Banda Comunale
Bildrechte: Banda Comunale

Proteste gegen Rechtsextremismus Banda Comunale: Auch den Menschen in Sachsens Kleinstädten beistehen

03. Februar 2024, 14:37 Uhr

Die Big Band Banda Comunale engagiert sich seit 20 Jahren in Sachsen für Menschlichkeit, Geflüchtete und gegen Rechtsextremismus. Klarinettist Michał Tomaszewski ist schockiert über die Enthüllung der AfD-Pläne zur "Remigration" - also der geplanten rechtswidrigen Deportation von Millionen von Menschen. Er bezeichnet die Demos als wichtiges Zeichen für die Gesellschaft. Die Band unterstützt nun Engagierte in Dörfern und Kleinstädten. Die Nachfrage ist riesig.

Michał, wie nehmen Sie als multikulturelle Band die aktuellen Proteste gegen die AfD wahr?

Die Situation ist für uns immer präsent. Wir haben uns vor über 20 Jahren gegründet. Damals gab es in Dresden anlässlich des 13. Februar die größten Neonaziaufmärsche Deutschlands. Später kam Pegida, gegen die wir sehr viel und sehr kreativ demonstriert haben. Als viele Geflüchtete nach Sachsen kamen, spielten wir in Unterkünften, Zeltstädten und Turnhallen. Wir haben gemeinsam mit geflüchteten Musikern ein sehr erfolgreiches Projekt ins Leben gerufen. Seit Jahren sind wir mit rechtsextremen Einstellungen konfrontiert. Insofern ist die aktuelle Situation für uns die Fortführung einer Entwicklung, die viele Jahre vorher begann - speziell in Sachsen. 

Michał Tomaszewski, Klarinettist Big Band "Banda Comunale"
Michał Tomaszewski stammt aus Polen und ist Klarinettist der Big Band "Banda Comunale". Bildrechte: Michał Tomaszewski

Was wollen Sie damit sagen? 

Dass wir den Wandel der AfD von einer Anti-EU-Partei zu einer rechtsextremen Partei in den vergangenen zehn Jahren genau verfolgt und kommentiert haben. Wir haben uns immer an die Seite derer gestellt, die bedroht werden. Wir haben immer Gesicht gezeigt, für ein tolerantes und weltoffenes Sachsen. Dass diese Demonstrationen jetzt passieren, ist mega-gut. Ganz ehrlich: Leute, die sich seit Jahren für Demokratie und Menschlichkeit engagieren, waren mittlerweile wirklich entmutigt. Sie schöpfen jetzt neue Kraft. 

Ganz ehrlich: Leute, die sich seit Jahren für Demokratie und Menschlichkeit engagieren, waren mittlerweile wirklich entmutigt. Sie schöpfen jetzt neue Kraft. 

Michał Tomaszewski Banda Comunale

Wie weit können Sie das verstehen?

In die gesellschaftliche Arbeit gibt man viel Engagement, Freizeit und viele Ideen. Es gibt so viele tolle Projekte. Ich kenne keinen anderen Ort als Sachsen, an denen es so gute und produktive Projekte gibt. Nehmen wir das Musaik-Kinder-Orchester in Prohlis. Hier erhalten Kinder ohne Vorkenntnisse ein Streich- oder Blasinstrument. Sie kommen aus Plattenbauten, Migrantenfamilien und prekären Verhältnissen – und sie sind eine Gang. Egal woher sie stammen, wie gut sie Deutsch sprechen und wie viel Geld sie haben: Das Instrument und die Musik verbindet sie. 

Musik also für alle?

Ja! Es ist sehr vielen Menschen sehr viel daran gelegen, dass Sachsen menschlich bleibt und in der Realität eines Einwanderungslandes ankommt. Dann hast Du auf einmal Prognosen mit 37 Prozent für die AfD. Das ist furchtbar – auch für mich als Migrant. Ich habe Kinder und stehe mitten im Arbeitsleben. Wir haben so viel Zeit investiert und es wird nicht besser. Dann fragst du dich schon: Lohnt sich das noch? Wann kommt der Punkt, an dem ich entweder gehe oder sich die Situation ändert?

Das Band-Kollektiv Banda Comunale an der Elbe in Dresden
Viele Nationen, gemeinsame Musik: Das Band-Kollektiv Banda Comunale an der Elbe in Dresden. Bildrechte: Robert Rieger

Meinen Sie, dass die Proteste jetzt etwas ändern?

Das hoffe ich tatsächlich. Ich hoffe, dass die Menschen genug von Polemik haben, von Populismus und der ewig schlechten Laune. Was mir am meisten auf den Keks geht, ist das notorische Alles-schlecht-finden. Die Verantwortung überall zu suchen – nur nicht bei sich selbst. Warum wird so viel Energie in negative Narrative gesteckt? Ich frage mich, warum das hier so schwierig ist – doch das schafft ja noch nicht einmal der Ministerpräsident, eine gute positive Erzählung und eine gute Aussicht für alle zu finden. Wir versuchen es mit unserer Musik.

Sie sind eine Big Band. Wer spielt bei Ihnen?

Wir sind eine Band von über 20 Leuten aus Syrien, aus dem Irak, aus Bayern, aus Russland, aus Polen, Israel, Brasilien und so weiter. Für uns ist das kein Problem, für andere anscheinend immer noch ein großes.

Wie gehen Sie mit weltpolitischen Konflikten um?

Der Krieg in Israel und Gaza beschäftigt uns tatsächlich sehr, er polarisiert uns auch. Ebenso der Angriff auf die Ukraine und die Pandemie. Das klingt jetzt ein bisschen kitschig. Wir sind eine Band, die man für ein Konzert bucht, aber vor allem sind wir Freunde. Wir erleben den Alltag der anderen mit, bekommen mit, wenn jemand krank wird oder einen Abschiebebescheid bekommt.

Die Gemeinschaft verbindet Sie also?

Sie schafft Nähe und macht vieles leichter. Die Gemeinschaft ist vielleicht auch das Momentum auf der anderen Seite. Vielleicht finden viele in den populistischen Demos zwischenmenschliche Nähe. Manche fühlen sich wahrscheinlich aufgehobener, wenn sie jeden Montag zusammen auf die Straße gehen, einig in der gemeinsamen Abneigung. Vielleicht sind diese Bewegungen auch eine Art Gemeinschaftsersatz.

Sind Anfeindungen bei Ihnen ein Thema?

Grundsätzlich sind diejenigen von uns, die anders als die Mehrheit in Sachsen aussehen, viel stärker Rassismus ausgesetzt als beispielsweise ich. Ich komme aus Polen und sehe nicht sonderlich anders aus. Über die Erfahrungen der anderen könnte man Bücher schreiben. Dafür ist die Band auch gut, sie kann im Zweifel auffangen.

Die Band also als Schutzzone?

Es geht nicht nur um uns. Man muss sich vorstellen, wie es Millionen von Deutschen mit Migrationsgeschichte geht, nachdem sie durch die Correctiv-Recherchen über die AfD-Geheimpläne zur Remigration erfahren haben. Wenn sie schwarz auf weiß lesen, dass es Pläne einer möglichen Deportation gibt. Wenn diese Partei stärkste Kraft in einem Bundesland werden könnte, macht das vielen Menschen Angst. Nach dem fatalsten Kapitel unserer Geschichte, der industriellen Vernichtung von Menschen, sollte unser Grundgesetz mit allen Mitteln Menschen schützen, damit sie niemals wieder vertrieben und umgebracht werden. Wie geht es einem irre großen Teil unserer Mitmenschen mit dieser Aufdeckung? Ich glaube, was gerade auf den Straßen passiert, ist die richtige Antwort. Dass sich Leute regen, die sonst eher ruhig waren, ist ein wirklich wichtiges Zeichen – für uns alle als Gesellschaft.

Dass sich Leute regen, die sonst eher ruhig waren, ist ein wirklich wichtiges Zeichen – für uns alle als Gesellschaft.

MichałTomaszewski Banda Comunale

Werden Sie den Protest musikalisch aufgreifen?

Fun Fact: Eine Woche vor Aufdeckung der Correctiv-Recherche hatten wir uns überlegt, was man im Wahljahr machen könnte. Das überlegen übrigens viele Gruppen, es betrifft ja den eigenen Arbeitsplatz und die eigenen Lebensumstände. Wir entschlossen uns, nicht "nur zu demonstrieren", sondern auch den Leuten solidarisch beizustehen, die seit Jahren auf dem Land die Fahne hochhalten. Wer Bock hat, dass wir in seinem Ort spielen, soll sich bei uns melden. Momentan quillt mein Postfach über an Anfragen aus kleinen sächsischen Städten. Ich glaube, gerade im ländlichen Raum gibt es einen Bedarf von Angeboten, die Leute zusammen zu bringen. Wo man eine gute Zeit hat, in der man keine Frustgespräche führt, sondern sich einfach mal begegnet.

Man braucht Ihnen einfach nur eine E-Mail schreiben?

Ja, Initiativen von Dörfern und Kleinstädten können sich einfach melden – wir schauen nach einem Weg. Wie bieten auch an, uns im Rahmen von Projekten mit Leuten aus Musikvereinen, Laienkapellen und Posaunenchören auszutauschen. Das machen wir seit Jahren. Einmal gestalteten wir mit dem Bergsteiger-Männerchor der Bergfinken ein Weihnachtsprogramm. Das waren deutsche, jiddische oder arabische Lieder, damit haben wir vier ausverkaufte Vorstellungen in der Annenkirche gefüllt. Den Leuten hat es sehr gut gefallen.

Gibt es schon erste Termine?

Am Sonntag spielen wir auf den Anti-AfD-Protesten in Dippoldiswalde, Anfang April in Bautzen. Es gibt Anfragen aus Zittau, Zwickau, Weißig oder Reichenbach. Dieses Zusammenführen, das Gemeinsame funktioniert mit einer Blaskapelle wirklich gut. Diese versteifte deutsche Leitkultur-Denke ist der Musik grundsätzlich fremd. Es würde nichts passieren, wenn Leute darauf beharrten, nur das Eigene pflegen zu wollen. Man muss sich nur die sächsische Instrumentenbaugeschichte ansehen. Diese Instrumente gingen damals in alle Welt. Wahrscheinliche gäbe es einen anderen Sound im Tango, wenn es das sächsische Bandoneon nicht gegeben hätte. Für Musiker gibt es keine kulturellen Grenzen. Wir spielen seit 20 Jahren Musik aus vielen verschiedenen Ecken der Welt. Wir interpretieren sie neu, machen etwas Eigenes daraus. Das funktioniert.

Also keine kulturellen Grenzen?

Für mich sind diese ganzen Überlegungen, wer dazu gehört und wer nicht, absolut nicht nachvollziehbar, absoluter Humbug. Tut mir leid, ich habe da kein Verständnis dafür. Ich bin bereit, mich über vieles zu unterhalten, aber nicht über die Wertigkeit von Kultur und von Menschen.

Glauben Sie, dass Musik gesellschaftliche Wunden schließen kann?

Das glaube ich, sonst würde ich keine Musik machen. Wir möchten mit unserer Musik Barrieren überwinden und uns auf Ebenen begegnen, wo die Spaltung keine Rolle spielt. Jeder braucht Achtung und Respekt. Man kann nicht glücklich sein, wenn man immer herabgewertet und abfällig beurteilt wird. Das wissen hier viele im Osten. Ich glaube, man muss sich entscheiden: Sind Wut und Frust die treibenden Kräfte, oder geben andere Kräfte mehr Motivation. Ich glaube, Frust ist das Letzte, was motiviert. 

Jeder braucht Achtung und Respekt. Man kann nicht glücklich sein, wenn man immer herabgewertet und abfällig beurteilt wird. Das wissen hier viele im Osten.

Michał Tomaszewski Banda Comunale

Ich komme aus Polen, ich bin Mitte 40 und kann mich genau erinnern, wie die Gesichter meiner Landsleute in Polen kurz nach der Wende ausgesehen haben. Wie die Luft gerochen hat, graue Gesichter, graue Häuser, nix in den Regalen. Mal ganz ehrlich: Klar, die Regierung macht Fehler, es gibt immer Katastrophen und Konflikte. Doch wir leben in einem guten Land und mittlerweile auch unsere Nachbarn. Jeder, der hier ist, hat es verdient, ein Stück davon abzuhaben. Und jeder kann sich positiv daran beteiligen, dass es dem Rest gut geht.

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Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Dienstags direkt | 30. Januar 2024 | 20:00 Uhr

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