Bildungsempfehlung Welche weiterführende Schule ist die richtige für mein Kind?
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09. Februar 2023, 14:00 Uhr
Am 10. Februar gibt es für viele Kinder in Sachsen nicht nur Halbjahreszeugnisse, sondern auch die sogenannte Bildungsempfhehlung. Denn nach der vierten Klasse steht für Schulkinder der Wechsel zur weiterführenden Schule an. Eltern und Kinder sind dabei oft gleichermaßen verunsichert, ob das Gymnasium oder die Oberschule die richtige Wahl ist. MDR SACHSEN hat mit einer Familie, einer Schullaufbahnberaterin und einem Entwicklungspsychologen gesprochen, welche Tipps sie für diese wichtige Entscheidung haben.
- Für die Familie des zehnjährigen Oskar war die Entscheidung für das Gymnasium leicht. Das muss aber nicht in jedem Fall so sein.
- Schullaufbahnberaterin Marcella Riebe-Simmank erklärt, dass nicht nur die Noten für die Bildungsempfehlung entscheidend sind.
- Wissenschaftler halten das längere gemeinsame Lernen für die beste Möglichkeiten, allen Kindern gleiche Voraussetzungen für einen möglichst hohen Schulabschluss zu ermöglichen.
Wenn es um die Wahl der weiterführenden Schule geht, sind Eltern und Kinder schnell verunsichert. Nicht verwunderlich, denn die Entscheidung, ob der Nachwuchs eine Oberschule oder ein Gymnasium besucht, ist eine der wichtigsten in den Familien. Einer, der diese Entscheidung erst vergangenes Jahr treffen musste, ist Oskar aus Dresden. Der damals zehnjährige Grundschüler ging ganz rational an die Entscheidung ran, wie er MDR SACHSEN erzählt. Er habe sich seinen Notendurchschnitt sehr genau angesehen und bewusst entschieden, auf welche weitergehende Schule er gehen wolle.
Ich habe mir meinen Notendurchschnitt angeschaut und überlegt, wie das letzte Schuljahr so war und dann habe ich für mich selber gesagt: 'Ich gehe aufs Gymnasium. Das ist was für mich.'
Ab der dritten Klasse zieht das Tempo an
Neben seinem persönlichen Wunsch, auf ein Gymnasium gehen zu wollen, hatten auch seine Eltern Maik und Manuela im Laufe der Grundschule das Gefühl, dass ihr Oskar ein "Gymnasialkind" werden würde. Sie erzählen, dass die ersten beiden Jahre in der Schule eine Art Eingewöhnungsphase für die Kinder gewesen seien. Ab der dritten Klasse hätten die Lehrerinnen und Lehrer dann das Tempo etwas angezogen. "Da hat sich dann auch gezeigt, dass bei dem ein oder anderen die Noten etwas schlechter geworden sind", weiß Papa Maik.
Doch bei ihrem Sohn seien die Noten nicht wesentlich schlechter geworden. Verwunderlich, wie die beiden Eltern mit einem Augenzwinkern berichten, denn eigentlich hatten sie nie das Gefühl, dass ihr Oskar irgendetwas für die Schule tut. Endgültige Gewissheit habe dann die Bildungsempfehlung in der vierten Klasse gebracht.
Bildungsempfehlung als unverbindliche Handlungsempfehlung
Am Ende des ersten Halbjahres der vierten Klasse bekommen alle Schülerinnen und Schüler in Sachsen eine Bildungsempfehlung, begleitend dazu finden Gespräche zwischen Lehrern und Familien statt. Wer eine Empfehlung für das Gymnasium haben möchte, braucht in Sachsen einen Notendurchschnitt von 2,0 oder besser in den Fächern Mathematik, Deutsch und Sachkunde.
Doch auch das Lern- und Arbeitsverhalten spiele eine wichtige Rolle, betont Marcella Riebe-Simmank. Und das könne das Lehrpersonal wesentlich besser einschätzen als die Eltern. Riebe-Simmank ist Mathelehrerin an einer Grundschule in Dresden. Außerdem berät sie Eltern und Lehrkräfte bei den Gesprächen zu der schulischen Laufbahn der Kinder als sogenannte Schullaufbahnberaterin. Gemeinsam schauen sie sich jedes Schulkind einzeln an, um eine möglichst fundierte Bildungsempfehlung abgeben zu können. Für Marcella Riebe-Simmank spielt besonders der schulische Entwicklungsstand des Kindes eine wichtige Rolle. Denn letztendlich würde anhand der Leistungen und der Bereitschaft zum Lernen entschieden werden.
Haben die Kinder Lust und Spaß am Lernen? Wie ist deren Bereitschaft, Anstrengung und Ausdauer? Denn das ist für ein längeres Lernen auf einem Gymnasium ausschlaggebend.
Solche Gespräche zwischen Eltern, Schulkindern und Lehrkräften sind laut Riebe-Simmank kein Muss. Wer dieses Angebot nicht in Anspruch nehmen möchte, müsse das nicht tun. Alle anderen seien herzlich willkommen, schon bereits in der dritten Klasse über den Bildungsweg der eigenen Kinder ins Gespräch zu kommen. Auch, um frühzeitig Wünsche der bevorzugten weiterführenden Schule erfragen zu können. So könnten Kinder rechtzeitig in die entsprechende Richtung gefördert werden, falls notwendig.
Wir können eine ganze Menge tun, um Defizite, zum Beispiel in Mathematik, auszugleichen.
Doch trotz aller Hilfsangebote, Gespräche und Einschätzungen bleibt die Entscheidung, auf welcher Schule das Kind seine schulische Laufbahn fortführen möchte, in der Hand der Eltern und der Kinder selbst. Die Bildungsempfehlung ist eine Empfehlung und kein Muss.
Der Weg von der vierten in die fünfte Klasse
Alle Schülerinnen und Schüler der 4. Klasse erhalten in Sachsen mit den Halbjahresinformationen ihre Bildungsempfehlung (2023 ist das am 10. Februar). Im Anschluss daran können sie sich gemeinsam mit ihren Eltern an einer weiterführenden Schule anmelden. Grundsätzlich empfiehlt das Kultusministerium, bei der Anmeldung alternativ gewünschte Gymnasien beziehungsweise Oberschulen anzugeben.
Wunsch Gymnasium - Bildungsempfehlung Gymnasium
Hat ein Kind eine Empfehlung für ein Gymnasium bekommen, kann es sich an einem Gymnasium seiner Wahl anmelden (2023 bis zum 3. März). In manchen Fällen kann es vorkommen, dass die Bildungsempfehlung erst zum Ende des Schuljahres ausgegeben wird. Zum Beispiel dann, wenn bei einem Kind im zweiten Halbjahr der vierten Klasse noch eine erhebliche Leistungssteigerung zu erwarten ist. Dementsprechend verschiebt sich auch die Anmeldung am Gymnasium. Weitere Infos dazu finden Sie hier.
Wunsch Gymnasium - Bildungsempfehlung Oberschule
Schulkinder, die eine Empfehlung für die Oberschule bekommen haben, aber dennoch auf ein Gymnasium gehen wollen, müssen an einer sogenannten schriftlichen Leistungserhebung teilnehmen. Abgefragt werden Themen in den Bereichen Deutsch, Mathematik und Sachkunde. Für diesen Test muss das Schulkind am Gymnasium seiner Wahl sowie an einer Oberschule vorab angemeldet werden. Anmeldefrist ist auch hier 2023 der 3. März. Die Prüfung findet vier Tage später statt, mit einem möglichen Nachtermin eine Woche darauf. Zusätzlich wird mit den Eltern und Schulkindern ein verpflichtendes Gespräch geführt. Darf das Kind auf das Gymnasium gehen, muss die Anmeldung bis zum 6. April erfolgen. Weitere Infos dazu finden Sie hier.
Wunsch Oberschule - Bildungsempfehlung Gymnasium
Kinder mit einer Bildungsempfehlung für ein Gymnasium, die aber lieber auf eine Oberschule gehen wollen, müssen sich ebenfalls bis zum 3. März an der entsprechenden Schule anmelden. Ob die Anmeldung geklappt hat, erfahren die Familien 2023 am 26. Mai. Weitere Infos dazu finden Sie hier.
Wunsch Oberschule - Bildungsempfehlung Oberschule
Auch hier müssen sich die Schulkinder und Eltern bis zum 3. März 2023 an der entsprechenden Schule anmelden. Die Bestätigung gibt es am 26. Mai. Weitere Infos dazu finden Sie hier.
Wie finde ich eine Schule in meinem Umkreis?
Besonders für zugezogene Familien oder solche, die zum ersten Mal ein Kind auf eine weiterführende Schule schicken, kann die Suche nach der weiterführenden Schule schwierig sein. Denn idealerweise sollte sie nicht zu weit vom eigenen Wohnort entfernt und gut erreichbar sein. Um das zu vereinfachen, gibt es die Sächsische Schuldatenbank. In ihr sind alle öffentlichen und freien Schulen im Freistaat aufgelistet. Zudem gibt es die Möglichkeit, in einem festgelegten Radius um seinen Wohnort nach Schulen zu suchen. Hat man die richtige Schule gefunden, bietet es sich an zu schauen, ob diese einen "Tag der offenen Tür" anbietet. Dort können sich Interessierte zum Beispiel über die angebotenen Fremdsprachen, Profile und Kurse der jeweiligen Schule informieren.
Wie sinnvoll ist der Wechsel nach der vierten Klasse?
Das Thema längeres gemeinsames Lernen ist längst auch in Sachsen angekommen. Dahinter steckt die Idee, dass Kinder im Idealfall von der ersten bis zur zwölften Klasse gemeinsam zur Schule gehen. Die Entscheidung, ob sie einen Realschulabschluss oder das Abitur machen, fällt dabei erst sehr spät. Seit mehreren Jahren macht sich in Sachsen zum Beispiel die Initiative "Länger gemeinsam Lernen" dafür stark. Dass es bislang nur drei Gemeinschaftsschulen in Sachsen gibt - eine in Leipzig und zwei in Dresden - finden die Initiatoren bedauerlich.
Befürworter des längeren gemeinsamen Lernens, wie der Erziehungswissenschaftler Wolfgang Melzer, gehen davon aus, dass Begabungsunterschiede von Kindern und Jugendlichen bis zum 15. oder 16. Lebensjahr zumindest teilweise ausgeglichen werden können, wenn sie länger zusammen lernen. Damit könnten möglicherweise auch strukturelle Benachteiligungen wie ein geringes Bildungsniveau der Herkunftsfamilie oder Sprachdefizite durch einen Migrationshintergrund ausgeglichen werden.
Des Weiteren würden Eltern aus bildungsfernen Schichten ihre Kinder selten dahingehend fördern, einen höheren Bildungsabschluss als sie selbst zu machen, obwohl sie dazu in der Lage wären. Dem könnte laut den Befürwortern entgegengewirkt werden. In einer Studie aus dem Jahr 2017 kommt Wolfgang Melzer zu dem Schluss, dass Gemeinschaftsschulen leistungsfähig sind und im Vergleich zu Gymnasium sehr gut abschneiden, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Förderung.
Was sagt die Entwicklungspsychologie?
Ähnlich sieht das Professor Henrik Saalbach von der Universität Leipzig. Seiner Auffassung nach stehen Kinder aufgrund der anstehenden Bildungsempfehlung in der vierten Klasse unter einem enormen Druck. Auf der anderen Seite birgt der Schulwechsel viele Herausforderungen, von der Integration in eine neue Gruppe, neue Leistungsanforderungen und Lehrkräfte. Laut Saalbach geht das oft mit einer ungünstigen Veränderung des Selbstbildes und der Motivation sowie einem verringerten Wohlbefinden einher. Mit Blick auf andere Länder in Europa stellt er deshalb die Frage, ob ein früher Übergang zur weiterführenden Schule und ein so "mehrgliedriges Schulsystem" wie in Deutschland notwendig ist.
Bei dem Blick in andere Länder, die kein differenziertes Schulsystem haben und die dennoch im internationalen Schulleistungsvergleich deutlich besser als Deutschland abschließen, kann man hier zumindest ein Fragezeichen machen.
Laut Saalbach gibt es in der Entwicklungspsychologie Befunde dafür, dass sich die Intelligenz von Kindern mit etwa zehn Jahren stabilisiert. Dennoch gebe es bei sehr vielen Kindern auch darüber hinaus noch deutliche Veränderungen, auch was die Übertragung der Intelligenz in erfolgreiches Lernen betrifft. Heißt: Kinder, die gleich schlau sind, können ganz unterschiedliche Schulleistungen hervorbringen, weil die Entfaltung der eigenen Intelligenz und das damit verbundene Wissen und schulische Potenzial noch nicht abgeschlossen sind. Er rät deshalb dazu, die Wahl der weiterführenden Schule später anzusetzen.
Die Unterschiede in der Entfaltung des kognitiven Potenzials sprechen dafür, den Zeitpunkt der schulischen Laufbahnentscheidung nach hinten zu verschieben. Damit hätten Kinder, die weniger intellektuelle Anregungen in ihrer Entwicklung erfahren haben, eine faire Chance, mehr Lerngelegenheiten zu nutzen, um ihre Intelligenz zu entfalten bzw. diese in Wissen umzusetzen.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Dienstags direkt | 10. Januar 2023 | 20:00 Uhr