artenvielfalt

Mitte der 2000er-Jahre waren die Bestände aus der Überproduktion abgebaut. Und damit hatte sich der Grund erledigt, die Landwirte dafür zu bezahlen, dass sie Ackerflächen nicht nutzen. Brachflächen verschwanden weitestgehend aus der Landschaft.

Je intensiver ein Acker genutzt wird, desto weniger Arten sind dort zu finden.

Dr. Norbert Röder Thünen-Institut für Ländliche Räume in Braunschweig

Doch die Wissenschaft hatte beobachtet, dass sie einen Effekt hatten. "Die Herausforderung ist, dass diese nicht genutzten Flächen, diese lückigen Bestände sehr wichtig für die Biodiversität sind. Und das hat man auch erkannt. Deshalb war es immer eine Forderung, solche Flächen wieder in die Landschaft zu bringen, die deutlich artenreicher sind als das normal genutzte." sagt Röder im Gespräch mit dem MDR.

Dr. Norbert Röder
Dr. Norbert Röder, Agrarwissenschaftler am Thünen-Institut für Ländliche Räume Braunschweig. Bildrechte: MDR/Loréne Gensel

Felder als schwierige Lebensräume für Wildpflanzen

Je intensiver ein Acker genutzt wird, desto weniger Arten sind dort zu finden. Ausgangspunkt - erklärt Röder - sei die Zahl der Pflanzenarten. Neben den angebauten Feldfrüchten hätten es andere Pflanzen nicht leicht. In der Konkurrenz um Licht und Nischen, in denen der Samen keimen kann, fänden sie dort keine guten Bedingungen.

In den dichten Beständen zum Beispiel bei Getreide stünden die Chancen für niedrigwüchsige Pflanzen nicht gut. Dazu kämen auf intensiv genutzten Flächen häufige Störungen: das Säen, Ernten, Boden umbrechen - für Wildpflanzen bleibe da nur eine kurze Zeitspanne, um sich zu vermehren. Das würden nur noch wenige Arten schaffen.

Samen von Konkurrenten vom Acker fernhalten

Wie Agrarbetriebe ganz gezielt dafür sorgen, dass Ackerkräuter vom Feld wegbleiben, erklärt Florian Grobe als Geschäftsführer der Erzeugergenossenschaft Kromsdorf östlich von Weimar. Im Unternehmen werden Feldränder und an die Äcker angrenzende Flächen zweimal im Jahr gemulcht.

Der Geschäftsführer sagt, konkurrenzstarke Wildpflanzen wie der Ackerfuchsschwanz könnten sonst ein echtes Problem für ein Getreidefeld werden. Die Pflanze produziert viele Samen. Wenn sie sich auf einer Fläche ausgebreitet hat, kann das bis zu 30 Prozent der Erträge kosten.

Getreidefeld bei Umpferstedt.
120 Hektar ohne Strukturelemente: Getreidefeld bei Weimar Bildrechte: MDR/Loréne Gensel

Grobe erklärt, warum ein Landwirt das unbedingt zu vermeiden versucht: Der Ackerfuchsschwanz sei schwer zu bekämpfen. Nur wenige Pflanzenschutzmittel würden wirken und das "Black Grass", wie es auf Englisch heißt, werde dagegen relativ schnell resistent.

Mit Mulchen die Kontrolle behalten

Für Grobe und seine 16 Mitarbeiter, die mehr als 2.000 Hektar Fläche bearbeiten, gehört das Mulchen deshalb zu den nötigen Arbeiten im Jahresablauf. Genauso wie das Säen, Ernten und die Bodenbearbeitung. Das Ziel: Samen gar nicht erst reif werden lassen. Mit dem Mulchgerät wird der Bewuchs vom Feldrand abgeschnitten und sofort zerkleinert. Er bleibt dann auf der Fläche liegen und dient dort als natürlicher Dünger. Mit dem Effekt, dass solche Feldränder als Lebensraum für Pflanzen ausscheiden, die mit wenig Nährstoffen auskommen.

Im Dienste der Artenvielfalt abzuwarten, bis die Samen reif sind, sei schwierig, sagt Florian Grobe: "Da ist einfach die Gefahr zu groß, dass die Unkräuter in die Fläche getragen werden. Etwa mit unseren Maschinen, zum Beispiel über die Mähdrescher bei der Ernte. Deswegen ist es für uns wichtig, dass wir den Schnitt schon vorher durchführen und die Unkräuter am Rand kurzhalten, dass diese Gefahr erst gar nicht auftritt."

Anzahl der Tierarten hängt ab von Pflanzen-Vielfalt

Aus der Sicht eines Betriebes, der die Kosten für die Produktion im Griff haben muss, absolut nachvollziehbar. Allerdings sagt Agrarwissenschaftler Röder, die Zahl der Pflanzenarten entscheide über die Artenvielfalt rund um die Äcker. "Man sagt: An jeder Pflanzenart hängen so zwischen zehn und 50 Tierarten in Offenland-Ökosystemen in Mitteleuropa."

Kiebitz im Naturkundemuseum
Ein Feldvogel kurz vor dem Aussterben – präparierter Kiebitz im Naturkundemuseum Erfurt. Bildrechte: MDR/Benjamin Pfeiler

Und dann seien Störungen wie Feldarbeiten, Mähen oder Mulchen auch ein wichtiger Faktor, wenn sich Vögel oder Insekten vermehren. Die Zeit für Nestbau, Brüten und Aufzucht des Nachwuchses sei da oft zu kurz für eine starke Nachkommenschaft. Röder nennt weitere Faktoren wie die immer größer werdenden Schläge, die wilden Tieren und Pflanzen ein Leben auf dem Acker schwer machen.

Anträge auf ökologische Vorrangflächen 2022 in Mitteldeutschland.
Anträge auf ökologische Vorrangflächen 2022 in Mitteldeutschland. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Ökoflächen als Weg zu mehreren Zielen

Unter anderem als Konsequenz aus solchen Erkenntnissen führte die EU 2015 das sogenannte Greening ein. Die Direktzahlungen an die Landwirte wurden bis 2022 unter anderem verknüpft mit der Verpflichtung, fünf Prozent der Betriebsfläche als sogenannte ökologische Vorrangflächen zu gestalten. Die Landwirte konnten auswählen aus einem Katalog von zuletzt 23 Maßnahmen.

Röder sagt rückblickend: "Das Problem war: Man hatte drei verschiedene Ziele, die man mit derselben Maßnahme erreichen wollte. Und das machte das Ganze schon mal schwierig." Man habe Biodiversität erhalten wollen, darüber hinaus aber auch die Eiweißversorgung im Ackerbau in Mitteleuropa steigern. Und man habe etwas tun wollen für den Bodenschutz und den Rückhalt von Nährstoffen.

Gründünger mit wenig Effekt für Artenvielfalt

Bodenschutz und Nährstoffrückhalt - das war den Landwirten in Mitteldeutschland am nächsten. Sie entschieden sich 2022, dem letzten Jahr mit den ökologischen Vorrangflächen, vor allem für den Anbau von Zwischenfrüchten.

Begrünte Brachflächen bei Weimar.
Brachflächen der Erzeugergenossenschaft Kromsdorf an einem Hang. Bildrechte: MDR/Niklas Edelmann

Die werden nach Ernte und Bodenbearbeitung ausgesät und wachsen über den Herbst und in den Winter hinein als Schutz vor Erosion. Im zeitigen Frühjahr werden die Pflanzen in den Boden eingearbeitet. Als Gründünger für die Ackerfrüchte der neuen Saison.

Der größte Vorteil dabei: Die Flächen wurden als erfüllte Pflicht für die Direktzahlungen anerkannt. Sie standen aber über Frühjahr und Sommer voll zur Verfügung für Anbau und Ernte. Die Einschätzung von Dr. Norbert Röder: Zwischenfrüchte anzubauen sei sehr wirksam für den Schutz und den Nährstoffgehalt von Ackerböden. Für die Biodiversität außerhalb des Bodens brächten sie jedoch so gut wie nichts.

Landwirt will selbst über Ökoflächen entscheiden

Hecken, Gehölzinseln, Blühstreifen, Feldraine, Brachen – Landwirte wie Florian Grobe wollen vor allem nicht zu Quoten verpflichtet werden. Zwischenfrüchte gehören bei der Erzeugergenossenschaft Kromsdorf auch ohne Vorgaben zum Standard. Dort, wo im Frühjahr Mais angesät wird, sind sie eine gute Vorbereitung – und mit der Fruchtfolge rotieren deshalb auch die Zwischenfrüchte.

Florian Grobe
Florian Grobe, Geschäftsführer der Erzeugergenossenschaft Kromsdorf bei Weimar. Bildrechte: MDR/Loréne Gensel

Über stillgelegte Felder sagt Grobe: "Der Umfang wird sich vielleicht reduzieren, weil wir nicht mehr verpflichtet sind, diese vier Prozent zu machen. Es werden dann vielleicht nur noch zwei, zweieinhalb, drei Prozent sein. Aber grundsätzlich sind die Brachen weiter Bestandteil von unserem Anbau."

Brachen, so Grobe, platziere das Unternehmen auf Flächen, die weit weg sind vom Betriebsgelände. Vorwiegend dort, wo die Qualität des Bodens nicht einheitlich oder nicht sehr hoch ist. Und als Schutzstreifen an Gewässern und Rändern von Wäldern.

Vorrangflächen haben den Artenschwund gebremst

Hecken, Gehölzinseln, Blühstreifen, Feldraine, Brachen – Dr. Norbert Röder sagt, die hätten den größten Effekt für die Artenvielfalt. Gerade, wenn sie länger auf einer Fläche blieben und nicht schon nach einem Jahr wieder verschwänden. Aus Sicht der Agrarwissenschaft zieht Röder gar keine schlechte Bilanz der Jahre 2015 bis 2022 mit der Pflicht zu ökologischen Vorrangflächen.

Wir haben auf jeden Fall in diesem Zeitraum eine Stabilisierung erreicht - Minimum. Vorher hatten wir einen sehr steilen Abwärtstrend.

Dr. Norbert Röder Thünen-Institut für Ländliche Räume in Braunschweig

"Wir haben auf jeden Fall in diesem Zeitraum eine Stabilisierung erreicht - Minimum. Vorher hatten wir einen sehr steilen Abwärtstrend. In den Indikatoren, die flächendeckend verfügbar sind, sehen wir jetzt zumindest mal, dass es nicht mehr schlechter geworden ist. Und zum Teil auch leichte Anstiege. Es gibt gewisse Arten, also gerade zum Beispiel die Grauammer, die sehr stark von Brachen profitieren."

Prognosen für eine Trend-Umkehr

In der erst beschlossenen und dann revidierten Pflicht, von 2023 bis 2027 jedes Jahr vier Prozent der Flächen stillzulegen, hatte die Agrarwissenschaft eine Chance gesehen. Dr. Norbert Röder geht davon aus, dass vor allem in Regionen, wo die Landwirte sehr intensiv wirtschaften, wieder mehr Brachen entstanden wären.

Ackerfuchsschwanz in Getreidefeld.
Ungeliebte Konkurrenz im Getreidefeld: Der Ackerfuchsschwanz. Bildrechte: MDR/Loréne Gensel

Auf der Basis von Studien und Modellrechnungen hatten die Experten eine Prognose für Deutschland vorgelegt. "Man wusste aus den Feldversuchen, dass man eine sehr starke Steigerung hinkriegt im Vergleich zum Acker. Also wir reden da um die Verdrei- bis Verzehnfachung. Das sind also Riesenmengen", sagt Röder. Bei den Feldvögeln habe man beispielsweise erwartet, dass sich der Stand vom Jahr 2000 wiederherstellen lässt. Trendumkehr nennt Röder das.

EU gibt Extra-Geld für nicht genutzte Felder

Die EU hat die Stilllegungs-Pflicht gestrichen, zuvor aber einen neuen Fördertopf geschaffen. Aus dem werden die Landwirte zusätzlich honoriert, wenn sie Felder nicht beackern. Vor allem für das erste Prozent der Betriebsfläche ist der Betrag attraktiv: 1.300 Euro pro Hektar.

Das Bundeslandwirtschaftsministerium erklärte Anfang Juli 2024, mit dieser niedrigen Einstiegsschwelle sei diese neue Öko-Regelung vor allem für kleine und mittlere Betriebe attraktiver geworden. Bei Brachen und Blühflächen, so das Ministerium, sei die Zahl der Förderanträge gegenüber 2023 um mehr als 360 Prozent gestiegen. 2023 hatten die Landwirte allerdings rund 40 Prozent der Gelder aus diesem Topf nicht abgefragt.

Freiwillige Stilllegung gegen Extra-Zahlung? Für Trend-Umkehr fehlt Geld

Freiwillige Stilllegung von Äckern gegen Extra-Zahlung: Ist das der Weg, den Effekt zu erreichen, den die Wissenschaft von vier Prozent Pflicht-Stilllegung erwartet hatte? Agrarexperte Röder ist nicht sehr optimistisch: "Vorher war es so: Um überhaupt die Direktzahlungen zu bekommen, musste ich diese vier Prozent bereitstellen. Jetzt muss man es nicht mehr. Das heißt, man bräuchte jetzt wieder Finanzmittel, um diese vier Prozent zu haben. Man müsste mehr Geld dafür bereitstellen. Und das ist im Augenblick nicht zu sehen."

Blüten auf Brachfläche.
Violette Zottelwicke und roter Inkarnatklee – angesäter Bodenschutz auf einer Brache bei Weimar. Bildrechte: MDR/Loréne Gensel

Das Wichtigste ist aus Röders Sicht, mit den Brachen, die jetzt entstehen, den größtmöglichen Effekt zu erreichen. Sie also so zu platzieren, dass Gewässer, Böden, wilde Pflanzen und Tiere gleichzeitig geschützt werden.

Mehr zum Artensterben sehen Sie im Film von Exakt - die Story. Schon jetzt in der ARD-Mediathek:

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Die Grafik zeigt rote Gebiete in einigen Teilen Deutschlands. Hier könnten sich invasive Arten künfitg noch stärker ausbreiten. mit Audio
Die Grafik zeigt rote Gebiete in einigen Teilen Deutschlands. Hier könnten sich invasive Arten künfitg noch stärker ausbreiten. Bildrechte: Fabian Sittaro, Fakultät für Physik und Geowissenschaften der Universität Leipzig

MDR (dvs/gh)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | Exakt - die Story | 24. Juli 2024 | 20:15 Uhr

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