Gedenken zum 13. Februar Charlotte Gneuß: Dresden war keine Stadt des Widerstands
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13. Februar 2025, 04:00 Uhr
Am 13. Februar gedenkt Dresden der Zerstörung der Stadt vor 80 Jahren. Bei den Bombenangriffen der Alliierten zwischen dem 13. und 15. Februar 1945 starben schätzungsweise 25.000 Menschen. Die Stadt lag in Trümmern. Über die Erinnerung an das historische Ereignis wird bis heute viel gestritten. Charlotte Gneuß, die im Jahr 2024 Dresdner Stadtschreiberin war, macht sich in einem Gastkommentar Gedanken darüber, was wir aus der Geschichte lernen können.
- Auch 80 Jahre nach der Bombadierung Dresdens wird debattiert, ob es sich um ein Kriegsverbrechen handelte – für Charlotte Gneuß ist das nicht die entscheidende Frage.
- Sie erinnert daran, dass Dresden nicht unschuldig war, sondern bis tief hinein in die Stadtgesellschaft in das NS-System verstrickt.
- Laut Gneuß hätte eine aktive Zivilgesellschaft die Verbrechen der Nationalsozialisten ebenso wie die Zerstörung der Stadt verhindern können.
Fast alle Dresdner haben zu den Tagen um den 13. Februar 1945 eine persönliche Verbindung. Mein Großvater war etwa zehn Jahre alt, als er sich aus der brennenden Stadt rettete, während links und rechts die Bomben einschlugen, während alles zusammenstürzte, und schrie, und starb.
Viele Jahre später ging er mit mir, seiner Enkeltochter, durch die Dresdner Altstadt. Er wollte mir zeigen, wo er als Kind gelebt hatte. Doch er konnte weder das Haus, noch die Straße seiner Kindheit wiederfinden. Das alte Dresden, die Stadt meines Großvaters, es gibt sie nicht mehr.
War die Bombardierung von Dresden ein Kriegsverbrechen?
Heute, 80 Jahre später, wird über die Erinnerung an die Bombardierung der Stadt viel gestritten. War die Bombardierung ein Kriegsverbrechen? War sie in dieser historischen Situation die einzige Möglichkeit, um den Zweiten Weltkrieg zu stoppen? – Auch bei den Opferzahlen ist man sich uneins. Zuerst trieben sie die Nationalsozialisten in die Höhe, später lag den Sowjets viel daran, Dresden als Geschädigte einer scheinbar imperialistischen US-Expansionspolitik darzustellen. Das Wort Bombenterror kam in den Umlauf.
Heute missbrauchen Rechtsextreme das Gedenken für ihre Aufmärsche. Sie wiederholen dort die von den Nationalsozialisten behaupteten Zahlen und verklären Dresden mythisch zu einer Opferstadt. Doch Dresden war nie die unschuldige Kulturschöne – im Gegenteil.
Dresden war nicht unschuldig
Dresden war Gauhauptstadt, Dresden war ein wichtiger Militär- und Industriestandort, sächsische Verwaltung und Regierungssitz, Zentrale sämtlicher NS-Organisationen. In den 1930er-Jahren hatte sich Dresden zu einem der wichtigsten Rüstungsstandorte des Reiches entwickelt, ab 1942 passierten täglich etwa 28 Militärfahrzeuge mit bis zu 20.000 Soldaten den Bahnhof Dresden-Neustadt.
Der Güterbahnhof gleich nebenan war Ausgangspunkt und Zwischenstation für Deportationen vieler jüdischer Menschen. Das nationalsozialistische Vernichtungssystem wurde vom Großteil der Dresdner Stadtgesellschaft gebilligt, befürwortet und unterstützt.
Tief sitzender Antisemitismus
So rühmte man sich am Weißen Hirsch bereits 1933, "judenfrei" zu sein. Und massenweise strömten die Besucherinnen 1937 in den Lichthof des Dresdner Rathauses, als dort die Ausstellung "entartete Kunst" zu sehen war. Und in vorauseilendem Gehorsam riss man die jüdische Bevölkerung bereits Herbst 1939 aus ihren Wohnungen, obwohl die reichsweite Verordnung dazu erst im April 1940 erfolgte.
Auf der Frauenkirche wehten während der Amtseinführung des völkischen Landesbischofes Ferdinand Coch die Hakenkreuzfahnen, wenige Meter entfernt wurde in der Reichspogromnacht die Dresdner Synagoge von Gottfried Semper zerstört. Am Münchner Platz wurden Todesurteile der Wehrmachtjustiz vollstreckt. Von den etwa 6.000 Mitgliedern der jüdischen Gemeinde lebten nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch 41 in Dresden.
Die Bürger als Augenzeugen der NS-Verbrechen
Die Dresdner Stadtgesellschaft war Augenzeuge der Schrecken des Nationalsozialismus. Vorsichtig geschätzt arbeiteten bis zu 20.000 Zwangsarbeiter, 12.000 Kriegsgefangene und 4.400 KZ-Häftlinge in der Stadt. Diese Menschen waren Teil des allgemeinen Stadtbildes. Sie begegneten den Dresdnern an jeder Ecke. Nicht nur die Großindustrie beutete diese Personen aus. Nahezu jedes noch so kleine Privatunternehmen und jeder landwirtschaftliche Betrieb setzte Zwangsarbeiter ein.
Dresden war keine Stadt des Widerstands. Auch wenn sich einige Angehörige des Widerstands vom 20. Juli 1944 aus ihrer Zeit in Dresden kannten und es einige kleine, lokale Widerstandsgruppen gab.
Die NS-Diktatur kam von unten
Das Jahrzwölft der NS-Diktatur kam nicht von oben, es kam von unten. Schon vor der Jahrhundertwende hatte sich in Dresden eine völkisch-antisemitische Subkultur gebildet. An den Elbhängen dominierte eine kulturpessimistische Stimmung. Der "1. Internationale antisemitische Kongress" fand in der Dresdner Altstadt statt, und in der Amtszeit des Dresdner Oberbürgermeisters Gustav Otto Beutler verpflichteten sich mehrere Turn- und Gesangsvereine, keine Bürger jüdischer Herkunft mehr aufzunehmen.
Der Verein deutscher Studenten prahlte damit, "judenfrei" zu sein. Beim Zirkus Sarrasani fanden Völkerschauen statt. Der bis heute für seine dekorativen Bauplastiken bekannte Richard Guhr gründete die "Deutsche Kunstgesellschaft", die ideologische Vorarbeit für das Kunstverständnis der Nationalsozialisten leistete. Die Konservativen radikalisierten sich, die Mitte brach – und das nicht nur in Dresden, sondern im ganzen Land.
Was eine aktive Zivilgesellschaft hätte verhindern können
Dies alles führte zur Machtergreifung der Nationalsozialisten, zur millionenfachen Ermordung, zum Weltkrieg und schließlich zur Bombardierung der Stadt. Die Frage, ob die Bombardierung möglicherweise ein Kriegsverbrechen gewesen ist, bringt uns heute genauso wenig weiter wie nachgetragene geostrategische Überlegungen.
Angesichts des Mahnmals von Krieg und Gewalt, das die Bombardierung hinterlassen hat, sollten wir uns vielmehr mit der Frage beschäftigen, was wir konkret aus der Geschichte lernen können. Denn hätte es um die Jahrhundertwende und in den ersten Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts eine aktive Zivilgesellschaft gegeben, die den Aufstieg der Nationalsozialisten verhindert hätte, wären die Bestrebungen der Rechten nicht verharmlost und negiert oder gar heimlich gewollt gewesen – das alte Dresden stünde heute noch.
Über die Autorin Charlotte Gneuß wurde 1992 in Ludwigsburg (Baden-Württemberg) geboren. Ihre Eltern stammen aus Dresden und waren aus der DDR geflüchtet. Gneuß studierte am Deutschen Literaturinstitut Leipzig sowie an der Universität der Künste Berlin. 2023 wurde ihr Debüt-Roman "Gittersee", der in den 70er-Jahren in Dresden spielt, für den Deutschen Buchpreis nominiert. Der Roman löste zugleich eine Debatte darüber aus, wer über DDR-Geschichte erzählen darf. 2024 war Charlotte Gneuß Dresdner Stadstschreiberin.
Redaktionelle Bearbeitung: lm
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 12. Februar 2025 | 07:10 Uhr