Gewalt in der Asylunterkunft Wie kann Sachsen Geflüchtete besser schützen?
Hauptinhalt
27. September 2023, 05:12 Uhr
Immer wieder kommt es in Flüchtlingsunterkünften zu Gewalt - untereinander und von außen. Räumliche Enge, fehlende Privatsphäre und Beschäftigung, Missverständnisse unter Angehörigen verschiedener Kulturkreise, Konflikte innerhalb von Familien sowie unsichere Bleibeperspektiven - Konfliktpotenzial gibt es genug. Aber wie kann man das minimieren und Gewalt in Asylunterkünften verhindern?
Wie können Menschen in Flüchtlingsunterkünften und Erstaufnahmeeinrichtungen besser vor Gewalt geschützt werden? Dazu haben sich am Dienstag in Dresden Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger aus den verschiedensten Bereichen zu einer Fachtagung getroffen. Mit dabei waren Vertreter der Länder und Kommunen sowie Betreiber und Trägerorganisationen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Uta Maria Sandhop vom Malteser Hilfsdienst erklärte MDR SACHSEN: Genaue Zahlen, welche Formen von Gewalt in Flüchtlingsunterkünften vorkommen, wer Täter und Opfer sind und wie oft gewalttätige Übergriffe vorkommen, gebe es nicht. Denn dazu würden keine Statistiken erstellt. Doch für alle, die mit der Unterbringung von Geflüchteten zu tun haben, sei das Thema allgegenwärtig.
Fachtag zum Austausch und zur Vernetzung
Uta Maria Sandhop hat den Fachtag gemeinsam mit Jenny Braun organisiert. Beide sind als sogenannte Multiplikatorinnen Teil eines Projekts, das Gewaltschutzkonzepte für Flüchtlingsunterkünfte ausarbeitet und bei der Umsetzung hilft. Dazu gehört es beispielsweise, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu Schutzkonzepten zu schulen.
Inhaltlich lag der Schwerpunkt des Fachtags auf Ausschreibungen und Vergabeverfahren. Was für Außenstehende auf dem ersten Blick sperrig klingen mag, hat aber einen direkten Einfluss auf die Qualität und Sicherheit in Flüchtlingsunterkünften. Denn wenn eine Flüchtlingsunterkunft in Betrieb genommen wird, sind meist verschiedene Dienstleister und Träger beteiligt. Neben dem Gebäude an sich braucht es beispielsweise Menschen, die sich um die Verpflegung kümmern, Verantwortliche für die soziale und medizinische Versorgung oder Wachschutzpersonal.
Damit sich alle Beteiligten an das seit 2016 in Sachsen existierende Konzept zum Gewaltschutz halten, müssen Ausschreibungen entsprechend formuliert und viele juristische Finessen beachten werden. In Impulsvorträgen und Austauschrunden wurden diese beim Fachtag thematisiert.
Viel Konfliktpotenzial in Flüchtlingsunterkünften
Sechs Quadratmeter sollen in Flüchtlingsunterkünften für eine Person vorgehalten werden, erzählt Uta Maria Sandhop. "Diese Enge und Fragen zur Bleibeperspektive können auf Konflikte förderlich wirken. Hinzu kommt bei einigen eine empfundene Ungleichheit und die Fremdbestimmung der eigenen Tagesstruktur", so Sandhop.
Täglich würden neue Geflüchtete zugewiesen. Es komme zu Konflikten innerhalb von Familien und zwischen verschiedenen Kulturkreisen. Für die Untergebrachten selbst sowie für jene, die in den Unterkünften arbeiten, sei diese Gemengelage eine große Herausforderung.
Die Zuweisungsentscheidung ist eine Lotterie, bei der es einiges zu gewinnen oder zu verlieren gibt.
Untersuchung zur Unterbringungssituation von Geflüchteten
Trotz allem ist die Situation in Sächsischen Flüchtlingsheimen grundsätzlich nicht besorgniserregend. Zu diesem Ergebnis kommt der aktuelle Heim-TÜV, eine Untersuchung zur Unterbringungssituation in Sachsens Aufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber. Das Personal sei motiviert, es gebe eine gute Infrastruktur und Kooperationen mit der Zivilgesellschaft vor Ort würden funktionieren.
Zwischen den einzelnen Einrichtungen gebe es jedoch große Unterschiede, sagte der Sozialforscher Christoph Meißelbach vom Sächsischen Institut für Polizei- und Sicherheitsforschung: "Die Zuweisungsentscheidung ist eine Lotterie, bei der es einiges zu gewinnen oder zu verlieren gibt. Man kann Glück haben, aber es braucht ein besseres Qualitätsmanagement. Es gibt einige Unterkünfte, da ist fast alles da, und andere, da fehlt es an allem."
Kritikpunkte, die zur Gewalt in Flüchtlingsheimen beitragen seien "ungünstige Personalschlüssel, überlastetes Personal, schlechte bauliche Gegebenheiten und ein schmales Angebot für sinnvolle Tätigkeiten."
Fachkräftemangel für Sicherheit großes Problem
Wer in Flüchtlingsunterkünften arbeitet, müsse sich Sandhop zufolge auf ständig wechselnde Bedarfe der Bewohnerinnen und Bewohner einstellen. Hinzu kommt, dass ihre eigenen Arbeitsverträge oft nur für kurze Zeit ausgeschrieben seien und dadurch auf persönlicher Ebene Unsicherheiten entstünden.
Dringend gebraucht würden Erzieherinnen und Erzieher, Fachkräfte aus dem Bereich Sozialarbeit und Betreuungskräfte. "Aber auch Softskills sind wichtig, wie Emphatie, eine interkulturell sensible Haltung, pragmatische Einstellungen und Fremdsprachenkenntnisse." Eine besondere Herausforderung, sagt Sandhop, seien auch die stetig steigenden Zuweisungszahlen.
Die Menschen in den Unterkünften leben auf engem Raum, sie haben ein Arbeitsverbot und sie leiden oft unter der fehlenden Perspektive. Dadurch ist ihr 'Stressballon' wesentlich schneller gefüllt.
"Gewaltschutz wird oft nicht mitgedacht"
Matthias Kornmann, polizeilicher Vertreter des Deutschen Forums für Kriminalprävention kritisierte am Dienstag, dass Gewaltschutz in Flüchtlingsunterkünften oft nicht mitgedacht werde. Viel zu wenig werde berücksichtigt, dass die Menschen in den Flüchtlingsunterkünften nicht auf dieselben Strukturen zurückgreifen können, wie beispielsweise junge Menschen aus Deutschland.
"Die Menschen in den Unterkünften leben auf engem Raum, sie haben ein Arbeitsverbot und sie leiden oft unter der fehlenden Perspektive. Dadurch ist ihr 'Stressballon' wesentlich schneller gefüllt. Gewalt ist die Nadel, die ihn zum Platzen bringt", so Kornmann. Daher sei es wichtig, Perspektiven zu schaffen.
MDR (kav)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalnachrichten aus dem Studio Dresden | 26. September 2023 | 15:30 Uhr