Kommentar Gefängnis wegen Schwarzfahren muss weg!

22. Mai 2023, 05:00 Uhr

Ersatzfreiheitsstrafen wegen Fahren ohne Fahrschein sind sinnlos, findet MDR-AKTUELL-Redakteurin Nastassja von der Weiden. Und viele andere, die sich regelmäßig, fast täglich mit diesem Thema beschäftigen, die sehen das genauso. Journalistinnen, Aktivisten, Gefängnisleitungen; selbst der Justizminister zweifelt daran, ob Ersatzfreiheitsstrafen noch zeitgemäß sind.

Nicht jede und jeder ohne Fahrschein kommt gleich ins Gefängnis, keine Sorge. Aber wer die Geldstrafe, die das Fahren ohne Ticket nach sich zieht, nicht bezahlen kann, dem droht es. Drohen ist noch zu wenig, es passiert, Tausenden Leuten. 7.000 Menschen saßen 2019 deshalb im Gefängnis.

Oft liegt es nicht daran, dass diese Menschen sich weigern, das Geld zu bezahlen – sie können es einfach nicht. Selbst wenn sie wollten. Denn die meisten Betroffenen sind arm. Selbst die niedrigen Tagessätze, die das Gericht als Grundlage der Geldstrafe ansetzt, können sie nicht zahlen. Dann heißt es: Ab in den Knast! Obdachlose, Arbeitslose, psychisch extrem labile Menschen, Menschen, die sich das Leben nehmen wollen. Worum geht es hier, wenn diese Menschen bestraft werden?

Geht es um Erziehung? Um Abschreckung? Hilft es irgendwem? Was es auch sein mag: Funktionieren tut es nicht. Das wissen Gefängnismitarbeiterinnen und -mitarbeiter sehr gut. Auch sie sind für eine Entkriminalisierung, erzählt Arne Semsrott, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Menschen aus dem Gefängnis rauszukaufen, die wegen Schwarzfahren einsitzen.

Viel (Steuer-)Geld für Nichts

Dazu kommt: Die Ersatzfreiheitsstrafe kostet den Staat weit mehr, als die Geldstrafe wert ist. Eine Nacht im Gefängnis kostet zwischen 130 und 180 Euro. Das ist ganz schön viel Geld. Okay, Frühstück und Abendessen, alles dabei. Aber auch: Freiheitsentzug. Gefängnis ist kein Urlaub, auch wenn eine Nacht so viel wie in einem guten Hotel kostet. Im Gegenteil.

Die Frage ist: Wieso wird an etwas festgehalten, das so sinnlos ist? Diese Frage ist geradezu philosophisch. Weil es immer so gemacht wurde, weil es eine wohlige Tradition ist, weil es erzieherisch wirkt, weil es die Lust nach Strafe und das Bedürfnis nach Gerechtigkeit befriedigt, weil es ums Prinzip geht, weil es Grenzen gibt, die eingehalten werden müssen, weil es eh nie zur Anwendung kommt – im englischen sagt man: Choose your fighter. Übersetzt heißt es so viel wie "Such dir was aus".

Gerichte überlastet

Nichts aus dieser Auswahl möchte ich als Antwort nehmen. Es macht einfach keinen Sinn. Ersatzfreiheitsstrafen sind teuer, sie erziehen nicht, sie helfen nicht.

Hinzu kommt: Die Justiz ist sowieso schon überlastet. Verfahren wegen eines fehlendes Tickets im Wert von 3,60 Euro oder einem Bußgeld von 60 Euro braucht in Deutschland niemand. Richterinnen und Richter haben besseres zu tun. Stichwort Fachkräftemangel.

Natürlich gibt es auch die, die sagen: "Na, aber die Leute können doch nicht machen, was sie wollen! Ich muss auch meinen Fahrschein kaufen!" Das ist wahr, geht aber am konkreten Problem vorbei.

Idiotie beenden, Utopie wiederbeleben

Die Gängelung von Menschen, die oft mit Armut, Obdachlosigkeit und psychischen Leiden zu kämpfen haben, sollte nicht nur endlich aufhören, auch dem Staat und nicht zuletzt uns als Gesellschaft sollte mehr daran gelegen sein, diese ungerechte Idiotie zu beenden.

Wo könnte man ansetzen? Das Justizministerium will Schwarzfahren zu einer Ordnungwidrigkeit herabstufen, Initiativen setzen sich für die Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafen ein, sammeln Spenden, kaufen Häftlinge raus und unterlaufen damit das Rechtssystem.

Es gibt aber eine Lösung, die noch einfacher ist: Den ÖPNV für alle kostenlos oder mindestens günstig und erschwinglich zu machen. Das ist sowieso überfällig. Das 9-Euro-Ticket war ein kurzer utopischer Ausflug dahin, wo es keine Ersatzfreiheitsstrafe wegen Fahren ohne Fahrschein geben muss. Diese Utopie muss (wieder) wahr werden.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 22. Mai 2023 | 06:00 Uhr

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