Justiz Neuer Prozess um Juwelendiebstahl: Der mögliche Helfer, ein Vater und die Frauen
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30. Januar 2024, 05:00 Uhr
Anfang Januar begann vor dem Landgericht Dresden der Nachfolge-Prozess zum Einbruch in das Grüne Gewölbe 2019. Auf der Anklagebank der Jugendkammer sitzt dieses Mal nur ein Mann. Der 24-Jährige ist Bruder und Cousin von den fünf bisher Verurteilten aus der Berliner Großfamilie Remmo. Sieben Verhandlungstage haben bisher stattgefunden. Das Verfahren soll bis Mitte Juni laufen. MDR SACHSEN-Reporterin Heike Römer-Menschel zieht eine Zwischenbilanz.
- Der aus Berlin anreisende Angeklagte J. Remmo ist für die Dresdner Justiz kein Unbekannter.
- Die Dresdner Polizei griff zu einer verdeckten Methode, um das Fahrzeug des Angeklagten in Ruhe untersuchen zu können.
- Auf der Suche nach weiteren Mitwissern und Helfern des Einbruchdiebstahls werden nun auch Frauen aus dem Umfeld der Remmo-Familie als Zeuginnen vor Gericht befragt.
Der Angeklagte J. Remmo reist zu jedem Verhandlungstag aus Berlin an. Das sorgte am Anfang für einige Diskussionen. Seine zwei Verteidiger beantragten, den Prozess nach Berlin zu verlegen. Vergeblich. Die Kammer sieht es wohl durchaus als zumutbar an, dass ein 24-Jähriger zwei Mal in der Woche die Strecke von Berlin nach Dresden zurücklegt. Zumal das für J. Remmo auch in der Vergangenheit kein Problem war.
Im ersten Grüne-Gewölbe-Prozess saß der nun Angeklagte regelmäßig im Zuschauerraum und beobachtete, wie das Verfahren gegen seine Verwandten lief. Im Mai 2022 wurde er am Rande dieses Prozesses sogar verhaftet und kam kurzzeitig in Untersuchungshaft. Der Vorwurf schon damals: Er soll den Haupttätern beim Einbruch in das Grüne Gewölbe in Dresden geholfen haben und in den Tatplan eingeweiht gewesen sein.
Angeklagter verdiente legal Geld in Drogerie
Von der Verhaftung J. Remmos im Mai 2022 berichtet im aktuellen Prozess ein Kriminalhauptkommissar. Der 56-Jährige war in der SOKO Epaulette für operative Maßnahmen zuständig. Der Polizist koordinierte Telefonüberwachungen, Durchsuchungen, Observationen und eben auch Verhaftungen. Für die SOKO war J. Remmo am Anfang sogar einer von sechs Hauptverdächtigen.
Diese sechs Anfangsverdächtigen wurden im Sommer 2020 drei Wochen lang von einem MEK – also einem Mobilen Einsatzkommando – in Berlin beobachtet. Die Observation brachte keine wichtigen Erkenntnisse. Erwähnenswert scheint dem Polizisten nur, dass J. Remmo der einzige der sechs Männer war, der damals einer geregelten Arbeit nachging. Er verdiente sein Geld in einem Drogerie-Markt.
Überraschende Verhaftung eines Schüchternen
Bei seiner Verhaftung am Rande des ersten Gerichtsprozesses soll sich J. Remmo "ruhig und kooperativ" verhalten haben, wie der Kriminalhauptkommissar weiter aussagte. Ruhig und zurückhaltend, beinahe schüchtern wirkt der Angeklagte auch jetzt, im Prozess gegen ihn selbst. Gerade mal zwei Sätze sagt er, als es um seine persönlichen Angaben geht. Ansonsten sprechen seine Verteidiger für ihn. Sie geben an, dass er sich zur Sache nicht äußern wird.
Der schmächtige, junge Mann trägt zumeist Jeans, einen schwarzen oder weißen Pulli, dazu Designer-Sneaker. Sein Bart ist akkurat gestutzt, die Haare sind ordentlich frisiert. Im weitläufigen Gerichtskomplex an der Dresdner Sachsenallee versucht er den Journalisten möglichst aus dem Weg zu gehen. Dem Geschehen im Saal folgt er aufmerksam. J. Remmo wirkt harmlos.
Google-Suche nach Einbruchszielen für Anfänger
Gleichzeitig verfolgte der junge Mann offenbar merkwürdige Interessen. Im Prozess berichtet ein Polizeioberkommissar über die Auswertung eines im November 2020 beschlagnahmten Handys von J. Remmo. Angeschaut wurde unter anderem, was er bei Google suchte. Demnach interessierte er sich bereits als 19-Jähriger für Fingerabdrücke an Tatorten und das Zerstören von Panzerglas. Er recherchierte, wo man "am meisten Beute machen" kann und suchte nach "den besten Einbruchzielen für Anfänger".
Polizei kauft verdeckt Auto von Verdächtigem an
Im Prozess wird auch bekannt, dass die Dresdner Polizei den Golf VII von J. Remmo kaufte. Durch die Überwachung seines Handys hatte die SOKO erfahren, dass der Angeklagte vorhatte, sich von dem Wagen zu trennen. Da die Dresdner Polizisten den Golf gerne kriminaltechnisch untersuchen wollten, entschied man sich, diesen verdeckt anzukaufen. Für wieviel Geld die SOKO das Auto schließlich erstand, wird vor Gericht nicht thematisiert.
Der Golf von J. Remmo war für die SOKO jedenfalls von sehr großem Interesse, denn der Wagen spielte für die Ermittlungen eine wichtige Rolle. Am 24. November 2019 fiel das Auto einer zivilen Verkehrsüberwachungsstreife in Berlin auf: Es war gegen 23 Uhr an einer roten Ampel. Die Insassen des Golfs erkannten offenbar die Zivilstreife. Sie wirkten laut der Berliner Polizisten erschrocken und verhielten sich merkwürdig. Der Golf sei gestoppt und eine allgemeine Verkehrskontrolle durchgeführt worden. Dabei wurden die Personalien der vier Insassen festgestellt.
Im Nachhinein waren diese Daten extrem hilfreich für die Dresdner Ermittler: Drei der Männer in dem Golf verübten nämlich nur sechs Stunden nach der Fahrzeugkontrolle in Berlin den Einbruch ins Historische Grüne Gewölbe in Dresden.
Berliner Polizei brach Observation vor Diebestour ab
Von den Einbruchsplänen zumindest eines Teils der Golf-Insassen ahnten die Berliner Polizisten an dem Novemberabend natürlich noch nichts. Doch entdeckten sie im Kofferraum Einbruchswerkzeug, darunter einen Kuhfuß, mit dem man eingeschlagene Nägel entfernt, sowie zwei Bolzenschneider. Daraufhin forderten sie zwei verdeckte Observationswagen an. Diese folgten J. Remmos Wagen und beobachteten, wie zwei oder drei Männer wenig später ausstiegen. Als der Golf in Richtung der Wohnung von J. Remmo fuhr, brachen die Observationsteams die Aktion ab.
Glaubt man einem Handy-Chat von J. Remmo mit zwei Freunden kurz nach der Kontrolle, bemerkten der junge Mann und seine Fahrgäste, dass sie verfolgt werden. J. Remmo schreibt dazu: "Die haben uns doch nicht in Ruhe gelassen. Ich bin dann alleine weggegangen, damit die Ruhe haben."
Für die Staatsanwaltschaft ist der Fall klar: J. Remmo soll laut Anklageschrift gewusst haben, was sein Bruder und die beiden Cousins im Golf vorhatten. Er habe die Berliner Polizisten nach der Kontrolle ganz bewusst abgelenkt, damit seine Komplizen ihre Diebestour nach Dresden unbehelligt fortsetzen können.
Was wusste Verlobte eines verurteilten Remmos?
Die Staatsanwaltschaft versucht die Tat-Beteiligung J. Remmos auch mit Zeugen nachzuweisen, die im Hauptverfahren noch nicht aufgetreten sind. Die Befragung von zwei Frauen, die aus dem Remmo-Clan stammen, ist hierbei besonders interessant. Die beiden leben in Mannheim und werden vom Dresdner Gericht per Videoschalte vernommen. Eine von ihnen war 2018 die Verlobte von Bashir Remmo, einem der bereits verurteilten Täter. Sie stand offenbar noch längere Zeit mit ihm in intensivem Kontakt, darum wurde ihr Telefon ab dem 12. November 2020 von der SOKO Epaulette überwacht.
Im Prozess soll sich die junge Frau an zwei Telefonate vom 17. November 2020 erinnern. An diesem Tag waren in einer großangelegten Razzia drei der inzwischen verurteilten Diebe verhaftet worden, darunter ihr Verlobter Bashir Remmo. Völlig verzweifelt telefonierte sie mehrmals mit ihrer Tante. Die Gespräche werden teilweise im Gerichtssaal vorgespielt. An einer Stelle sagte die Ex-Verlobte: "Sag mal, wusstest Du, dass sein kleiner Bruder auch, Bashir und J. auch?" Die Tante antwortete demnach: "Nicht Dein Ernst. Echt?"
Ich war damals in Schockstarre.
An anderer Stelle unterhielten sich die beiden Frauen im Flüsterton: "Ich glaube meine Mutter weiß nichts von J.. Es waren sechs insgesamt. J. ist der Fünfte." Außerdem erzählte die jüngere Frau der Älteren, dass Bashir noch versucht habe, ihn davon abzuhalten.
Gericht ermahnt Ex-Verlobte, Wahrheit zu sagen
Im Gericht betont die Ex-Verlobte immer wieder, dass sie sich gar nicht mehr an die Gespräche erinnern könne. Die Telefonate seien Reaktionen auf die Razzia und die Festnahmen in Berlin gewesen. Im Fernsehen habe sie damals gesehen, dass auch der aktuell Angeklagte J. - der kleine Bruder von Bashir Remmo - zu einem Polizeiauto geführt wurde. Sie wäre damals "in Schockstarre" gewesen, da sie nichts von den kriminellen Aktivitäten ihres damaligen Verlobten geahnt habe. Sie habe, was diesen Tag anbelangt, einen "Filmriss".
Insgesamt spielt die 27-Jährige ihre Beziehung zu Bashir Remmo herunter. Sie habe ihn nur drei Mal in Mannheim gesehen. Seine Brüder und Schwestern habe sie gar nicht gekannt – nur von Fotos. Warum sie J. Remmo trotzdem auf den Fernsehbildern erkannt haben will, obwohl er zumeist verpixelt war, von hinten aufgenommen und nur wenige Sekunden zu sehen, erklärt die frühere Verlobte nicht wirklich überzeugend. Das Gericht ermahnt die Zeugin mehrmals, dass sie dazu verpflichtet ist, die Wahrheit zu sagen und alles, was sie weiß, sonst würde sie sich strafbar machen.
Staatsanwalt ermittelt gegen Vater eines Verurteilten
Das Gericht wollte übrigens auch die fünf Männer, die im ersten Grüne-Gewölbe-Prozess verurteilt worden waren, als Zeugen vernehmen. Sie alle ließen jedoch über ihre Verteidiger mitteilen, dass sie von ihrem Auskunfts- beziehungsweise Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen werden. Da ihre Urteile noch nicht rechtskräftig sind oder sie gegen enge Verwandte aussagen müssten, stehen ihnen diese Rechte zu. Die Kammer hat sie daraufhin wieder ausgeladen.
In diesem Zusammenhang wurde erstmals öffentlich bekannt, dass derzeit gegen W. Remo, den Vater des verurteilten Rabieh Remo, ermittelt wird. Wie lange schon und was genau man ihm vorwirft – das war von der Staatsanwaltschaft Dresden leider nicht zu erfahren. Pressesprecher Jürgen Schmidt wollte aus ermittlungstaktischen Gründen nichts dazu sagen.
Am Mittwoch sagt Polizist über Verhör der Verlobten aus
Der Prozess gegen J. Remmo wird an diesem Mittwoch fortgesetzt. Dann tritt auch ein Polizist als Zeuge auf, der die Ex-Verlobte von Bashir Remmo - die vergessliche Zeugin - vernommen hat. In der Polizei-Vernehmung soll sie erzählt haben, dass ihr damaliger Verlobter ihr gegenüber, "das mit dem Leaf gestanden" habe. Möglicherweise meinte sie damit den Diebstahl der 100-Kilo-Goldmünze Big Maple Leaf aus dem Berliner Bode-Museum 2017. Für diesen Einbruch waren aus der Großfamilie Remmo bisher nur zwei Cousins von Bashir verurteilt worden.
MDR (wim)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Dresden | 10. Januar 2024 | 13:00 Uhr