
"Queer in der DDR" Zeitzeuge und Forscher: Rainer Herrn erinnert sich an Homosexuellen-Aktivismus in Leipzig
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29. April 2025, 05:00 Uhr
Am Dienstag wird in Torgau nach Stationen in Werdau und in Dresden die Gesprächsreihe "Queer in der DDR" fortgesetzt. Dabei berichten Zeitzeuginnen und Zeitzeugen über ihre persönlichen Erfahrungen als Lesben und Schwule in der DDR. Dieser Staat ließ trotz Proklamation der Gleichberechtigung von Mann und Frau kaum Raum für nicht-konforme Lebensweisen. MDR SACHSEN hat den Aktivisten und Forscher Rainer Herrn für ein Gespräch in der Leipziger Moritzbastei getroffen. Auch die Hallenser Zeitzeugin Elke Prinz berichtet über ihre Erfahrungen und lobt die offene Atmosphäre der Veranstaltungen.
Mit Spannung und Vorfreude erwartet Rainer Herrn den Abend der Gesprächsreihe "Queer in der DDR". Die Veranstaltung im Volkshochschulzentrum in Torgau ist die dritte Station der Reihe, die bis Anfang Juni an verschiedenen Orten in Sachsen stattfindet. "Ich habe selbst in Torgau Abitur gemacht und habe mich damals noch nicht als homosexuell verstanden. Gleichwohl ist so erotisches Interesse an Männern sicherlich auch da gewesen", berichtet der 1957 Geborene im Gespräch mit MDR SACHSEN. Auf die Rückkehr nach Torgau sei er daher gespannt.
"Mit dem Auferstehen alter Vorurteile finde ich es ganz wichtig, aufs Land zu gehen, und gerade in die Kleinstädte. Großstädte sind immer liberaler und privilegierter gewesen". Deshalb habe er zuerst in Leipzig und später in Berlin gelebt, weil das Orte seien, in denen man als Minderheit anonymer und freier leben könne als im ländlichen Raum, sagt er weiter.
Ich habe selbst in Torgau Abitur gemacht und habe mich damals noch nicht als homosexuell verstanden.
Von Brandis über Leipzig nach Berlin
Rainer Herrn wurde in Brandis im Süden von Leipzig geboren und wuchs dort auf. Er studierte seit Ende der 1970er Jahre an der Universität Leipzig und half mit, die verschüttete Moritzbastei wieder zu einem Studierendentreffpunkt zu machen. Bis 1986 promovierte er und arbeitete anschließend als Universitätsassistent. Bis 2023 und für insgesamt 15 Jahre war er Medizinhistoriker an der Berliner Charité, wo er sich mit der Geschichte der Psychiatrie und Sexualwissenschaft beschäftigte. Der Autor von mehreren wissenschaftlichen Büchern hebt auch einen Aufenthalt Ende der 1990er Jahre in New York besonders als Nachwendeerfahrung hervor.
Seine wissenschaftliche Arbeit ist eng mit seinem persönlichen Engagement für die Rechte sexueller Minderheiten verbunden, das bereits in den 1980er Jahren begann. Zu der Zeit habe in der DDR kaum öffentliche Sichtbarkeit für Homosexualität gegeben. Während sich in Westdeutschland eine lebendige - wenn auch nicht konkurrenzfreie - Schwulen- und Lesbenbewegung entwickelte, musste diese in der DDR weitgehend im Verborgenen bleiben.
Im Grunde bin ich sozusagen Forscher und Zeitzeuge in so einer merkwürdigen Doppelfunktion. Das ist manchmal lustig.
Homosexuellengruppen in der gesamten DDR
Rainer Herrn war Mitbegründer einer Homosexuellengruppe in Leipzig. Sie trafen sich zunächst unter dem Schutz der evangelischen Kirche und entwickelten sich zu einem wichtigen Treffpunkt für homosexuelle Menschen, die offen über ihre Sexualität sprechen und andere kennenlernen wollten. "Im Grunde bin ich sozusagen Forscher und Zeitzeuge in so einer merkwürdigen Doppelfunktion. Das ist manchmal lustig", erzählt er.
Bis zur sogenannten Wiedervereinigung entstanden laut Rainer Herrn etwa 17 solcher Gruppen über das gesamte Gebiet der DDR verteilt. Er erinnert sich an regelmäßige Treffen, bei denen neben persönlichen Erfahrungen auch literarische und wissenschaftliche Themen wie die Verfolgung Homosexueller im Kaiserreich oder der Nazi-Zeit diskutiert worden. Trotz begrenztem politischem Einfluss trugen diese Gruppen dazu bei, ein Bewusstsein für queere Belange in der DDR zu schaffen.
Herrn: Auch Schwulenbewegung in DDR patriarchal geprägt
Rainer Herrn betont im Gespräch, dass auch die Schwulenbewegung in der DDR patriarchal geprägt war und von einer männlich dominierten Perspektive ausging. Diese männliche Fokussierung habe dazu geführt, dass Frauen sich oft ausgeschlossen fühlten und ihre Interessen unabhängig vertreten mussten. Trotz gemeinsamer Öffentlichkeit sind jeweils voneinander unabhängige Räume entstanden, was auch eine Herausforderung für den Zusammenhalt innerhalb der Community dargestellt habe.
Bisher positive Eindrücke von Zeitzeugin Elke Prinz aus Halle
Die Aktivistin Elke Prinz aus Halle/Saale war schon bei zwei Veranstaltungen dabei: beim Auftakt Ende März in Werdau und Anfang April in Dresden. Es sei eine offene und freundliche Atmosphäre gewesen. "Befürchtete Zwischenfälle sind bisher ausgeblieben und werden auch hoffentlich weiterhin ausbleiben", sagt sie im Gespräch mit MDR SACHSEN.
Auch die Alters- und Geschlechterstruktur sei sehr gemischt: Während die Älteren eigene Geschichten erzählen und detaillierte Nachfragen stellen, beschäftige die Jüngeren vor allem, was gegen eine erstarkende Rechte getan werden kann.
Befürchtete Zwischenfälle sind bisher ausgeblieben und werden auch hoffentlich weiterhin ausbleiben.
DDR-Gesellschaft "queer-freundlicher" gestalten - die "Wende" als Zäsur
Prinz ist lesbische Zeitzeugin der 1970er und 1980er Jahre. In Bernburg hatte sie damals eine Partnerin, die dann verstorben ist. Von dieser tragischen Geschichte berichtet Prinz im preisgekrönten Dokumentarfilm "Uferfrauen - Lesbisches L(i)eben und Leben in der DDR" von Barbara Wallbraun, die die Gesprächsreihe auch moderiert.
Seit Mitte der 1980er Jahre habe es in der DDR mehr Möglichkeiten gegeben, Kontaktanzeigen zu schalten, sich in den Homosexuellen-Gruppen zusammenzufinden, auszutauschen und die Gesellschaft der DDR "queer-freundlicher zu gestalten", so Prinz. "Und dann kam die Wende und wir sind eigentlich total überrollt worden von der Entwicklung".
Doch in einem sei die DDR unrühmlicher Vorreiter gewesen, erklärt Prinz: "Als der Paragraf 175 abgeschafft wurde, hat die DDR mit dem Paragraf 151 und damit dem Heraufsetzen des Schutzalters ganz gezielt und explizit auch lesbische Frauen in den Fokus genommen", so die Aktivistin.
Strafverfolgung homosexueller Menschen in der DDR Ende der 1950er Jahre stellte die DDR die Strafverfolgung homosexueller Handlungen unter Erwachsenen de facto ein. 1968 verschwand § 175 offiziell aus dem Strafgesetzbuch der DDR. Allerdings wurde ein Folgeparagraf 151 eingeführt, der ähnlich wie später in der Bundesrepublik, höhere Schutzaltersgrenzen für homosexuelle Kontakte vorsah. Er galt sowohl für homosexuelle Kontakte zwischen Frauen als auch zwischen Männern. 1988 wurde auch dessen Streichung beschlossen und 1989, wenigen Monate vor dem Mauerfall, in Kraft gesetzt. Lesben- und Schwulenverband Deutschland e.V.
Noch vier Termine bis Anfang Juni
Die Gesprächsreihe "Queer in der DDR" wird gemeinsam von der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung (SLpB) und der Sächsischen Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur organisiert. Ziel ist es nach eigenen Angaben, den Austausch über die Geschichte und Gegenwart queeren Lebens in Ostdeutschland zu fördern. Weitere Termine sind:
- 13. Mai um 19:00 Uhr in der Volkshochschule in Leipzig
- 20. Mai um 19:00 Uhr in der Rabryka in Görlitz
- 27. Mai um 18:00 Uhr in der Gedenkstätte Bautner Straße in Dresden
- 03. Juni um 19:00 Uhr in der Brigitte-Reimann-Stadtbibliothek in Hoyerswerda
Sina Meißgeier hat 2016 ein Buch über lesbische Identitäten und Sexualität in der DDR-Literatur veröffentlicht. Im Herbst 2024 ist ihr zweites Buch über die Literatur der Frauen aus dem KZ Ravensbrück erschienen. Sie forscht auch weiterhin zu Queerness und zur Literatur der DDR.