Raus aus der Sucht Seele hinter Gittern: Wie Seelsorge in der JVA helfen kann
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24. April 2024, 11:00 Uhr
Wer im Gefängnis landet, hat anderen Menschen Schaden zugefügt – doch oft leiden auch die Gefangenen: an einer Sucht und anderen psychischen Erkrankungen. Gefängnisseelsorger sind dann für sie da. Für Inhaftierte wie Paul kann der Knast auch eine Rettung sein.
Seine Augen fahren den Beton entlang. Der Himmel ist zu sehen, hoch getürmte Wolken. Viel mehr Freiheit hatte Paul nicht in den vergangenen drei Jahren. Seine Adresse: Justizvollzugsanstalt Zeithain. Seine Erfahrung: "Man ist immer allein." Paul kennt das, er ist nicht zum ersten Mal hinter Gittern. "Man macht zwar äußerlich einen Harten – aber innen drin sieht es anders aus." Im Gefängnis ist auch die Seele nicht frei. Das weiß Paul. Wahrscheinlich beginnt die Gefangenschaft der Seele bei vielen hier drin schon lange, bevor sich die Gefängnistore schließen. Bei Paul war es so.
Er erzählt es nur mit wenigen Worten. Eine Kindheit im Heim, "der Kontakt zwischen mir und meiner Mutter war jahrelang verschollen, war nie vorhanden, nie", sagt der gebürtige Meißener. Jugendknast, dann kamen die Drogen, kam die Sucht. Paul hat ein offenes Gesicht. 29 Jahre, modisch gestutzter Vollbart, Tunnelohrringe, Tattoos. "Es gab verschiedene Situationen, wo ich gemerkt habe, dass ich Suchtdruck hatte", sagt er. "Wo ich gemerkt habe: Die Sucht ist stärker als der Wille." Sie war seine Begleiterin bei seinen Straftaten. Seine Antreiberin war sie auch.
Immer mehr Suchtkranke hinter Gittern
"Wir nehmen wahr, dass zunehmend psychisch Erkrankte auftauchen im Haftalltag", sagt die Zeithainer Gefängnisseelsorgerin Christel Bakker-Bents. Deshalb berät die Bundeskonferenz der deutschen Gefängnisseelsorger in dieser Woche in Schmochtitz bei Bautzen über den Umgang mit psychisch Kranken im Strafvollzug. Auch Sachsens Justizministerin Katja Meier wird zu Gast sein. "Wenn jemand beispielsweise psychotisch ist, hat er ganz andere Wahrnehmungen als andere Menschen", erklärt die Seelsorgerin die Herausforderung. Sie wünscht sich mehr Fortbildungen für Justizmitarbeiter zum Umgang mit psychisch kranken Inhaftierten.
Paul ist auf der Suchttherapie-Station
Paul hat die Gefängnispfarrerin auf der Station A3 in Zeithain kennen gelernt, in dem vergitterten Plattenbau aus DDR-Zeiten. Er ließ sich dorthin verlegen, weil sein Wille doch das letzte Wort behalten wollte: Es ist die Suchttherapie-Station. Als sie vor zehn Jahren eingerichtet wurde, war sie die erste bundesweit. "Dahin zu gehen war die beste Entscheidung, die ich hätte treffen können", sagt Paul heute. "Ich dachte: Jetzt oder nie."
Therapie im Gefängnis
Benno Kretzschmar hat einen Blick für die dunklen Ecke der Zeithainer Haftanstalt, die unsicheren, wenig ausgeleuchteten. Er hat auch einen Blick für diese Ecken bei den Menschen, die hier zu ihm kommen. Er ist der Leiter der Suchttherapie-Station. "Ich bin ja schon einige Jahre im Justizvollzug tätig", sagt er. "Psychisch auffällige Gefangene gab es schon immer – allerdings ist offensichtlich, dass wir eine Zunahme von Gefangenen mit einer Suchtmittelproblematik haben."
Auf der Therapie-Station lernte Paul, mit seiner Nervosität umzugehen. Und mit seiner Lebensgeschichte, die ihn hierher geführt hat. Jeden Abend durfte er mit seiner Freundin telefonieren, sie wurde sein Anker in ein Leben danach.
Zusammen backen und die Seele erleichtern
Auf der Station A3 kochte Paul mit der evangelischen Pfarrerin Christel Bakker-Bents, obwohl er gar nicht gläubig ist. Sie backten zusammen, kamen ins Gespräch. "Das ist ein anderes Reden, als wenn du dich mit einem Bediensteten unterhältst", sagt Paul. Die Seelsorgerin ist zur Verschwiegenheit verpflichtet. Und sie ist kein Teil der Justiz-Hierarchie. Aber da ist noch etwas Anderes: eine Haltung. "Jeder Mensch ist ein Ebenbild Gottes", davon ist Christel Bakker-Bents überzeugt. "Jeder Mensch ist ein Geschöpf und gewollt – und das strahlen wir hoffentlich alle aus."
Hoffen auf ein neues Leben
Paul ist seit einem Jahr clean, nun ist er im offenen Strafvollzug. Etwas begann in ihm zu heilen hinter Gittern. Was es ist? "Dazu gibt es eine echt gute Geschichte", lächelt er. Seine Mutter, zu der jeder Kontakt abgebrochen war, meldete sich wieder bei ihm. "Das war für mich dann so einer der Wendepunkte."
Im Sommer soll Paul entlassen werden. Er freut sich auf seine Freundin, auf ein Leben als Familie, seinen Beruf als Schweißer. Manchmal hat er Angst vor der Freiheit, weil er weiß, dass die Suchtkrankheit ihn begleiten wird. Aber er sagt: "Für mich gibt es nur noch den Weg nach vorn."
MDR (tomi)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 22. April 2024 | 19:00 Uhr