Landtagswahl 2019 MDR Wahlarena: Schlagabtausch der Spitzenkandidaten
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27. August 2019, 05:46 Uhr
Sechs Tage vor der Landtagswahl in Sachsen haben sich die Spitzenkandidaten von CDU, SPD, Grünen, Linken, FDP und AfD am Montagabend im Dresdner Kongresszentrum den Fragen der Wähler zu den Themenblöcken "Klima, Kohle Umwelt", "Stadt, Land, Sicherheit" sowie "Wirtschaft und Niedriglohnland" gestellt. Die Leiterin des Politikressorts von MDR SACHSEN, Uta Deckow, sowie Gunnar Breske, Politikredakteur bei MDR AKTUELL, moderierten den Abend mit hundert Gästen. Eine Rezension von Katrin Tominski.
Viele Phrasen, ausweichende Antworten, wenig Konkretes und Wiederholung von ausformulierten Wahlkampf-Parteiprogrammpunkten: Bei strengem Urteil lässt sich die Diskussion der Spitzenkandidaten kurz vor der Landtagswahl genau so zusammenfassen. Natürlich gab es Ausnahmen, natürlich nahm die Konzentration am Ende ab, natürlich lassen sich nicht sofort alle Details herbeizaubern. Und natürlich ist da noch der Druck: Wie etwas Prägnantes sagen? Wie antworten, wenn die Zeit im Nacken sitzt und die Gesprächspartner zahlreich sind?
Brisante Wahl
Trotzdem: Dieser Wahlkampf ist zu brisant, die Herausforderungen der Zeit zu gravierend, die Fragen der Menschen zu groß, als dass Phrasen und oft gehörte Politikersprechsätze ausreichen, um Antworten zu servieren. Zumal: Alle können es besser, viel besser. Besonders Katja Meier (Grüne) und Martin Dulig (SPD). Ministerpäsident Michael Kretschmer hat versucht, einen kühlen Kopf zu bewahren, rational zu analysieren und ist doch in den von der CDU gewohnten Was-wir-alles-geleistet-haben-Mechanismus verfallen. Selbst Jörg Urban von der erfolgssicheren AfD schien nervös, überlegte lange und antwortete nur, wenn er gefragt wurde. Ja keine Fehler machen, so kurz vor der Wahl. Holger Zastrow (FDP) polterte wie gewohnt für Straßen und Autos, nur etwas angestrengter. Lediglich Rico Gebhardt (Die Linke) schien Spaß zu haben - gilt der sichere Oppositionsplatz doch den Linken, glaubt man zumindest den Ankündigungen einer möglichen Kenia-Koalition von Martin Dulig gleich zu Beginn der Sendung.
Ankündigung einer möglichen Kenia-Koalition
Dulig, derzeitiger Vize-Ministerpräsident und Wirtschaftsminister Sachsens, erklärte beim Thema Kohleausstieg: "Wir tragen Verantwortung, es geht um Verlässlichkeit. Am Schluss geht's ja darum: Haben wir eine Mehrheit von CDU, Grünen und SPD oder wird das Land unregierbar?" Dulig verteidigte den Kohlekompromiss zum Strukturwandel in der Lausitz und sprang Kretschmer damit zur Seite. Es gehe darum, "den Prozess zu Ende zu denken und zu Ende zu führen". "Wir haben mit der Entscheidung des Kompromisses zum Kohleausstieg 2038 jetzt die Chance. Wer jetzt den Kompromiss klein und kaputt redet, wird ihn nie wieder zusammenbekommen", sagte Dulig. "Wir müssen Innovation und Nachhaltigkeit zusammenzubringen." Nur so könne Versorgungssicherheit gewährleistet und der Wandel gestaltet werden. Der Politiker lehnte eine Sonderwirtschaftszone für die Lausitz ab. "Da wurde schon immer Lohndumping betrieben. Ich möchte eine nachhaltige Wirtschaftspolitik mit Tariflöhnen, keine Unternehmen, die nur als Glücksritter kommen", sagte der SPD-Spitzenkandidat. Vorher hatte Holger Zastrow gewettert: "Ich finde den Kohleausstieg falsch, der Kompromiss ist nicht gut, der Freistaat hat sich über den Tisch ziehen lassen, wir hätten besser verhandeln müssen."
Versorgungssicherheit trotz Energiewende?
"Wie kann die Versorgungssicherheit mit bezahlbarer Energie geleistet werden?", fragte Silke Rudolph aus Lohsa gleich zu Beginn des Abends.
Grünen-Spitzenkandidatin Meier erklärte: "Wir müssen die Handbremse lösen und in erneuerbare Energien investieren." Deutschland und Sachsen bräuchten Windkraft- und Solaranlagen. Wenn es genug davon gebe, könnten Lücken im Netz mit Energien aus anderen Regionen gespeist werden. "Je mehr erneuerbare Energien wir im Netz haben, desto günstiger werden die Energien."
AfD-Spitzenkandidat Urban hielt vom geplanten Kohleausstieg nichts. "Wir haben als AfD eine sehr kritische Haltung zu Atomausstieg und Kohleausstieg", sagte er. "Die Möglichkeiten, die wir in Deutschland haben, auf den Klimawandel Einfluss zu nehmen, sind verschwindend gering." Es sei unverantwortlich, für den Kohleausstieg eine ganze Region zu riskieren.
Treibhausgase reduzieren
Damit brachte der Politiker eine Friday-for-Future-Anhängerin im Publikum auf den Plan. "Wir haben das Problem, dass sich Millionen von Menschen aus dem Süden auf den Weg machen. Sie können gar nicht anders, als sich auf den Weg zu machen, weil ihre Regionen durch die Klimakrise unbewohnbar werden. Die Prognosen liegen da, es ist klar, wenn wir jetzt nichts gegen die Klimakrise tun, werden die Menschen in Zukunft leiden." Sie fragte: "Wie wollen Sie es schaffen, dass die Treibhausgase reduziert werden und das Pariser Klimaabkommen eingehalten wird?" Linken-Spitzenkandidat Gebhardt erklärte: "Wir müssen investieren, den ÖPNV ausdehnen und energetische Sanierung vorantreiben. Doch wir müssen vor allem Energie einsparen." Gebhardt hatte gleich noch einen Vorschlag parat. Kommunen könnten sich mit zehn Prozent an Windrädern beteiligen, da würde sich auch die Angst vor den Anlagen legen.
Kretschmer kontert Urban
Kretschmer konnte sich indes gar nicht auf die Frage konzentrieren, so hatte ihn die Äußerung Urbans zur Lausitz auf die Palme gebracht. "Ich finde es unverantwortlich, so zu tun, als ob die Region fallen gelassen wird", konterte er Urban. "Wir haben 20 Jahre Zeit, wir bauen jetzt etwas Neues auf mit neuen Arbeitsplätzen, neuer Infrastruktur, neuer Wirtschaft. Die Dinge sind alle in Vorbereitung; so eine große Chance hat die Lausitz noch nie gehabt." Meier findet zur Treibhausgas-Frage zurück: "Wir müssen schnell und sofort handeln, die Bundesregierung hat sich schon vor zehn Jahren auf die Klimaziele festgelegt, in Sachsen ist nichts passiert; der Kohleausstieg wird sich wirtschaftlich entscheiden", erklärte sie. Davon wiederum hielt FDP-Spitzenkandidat Zastrow nichts und polterte polemisch. "Wir sind ein Industrieland, wir vergessen, was die Grundlage unseres Wohlstands sind. Einigen steigt der Wohlstand wohl zu Kopf."
Verkehrswende als Schlüssel
Dulig führte die Verkehrswende ins Feld. "Wir müssen klüger produzieren und klüger konsumieren. Ich finde es richtig, dass eine jüngere Generation aufsteht und sagt, ihr habt Verantwortung für uns", sagte er. "Wir müssen die Verkehrswende in Sachsen voranbringen. Wir brauchen mehr Busse und Bahnen, wir wollen eine Million Menschen mehr mit dem öffentlichen Nahverkehr erreichen."
Frage: Wie ehrlich müssen wir sein mit uns selbst?
Nächste Frage aus dem Publikum: Warum sind wir nicht so ehrlich, dass unser Lebensstil in keiner Weise kompatibel ist mit einer überlebbaren Zukunft? Spätestens jetzt werden die Antworten richtig schwammig. "Wir müssen wirtschaftlich einen anderen Blick bekommen und die regionale Wirtschaft vor Ort stärken, damit keine langen Lieferwege entstehen", sagte Meier von den Grünen. "Wir leben auf großem Fuß, Umweltzerstörung gehört zur Zivilisation dazu", erklärte AfD-Kandidat Urban. Er sehe jedoch keinen Zusammenhang mit CO2-Emissionen. "Wir haben in Deutschland keine Möglichkeit, Einfluss zu nehmen, unser Anteil an weltweiten Emissionen ist mikroskopisch."
Gebhardt appelliert an Verzicht
Lediglich Gebhardt wurde klarer. "Wir haben die letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte immer nach der Devise 'höher, schneller weiter' gelebt", sagte der Linken-Politiker. Diese Situation gelte es jetzt zur durchbrechen. "Welcher Politiker sagt denn gleichzeitig, wir müssen jetzt mal auf ein bisschen verzichten. Wer das sagt, hat schlechte Chancen bei den Wahlen." Gebhardt appellierte: "Lasst uns alle gemeinsam darüber nachdenken, wie wir kreativ Dinge, die uns allen gefallen, tatsächlich reduzieren, ohne dass wir das als Verzicht empfinden."
Wie kann öffentlicher Nahverkehr attraktiv werden?
Nächstes Thema: Stadt, Land, Sicherheit. Zuschauer Albrecht Dürr pendelt jeden Tag von Ebersbach bei Meißen nach Bautzen. Mit dem ÖPNV braucht er über zwei Stunden, mit dem Auto 50 Minuten. Er fragte: Wie können Menschen, die auf dem Land leben, ihren Arbeitsplatz erreichen? Meier von den Grünen erklärte: "Wir brauchen eine Mobilitätsgarantie für ganz Sachsen, dass es mindestens ein Ein-Stunden-Takt-Angebot an Bus und Bahn gibt." Die Verkehrsmittel müssten zumindest gut getaktet werden.
Dulig verweist auf ein dringend nötiges und "einfaches, sachsenweites Angebot". Dabei ginge es auch um einheitliche Tarife, wie einen Sachsentarif und das Bildungsticket. "Wir müssen den ÖPNV ausbauen und die Hürden senken, damit er auch stärker genutzt wird." Kretschmer wollte sich hingegen nicht allein auf den Nahverkehr festlegen. "Jeder soll nach seiner Fasson glücklich werden, auch Autofahrer. Man darf die Mobilitäten nicht gegeneinander ausspielen. Wir haben viel in Buslinien investiert. Diesen Weg werden wir konsequent weitergehen." Urban erklärte: Verkehr allein reiche nicht, man brauche auch Arbeitsplätze im ländlichen Raum. Gebhardt will mit einer Verkehrsabgabe den öffentlichen Nahverkehr finanzieren.
Wie können Menschen von ihrer Arbeit leben?
Die letzte Frage der Sendung wurde am wenigsten beantwortet. "Wie kann es sein, dass es so viele Menschen gibt, die von ihrer Arbeit nicht leben können, sondern aufstocken müssen? Wie demütigend ist das in so einem reichen Land?", fragte Gabriele Peudert aus Wachau sichtlich emotional. "Wir haben in Sachsen ein strukturelles Problem, die Unternehmen sind zu klein", erklärte Zastrow von der FDP. Dulig verwies auf Nachholbedarf beim Thema Bildung. "Die Art und Weise, wie wir Schule machen, fällt aus der Zeit", erklärte er. Meier sagte: "Über Jahrzehnte wurde Sachsen als Billiglohnland verkauft, das fällt uns jetzt auf die Füße." Davon seien auch Frauen betroffen, die jetzt niedrige Renten bekommen. Die soziale Frage des 21. Jahrhunderts sei die Mietenfrage.
Kretschmer wollte das alles gar nicht auf sich sitzen lassen. Hier entstehe ja der Eindruck, hier seien alle ausgebeutet worden. "Unser Ziel muss sein: höhere Löhne, gute Arbeit", sagte der CDU-Politiker. Die Aufgabe des Staates sei, Bildung, Innovation und Forschung sowie Exportbedingungen für Unternehmen zu fördern. "Wir haben in den letzten 30 Jahren unglaublich viel geschaffen. Wir sind über den Berg drüber. Jetzt geben wir noch einmal richtig Gas. Wenn wir fünf Jahre weiter schauen, werden Sie sehen, haben wir viel mehr Tarifbindung und höhere Löhne."
Quelle: MDR
Dieses Thema im Programm bei MDR SACHSEN MDR | 26.08.2019 | 20:15 Uhr
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