ÖPNV Leipzig will Schwarzfahrer nicht mehr anzeigen
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21. März 2025, 07:09 Uhr
Wer in Bus oder Bahn ohne Ticket erwischt wird, muss dafür 60 Euro Strafe zahlen. Passiert das nicht, droht im schlimmsten Fall eine Gefängnisstrafe – allerdings nur, wenn Strafanzeige bei der Polizei gestellt wurde. In Leipzig hat der Stadtrat nun entschieden, dass die Verkehrsbetriebe auf derartige Anzeigen verzichten sollen, damit Betroffenen keine Haftstrafen drohen. Hat der Rat damit also Schwarzfahrern einen Freifahrtschein ausgestellt?
- Auch wenn Schwarzfahrer bald um eine Anzeige herumkommen – die Geldstrafe von 60 Euro bleibt.
- Die überlasteten Gerichte sollen sich nicht mehr mit Schwarzfahrern befassen müssen.
- Andere Städte ziehen eine positive Bilanz – so zum Beispiel Halle an der Saale.
Bei den Leipziger Verkehrsbetrieben (LVB) scheint man von der Entscheidung des Stadtrats nicht besonders begeistert zu sein, dass sie Schwarzfahrer nicht mehr anzeigen sollen. Sprecher Marc Backhaus warnt davor, Schwarzfahren zu bagatellisieren. Leistungen, die in Anspruch genommen werden, sollten auch bezahlt werden, sagt er. Querstellen wolle sich die LVB aber nicht: "Das ist ein Stadtratsbeschluss. Deswegen werden wir diesen auch beachten. Doch wie üblich brauchen wir das natürlich nochmal offiziell, schriftlich von der Gesellschafterin, wie der Umgang mit diesem Thema zukünftig sein soll."
Geldstrafe von 60 Euro bleibt
Bis dahin bleiben die LVB bei der bisherigen Praxis: Wer in kurzer Zeit mehrfach erwischt wird, muss mit einer Anzeige rechnen, erklärt Backhaus. Im Jahr 2023 hatten die LVB 1.700 solcher Strafanzeigen gestellt. Und auch wenn die künftig wegfallen, heißt das nicht, dass Fahren ohne Ticket erlaubt wird. Denn die Geldstrafe von 60 Euro bleibt. Es werde auch weiter kontrolliert und versucht, das Geld einzutreiben.
Grüne: Gerichte von Lappalien entlasten
Nur eben die Ersatzhaft ist dann keine Option mehr. Dafür hat sich auch Chantal Schneiß eingesetzt. Sie gehört im Leipziger Stadtrat zur Fraktion der Grünen, die den Antrag zur Abschaffung der Strafanzeigen gestellt hat. Schneiß argumentiert, dass damit auch die ohnehin überlasteten Gerichte entlastet werden könnten: "Es sind fast eine Million offene Fälle in Deutschland. Die Strafverfolgung kommt nicht hinterher, und dann wollen wir Leute ins Gefängnis stecken wegen so einer Lappalie? Das ist nicht verhältnismäßig."
Positive Bilanz in Halle
Auch einige andere deutsche Städte haben in den vergangenen Jahren entschieden, Schwarzfahrer nicht mehr anzuzeigen. Eine davon ist Leipzigs Nachbarstadt Halle. an der Saale hatte der Stadtrat vor einem Jahr auf Initiative der Linken so einen Antrag beschlossen.
Die dortige Fraktionsvorsitzende Katja Müller zieht eine positive Zwischenbilanz. Sie sagt, dass die Zahl der Schwarzfahrer danach nicht gestiegen sei – eher im Gegenteil: "Die Entwicklung der sogenannten Schwarzfahrer ist eher rückläufig. Das widerspricht auch genau diesen, ich sag' jetzt mal Unkenrufen, die damals, als wir den Antrag eingebracht haben, laut wurden, dass das befürchtet wurde. Genau das ist eben nicht eingetreten."
Die Entwicklung der sogenannten Schwarzfahrer ist eher rückläufig.
Wissenschaft befürwortet Vorstöße
Die Kriminologin Christine Graebsch von der Fachhochschule Dortmund befürwortet diese Vorstöße von Städten wie Halle und Leipzig. Mit einer Vielzahl anderer Wissenschaftler setzt sie sich dafür ein, dass Schwarzfahren in Deutschland nicht mehr als Straftat bewertet wird: "Es führt einfach dazu, dass sehr viele Menschen – und viel mehr als man denken würde – Haftstrafen absitzen müssen, weil sie schwarz gefahren sind. Und das halten wir für falsch."
Etwa 7.000 Menschen würden jährlich wegen Fahrens ohne Ticket inhaftiert. Solche Gefängnisstrafen seien völlig kontraproduktiv, findet Graebsch, weil es viele Betroffene immer tiefer in eine Armutsspirale hineintreibe. Die Ersatzfreiheitsstrafe würde meist von Menschen angetreten, die die Strafe nicht bezahlen könnten. Hingegen käme es so gut wie nie vor, dass Menschen einfach nicht bezahlen wollten und deshalb in Haft kämen.
Eine Abschaffung der Ersatzhaft würde Graebsch zufolge hohe Kosten einsparen und Behörden und Justiz entlasten.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 21. März 2025 | 06:04 Uhr