
Geburtenrückgang Kita-Schließung: Radebeuler Familien wollen Kita erhalten
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04. März 2025, 05:00 Uhr
Ein "ganz besonderer Ort" sei das "Kinderhaus Guter Hirte" im ehemaligen Oberlößnitzer Rathaus in Radebeul-Ost, eine "herausragende Kita", manche sagen gar "die beste Kita der Region". Doch in absehbarer Zeit werden keine Kinderfüße mehr durch die vier Gruppenräume der alten Villa tapsen oder hüpfen. Die familiäre Einrichtung mit Plätzen für sechs Krippen- und 39 Kita- sowie 15 Hortkinder wird geschlossen. Hinnehmen wollen die betroffenen Eltern das nicht.
- In Radebeul-Ost soll die beliebte Kita "Kinderhaus Guter Hirte" geschlossen werden.
- Der Träger führt mehrere Gründe auf, warum die Kita geschlossen werden soll.
- Die geplante Schließung wollen die Eltern nicht hinnehmen.
In Radebeul soll innerhalb von vier Jahren die vierte Kita geschlossen werden: Das "Kinderhaus Guter Hirte". Bei einem Elternabend Mitte Februar wurde die geplante Schließung bekannt gegeben. Der Träger Kinderarche Sachsen e.V. betont: "Nicht die Kita wird geschlossen, sondern nur der Standort. Teile des Konzepts sollen übernommen und auf andere Standorte von uns übertragen werden", wie Barbara Gärtner MDR SACHSEN sagt.
Wir wollen das Konzeptionelle des 'Guten Hirten', was auf Eltern so attraktiv wirkt, herausarbeiten und in Teilen auf die anderen beiden Kitas übertragen.
Ob Standortschließung oder Kita-Schließung - die Bezeichnung ist den Eltern gleich. Die Botschaft, die bei ihnen ankommt: Ihre Kita wird es bald nicht mehr so geben, wie sie sie kannten.
Online-Petition: "Wir kämpfen um unsere Kita"
"Der Gute Hirte" ist die kleinste von vier Kitas des Trägers in Radebeul und wird von Familien stark nachgefragt. Zum Haus gehören ein großer Garten mit Fußballplatz sowie Gemüse- und Kräutergarten. Immer wieder würden die Anmeldezahlen die Platzkapazitäten übersteigen, sagt Manuela Hammer. Sie hat eine Online-Petition zum Erhalt der Kita gestartet: "Wir kämpfen um unsere Kita!", sagt sie.
Vier Jahre war Manuela Hammer Mitglied im Elternrat, mittlerweile sind ihre Kinder dem Kita-Alter entwachsen. Trotzdem möchte sie die Eltern, die aktuell Kinder in der Kita haben oder ihre Kinder dort anmelden möchten, unterstützen. "Unsere Chancen sind gering, aber wir hoffen, dass wir das Ruder dennoch irgendwie rumreißen", sagt sie.
Bei vielen Eltern herrscht Unverständnis über die Entscheidung des Trägers, auch bei Jochim Schreiter - zwei seiner vier Kinder besuchen die Einrichtung. Er hätte sich vom Träger mehr "Feingefühl" gewünscht, wie er MDR SACHSEN sagt, und eine andere Entscheidung.
Zu wenige Kinder für zu viele Plätze
Grund für die aus Sicht des Trägers und der Stadt Radebeul notwendige Schließung sind die sinkenden Geburtenzahlen in Radebeul. Auf Anfrage von MDR SACHSEN teilt eine Sprecherin der Stadt Radebeul mit, dass zwischen den Jahren 2016 und 2024 die Geburten in der Stadt um 40 Prozent zurückgegangen seien.
"Wurden 2016 noch 321 Mädchen und Jungen in der Stadt geboren, waren es 2019 noch 261 Kinder und Ende 2024 nur noch 171 Geburten", zitiert sie Daten des Einwohnermeldeamtes. Aufgrund der Entwicklungen "besteht die Notwendigkeit, sich mit Kapazitätsanpassungen und Schließungen von Einrichtungen auseinanderzusetzen."
Bereits drei Kitas in Radebeul geschlossen
Die Kita "Guter Hirte" soll die vierte Kita sein, die in Radebeul innerhalb weniger Jahre geschlossen wird: 2022 schloss die Einrichtung in der Harmoniestraße, die in Trägerschaft der Stadtverwaltung war; ein Jahr später die Kita der Volkssolidarität in der Marienstraße. Im vergangenen Jahr machte die ASB-Kita in der Borstraße dicht. Zudem wurden laut Stadtverwaltung ausscheidende Kindertagespflegepersonen nicht nachbesetzt.
Seit etwa vier Jahren gibt es in der Stadt Radebeul eine Arbeitsgruppe aus Trägerverantwortlichen der freien Träger sowie der Stadtverwaltung. Diese beschäftigte sich mit dem Thema Geburtenentwicklung und deren Auswirkungen auf die Radebeuler Kita-Landschaft. Vier Jahre lang habe man die Schließung des Standortes abwenden können, erzählt Barbara Gärtner von der Kinderarche. "Aber nach der letzten Geburtenprognose mussten wir tätig werden."
Wut und Unverständnis in der Elternschaft
"Die Eltern sind unglaublich frustriert", sagt Manuela Hammer. Sie ärgert, dass die Eltern nicht mitentscheiden konnten, welche Kita geschlossen wird. "Wir glauben, es hätte bessere Lösungen gegeben", sagt sie.
Man darf ja nicht nur die Geburtenraten sehen, sondern auch den Zuzug von Familien.
Das Argument der sinkenden Geburten will sie nicht gelten lassen: "Man darf ja nicht nur die Geburtenraten sehen, sondern auch den Zuzug von Familien. In Boxdorf soll ja auch bald ein großer Standort von TSMC gebaut werden, bei dem 6.000 Menschen zuziehen sollen. Das wäre auch unser Einzugsgebiet." Außerdem würde sie sich wünschen, wenn der Geburtenrückgang dafür genutzt werden würde, den Personalschlüssel anzupassen.
Betroffene Eltern: Warum gerade diese Kita?
Andere betroffene Eltern haben zwar mehr Verständnis, dass auf den Geburtenrückgang in der Stadt reagiert werden muss, können aber nicht nachvollziehen, warum es ausgerechnet die Kita "Guter Hirte" trifft. In zahlreichen Kommentaren der Online-Petition werden Bedauern, aber vor allem Wertschätzung für die Kita, das Konzept und die Arbeit der Erzieherinnen und Erzieher geäußert: Die Kita sei "etwas ganz Besonderes", "ein Wohlfühlort", eine "hervorragende Kita", "der beste Kindergarten der Region", in der Kinder eine "unheimlich liebevolle Betreuung erfahren", ein "überragendes Kinderhaus". Einige Petenten drücken ihre Sorge aus, in anderen Kitas keinen Platz zu finden oder sprechen die Befürchtung überfüllter Einrichtungen an.
Barbara Gärnter von der Kinderarche sagt dazu: "Wir können Mut machen, dass für jedes Kind im Sommer 2026 ein Betreuungsangebot da sein wird. Es wird kein Kind auf der Straße stehen. Wir werden innerhalb der Kinderarche Sachsen ein ganz attraktiven und liebevollen Betreungsplatz anbieten können."
Der Ärger der Eltern bleibt: "Es ist die am besten ausgelastete Kita, im Vergleich zu den anderen drei Kitas des Trägers. Die Anmeldezahlen übersteigen immer wieder die Plätze", sagt Joachim Schreiter, Vater von vier Kindern. Seine jüngste Tochter besucht die Kita, seine andere Tochter den Hort im "Guten Hirten". Was mit den Hortplätzen geschehen soll, sei bislang völlig unklar.
Eltern wollen Zahlen und Belege für Argumentation
Außerdem sind die Eltern von den am Elternabend vorgetragenen Gründen für Schließung nicht überzeugt: "Die Behauptung, dass eine Kita erst ab 80 oder 90 Kindern wirtschaftlich tragfähig sei, steht im Widerspruch zu der Investition der Stadt in die Sanierung der Kita Waldstraße für 1,9 Millionen Euro, die knapp 80 Plätze bietet", sagt Manuela Hammer und ergänzt: "Ein kleiner, voll ausgelasteter Kindergarten wie der 'Gute Hirte' dürfte wirtschaftlich effizienter sein als eine größere, halb ausgelastete Einrichtung wie die an der Riesestraße."
Dem Träger wirft sie mangelnde Transparenz vor: "Die Begründung der Schließung mit wirtschaftlichen Argumenten ist bisher nicht transparent belegt worden. Es wurden keine belastbaren Zahlen offengelegt." In einigen Kommentaren unter der Petition argumentieren auch andere Eltern so.
Träger: "Gesamte Kita-Landschaft im Blick behalten"
"Auch für uns ist das ein Trauerprozess. Es ist nicht einfach so eine Kita zu schließen", sagt der scheidende Vorsitzende der "Kinderarche Sachsen" Matthias Lang. Er habe die Kita selbst mit aufgebaut, müsse als Vorsitzender jedoch mehr als nur die Familien dieser einen Kita in den Blick nehmen. Die Kinderarche Sachsen sei für 1.700 Kinder und 630 Mitarbeiter verantwortlich. Dass es die Kita "Der gute Hirte" trifft, habe mehrere Gründe. Barbara Gärtner macht vor allem strukturelle Bedingungen verantwortlich:
- demografische Entwicklung in Radebeul: "Die Prognosen sind dramatisch, es werden im Moment einfach zu wenig Kinder geboren."
- sinkende Anmeldezahlen: "Die Anmeldezahlen in den Kindertageseinrichtungen gehen zurück, damit sind die Häuser nicht mehr ausgelastet."
- Trägervielfalt in Radebeul gewährleisten: "Wir mussten gemeinsam mit der Stadt und mit anderen Trägern die gesamte Kita-Landschaft in Radebeul betrachten und uns Gedanken machen, wie wir Kita-Plätze reduzieren können."
- Auf Bedarf reagieren: "Der Standort auf der Hauptstraße gibt uns keine Möglichkeit, dort perspektivisch Kinder ab einem Jahr zu betreuen.
- Inklusion: "Aufgrund räumlicher und fachlicher Bedingungen im Kinderhaus "Guter Hirte" können dort keine Kinder mit Inklusionsbedarf und Eingliederungshilfe betreut werden und wir können somit nicht dem gesetzlichen Anspruch auf Inklusion gerecht werden. "
Hinzu komme, dass mit den Kitas auf der Riesestraße und auf der Waldstraße in unmittelbarer Nähe zwei weitere Kitas des Trägers sind, die in den vergangenen Jahren bzw. aktuell sehr umfangreich und mit viel Eigenmitteln saniert worden sind. Anders als das Kinderhaus "Der Gute Hirte" befinden sich diese beiden Kitas im Eigentumsverhältnis der "Erbpacht", was bedeutet, dass die Immobilien der Kinderarche Sachsen gehören.
Der Träger sichert zu, in die nächsten Schritte die Eltern einzubeziehen. Nicht zuletzt wegen des christlichen Profils der Einrichtung, das vielen Eltern wichtig ist.
Retten, was zu retten ist
Am 25. März soll eine Steuerungsgruppe zusammenkommen, die sich aus Vertreterinnen und Vertretern der Kirchgemeinde und des Trägers sowie aus Mitarbeitenden sowie Eltern zusammensetzt. "Wir wollen das Konzeptionelle des 'Guten Hirten', was auf Eltern so attraktiv wirkt, herausarbeiten und in Teilen auf die anderen beiden Kitas übertragen", erklärt Barbara Gärtner die Idee. "Wir haben jetzt anderthalb Jahre Zeit und laden die Eltern ein, das mit uns zu gestalten. Wir hoffen, dass wir gemeinsam nach vorne blicken können."
Wir haben jetzt anderthalb Jahre Zeit und laden die Eltern ein, das mit uns zu gestalten. Wir hoffen, dass wir gemeinsam nach vorne blicken können.
Eltern wollen weiter für Erhalt der Kita kämpfen
Die Eltern haben andere Pläne. Sie wollen sich weiter für den Erhalt ihrer Kita stark machen. Auch darüber, sich einen anderen Träger zu suchen, sei bereits gesprochen worden. Aus dem jetzigen Elternrat, den Eltern der Kita und der ehemaligen Vorsitzenden Manuela Hammer wurde nun eine Elterninitiative gegründet. Ende März wollen sie die Online-Petition der Eltern zum Erhalt der Kita dem Radebeuler Bürgermeister Bert Wendsche (parteilos) übergeben werden.
Indes geht für die Kinder der Kita-Alltag im "Guten Hirten" erstmal weiter: Fasching, Osterfrühstück, Experimente-Tag und im September wird vielleicht noch mal gefeiert: Auf der Internetseite der Kita steht im September "20 Jahre Kinderhaus 'Guter Hirte'".
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalreport aus dem Studio Dresden | 04. März 2025 | 14:30 Uhr