Biorhythmus in der Schule Unterrichtsbeginn kurz vor Neun: Länger schlafen, besser lernen
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11. Januar 2023, 05:00 Uhr
Sich gegen sechs Uhr aus dem Bett quälen, 7:30 Uhr oder 8 Uhr in der ersten Unterrichtsstunde sitzen und dabei gegen schwere Augenlider kämpfen - das ist für die meisten Schülerinnen und Schüler in Sachsen Alltag. Doch seit einigen Jahren werden immer mehr Stimmen laut, die einen späteren Unterrichtsbeginn fordern, um dem Biorhythmus der Kinder und Jugendlichen gerecht zu werden und ihnen ein effektiveres Lernen zu ermöglichen. Erste Modellprojekte gibt es bereits - auch in Sachsen.
- Jugendliche werden in der Pubertät später müde und brauchen gleichzeitig mehr Schlaf.
- Schlafmangel kann psychische Probleme wie Angststörungen verursachen.
- Ein späterer Unterrichtsbeginn führt zu besseren Leistungen der Schüler. In Sachsen gibt es bis jetzt nur vereinzelt Schulen mit späterem Unterrichtsbeginn.
Im Leipziger Gymnasium am Palmengarten beginnt der Unterricht für Schüler und Schülerinnen ab der siebten Klasse seit 2021 erst um 8:45 Uhr. Ein Grund dafür sei der Biorhythmus der Jugendlichen, erklärte Schulleiterin Mandy Frömmel dem MDR zu Beginn des Modellversuchs, der von der Schulleitung in Absprache mit Elternrat, Schülerrat und Schulkonferenz ganz demokratisch auf den Weg gebracht wurde.
Jugendliche haben anderen Schlafrhythmus
"Der Biorhythmus ist unser eigenes Programmierungssystem. Er bestimmt unsere Leistungsfähigkeit", erklärt Carolin Marx-Dick, die in Dresden eine Praxis für gesunden Schlaf betreibt und sich schon seit mehr als 20 Jahren mit dem Thema auseinandersetzt. Sie erzählt von sogenannten Chronotypen: "Die Eulen brauchen morgens ein bisschen länger, um in den Tag zu kommen, werden aber zum Abend hin richtig fit und leistungsfähig. Die Lerchen sind das genaue Gegenteil, die springen morgens aus dem Bett, frisch und erholt, brauchen am Abend dann aber schneller ihre Erholungsphase."
Auch Kinder hätten schon einen Biorhythmus, der sich im Vorschulalter festige, sagt Marx-Dick. "Wenn man den Kindern diesen festen Rhythmus lässt, sind sie leistungsfähig, gut gelaunt und bleiben lange gesund." Der Schlafexpertin zufolge leiden besonders Jugendliche unter dem frühen Schulbeginn, weil sich bei ihnen durch die hormonelle Umstellung in der Pubertät der Schlafrhythmus nach hinten verschiebt.
"Es gibt im Teenager-Alter das sogenannte verzögerte Schlafphasen-Syndrom", erklärt Carolin Marx-Dick. Die Jugendlichen würden erst später müde und hätten zudem ein erhöhtes Schlafbedürfnis: "Zwölfjährige, die gut um acht einschlafen konnten, werden dann zum Beispiel als 13-Jährige erst um elf müde. Und statt zehn Stunden Schlaf, brauchen sie jetzt vielleicht zwölf Stunden."
Das belegt auch die Studienlage: Forscher haben beobachtet, dass sich weltweit in der Pubertät der Schlafrhythmus nach hinten verschiebt. Gleichzeitig bekommen die Jugendlichen nicht genügend Schlaf, haben Forschende der Uni Marburg herausgefunden. "Viele Jugendliche erleben zwei bis drei Jahre lang ein absolutes Schlafdefizit", sagt Carolin Marx-Dick.
Schlafmangel führt zu psychischen Problemen
Die Konsequenzen des Schlafmangels würden schnell sichtbar, sagt Carolin Marx-Dick. Der Expertin zufolge führt ein Schlafdefizit im Jugendalter nicht nur zu schlechten Schulleistungen, sondern auch zu psychischen Problemen: "Es gibt viele Schüler, die unter Angststörungen, ADHS und Zwangsstörungen leiden. Es gibt Schüler, die einen Burnout haben."
Dass der Unterricht dennoch so früh beginnt, liegt laut Marx-Dick zum einen daran, dass Lehrer nachmittags nicht zu lang in der Schule bleiben wollen. Aber auch viele Schüler gingen lieber früher in die Schule, um dann eher "Feierabend" zu haben. Modellprojekte wie in Leipzig findet die Ärztin großartig: "Ich fände es gut, wenn der Unterricht überall um neun beginnen würde."
Positive Bilanz zu späterem Unterrichtsbeginn
In Sachsen gibt es für den Unterrichtsbeginn einen vorgegebenen Zeit-Korridor. Dieser liegt nach Angaben des Kultusministeriums zwischen 7 und 9 Uhr. Wann in diesem Zeitraum die erste Stunde beginnt, ist den Schulen selbst überlassen. Die Schule am Palmengarten schreibt dazu, das alleinige, nicht ferngesteuerte Aufwachen liege für 13- bis 18-Jährige zwischen 8:15 Uhr und 9:15 Uhr. Geht die Schule aber schon 8 Uhr los, ist diese natürliche Aufwachzeit nicht einzuhalten.
Deswegen hat das Gymnasium die erste Stunde auf 8:45 Uhr nach hinten verlegt. Ein Jahr nach Inkrafttreten der neuen Unterrichtszeiten zieht die Schule eine positive Bilanz: "Die Schlafdauer hat sich ab Klasse 7 deutlich verbessert, ein Unterrichtsbeginn ab ca. 8:45 Uhr entspricht optimal dem Leistungshoch der Schülerinnen und Schüler ab Jahrgangsstufe 7", ist auf der Internetseite der Schule zu lesen.
Matthias Gromes' Tochter besucht die siebte Klasse der Schule am Palmengarten. Auch er sieht den späteren Unterrichtsbeginn positiv: Die Unterrichtsqualität sei besser, seine Tochter könne jetzt manchmal auch morgens noch Hausaufgaben erledigen und auch der Schulweg sei sicherer, weil seine Tochter dem morgendlichen "Stressverkehr" entgehe. Davon profitiere nicht nur seine Tochter, sondern die ganze Familie, sagte er MDR SACHSEN.
Die Bilanz des sächsischen Gymnasiums bestätigt positive Erfahrungen aus anderen Modellprojekten: So wurde zum Beispiel an einem Gymnasium in Aachen der Daltonplan eingeführt, bei dem die Schüler und Schülerinnen eigenverantwortlich entscheiden können, ob sie schon zur ersten oder erst zur zweiten Stunde in die Schule kommen. Bei der Evaluation des Modellprojektes durch Münchener Wissenschaftler gaben die Jugendlichen mehrheitlich an, besser zu schlafen und in der Schule konzentrierter arbeiten zu können.
Unterricht ab 9 Uhr noch immer Einzelprojekt
Von einem flächendeckend späteren Unterrichtsbeginn ist man aber in Sachsen noch weit entfernt. Neben dem Gymnasium am Palmengarten in Leipzig beginnt zum Beispiel auch in einer Oberschule in Dresden die erste Stunde später, doch diese Schulen sind noch immer Einzelbeispiele.
Der Pressesprecher des Landesamtes für Schule und Bildung, Roman Schulz, weist auch darauf hin, dass ein späterer Unterrichtsbeginn im ländlichen Raum nur schwer umzusetzen sei, weil die Schulen dort sehr an den ÖPNV und die Schülerbeförderung gebunden seien: "Wenn der Schulbus nur um 7 Uhr kommt, bringt es wenig, wenn die erste Stunde erst um 9 Uhr beginnt".
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Dienstags direkt | 10. Januar 2023 | 20:00 Uhr
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