UmA Unterkunft
Gegen eine Asylunterkunft in Kriebethal gibt es immer wieder Proteste. Zuletzt stand der Vorwurf im Raum, dass die Asylsuchenden für die Häufung von Straftaten verantwortlich seien. Zahlen des LKA wiederlegen dieses Gerücht und zeigen, dass rechte Proteste die Häufung zu verantworten haben. Bildrechte: MDR/Tobias Wilke

AfD und "Freie Sachsen" Polizeistatistik widerlegt Pauschalurteil über junge Flüchtlinge in Kriebethal

19. Oktober 2024, 19:30 Uhr

Schon vor dem Bezug einer Unterkunft für sogenannte "UmAs" (unbegleitete, minderjährige Ausländer) im Landkreis Mittelsachsen hatten Rechtsextremisten gegen die jungen Flüchtlinge protestiert. Durch eine kürzlich festgestellte Häufung von Delikten im Ort sehen sie sich bestätigt. Doch die Polizeistatistik zeigt: Es geht um sehr wenige Einzelfälle unter den Bewohnern. Im Berichtsjahr 2023 gab es in Kriebethal mehr Straftaten im Zusammenhang mit Protesten gegen das Flüchtlingsheim.

Jeder dritte der etwa 2.000 Einwohner Kriebsteins im Landkreis Mittelsachsen lebt im Ortsteil Kriebethal. Seit Januar 2023 betreibt das Deutsche Rote Kreuz hier in einem ehemaligen Altenpflegeheim eine sogenannte "Inobhutnahmestelle" für minderjährige Flüchtlinge – eine Erstaufnahme für jene, die ohne Begleitung Erziehungsberechtigter einen Schutzstatus in Deutschland beantragen.

Höchstens drei Monate soll das Verfahren dauern bis zur Weitervermittlung an Verwandte oder betreute Wohnprojekte. Eine langfristige Integration im Ort ist also nicht vorgesehen. An einem meterhohen Fahnenmast auf dem Nachbargrundstück weht die Flagge einer vom Verfassungsschutz als extremistisch eingestuften Rechtsrockband.

Flagge Rechtsrock
In einem Vorgarten direkt neben der Asylunterkunft weht die Flagge einer vom Verfassungsschutz als extremistisch eingestuften Rechtsrockband. Bildrechte: MDR/Tobias Wilke

Amtsblatt als Steilvorlage für Rechtsextremisten

Auf der Titelseite des Oktober-Amtsblatts der Gemeindeverwaltung Kriebstein wirbt der aktuelle "Gemeindebote" für das Kinderdrachenfest im Ortsteil Ehrenberg. Direkt darunter thematisiert die Bürgermeisterin auf eineinhalb Seiten gefühlte und echte Probleme rund um das "UmA-Heim in Kriebethal". Maria Euchler (Freie Wähler) berichtet darin über Fahrraddiebstähle, lautstarke Musik oder Bewohner der Unterkunft, die auf das Dach steigen, um zu rauchen.

Bürgermeisterin
Kriebethals Bürgermeisterin Maria Euchler (Freie Wähler) berichtete im Amtsblatt über Probleme mit einem Teil der jugendlichen Geflüchteten. Bildrechte: MDR/Tobias Wilke

Im Gespräch mit MDR SACHSEN konkretisiert Euchler: "Es wird durch Gärten gestreift, es werden auch Dinge kaputtgemacht, es werden Leute angepöbelt. Die Jugendlichen werden auch nach 20 Uhr draußen gesehen" und ergänzt: "Es sind nicht alle, das muss man ganz klar sagen. Wir hatten bestimmt ein Jahr Ruhe." Die jüngsten Fälle seien auf vier Bewohner der Unterkunft zurückzuführen.

Mit einer ähnlichen Einschränkung enden auch ihre Ausführungen im Amtsblatt: "Hier sorgen nur einige wenige für Unruhe", heißt es dort. Diesen Hinweis haben AfD und "Freie Sachsen" offenbar ignoriert.

AfD und "Freie Sachsen“ machen Ausnahmen zur Regel

Auf ihrem Facebook-Profil postet Carolin Bachmann, direkt gewählte AfD-Bundestagabgeordnete des Landkreises Mittelsachsen, am Tag nach der Veröffentlichung des Amtsblatts: "Unterbringung von Flüchtlingen bringt immer mindestens Chaos und meistens Gewalt und Straftaten mit sich. Das wissen jetzt die Bürger in Kriebstein". Darunter: ein Foto des gedruckten Amtsblatts. Im Bildausschnitt fehlt jedoch der Hinweis der Bürgermeisterin, dass "nur einige wenige" für Unruhe sorgen.

Ähnlich pauschalisierend äußert sich die rechtsextremistische Kleinstpartei "Freie Sachsen“ auf der Plattform X (vormals Twitter): "Leider haben wir wieder Recht behalten: Asylheim für minderjährige Asylbewerber versetzt Kriebethal in Aufruhr!“

Kriminalstatistischer Effekt durch Bezug der UmA-Unterkunft

Hinweise darauf, ob der Betrieb der Inobhutnahmestelle die Kriminalitätsbelastung in Kriebstein erhöht haben könnte, liefert der "Kriminalitätsatlas" des Landeskriminalamtes Sachsen. Darin sind nach dem Tatortprinzip gemeindescharf die von der Polizei bearbeiteten und an die Staatsanwaltschaften abgegebenen Fälle aufgeführt. Das aktuelle Berichtsjahr ist das vergangene Kalenderjahr. Ende Januar 2023 wurde die Unterkunft bezogen, insgesamt 70 unbegleitete, minderjährige Ausländer waren dort laut DRK über das Jahr verteilt untergebracht.

In den fünf Berichtsjahren von 2019 bis 2023 erfasste die Polizei demnach jeweils zwischen 31 und 50 Straftaten in der Gemeinde Kriebstein. Das vergangene Jahr, in dem die Unterkunft bezogen wurde, liegt also mit insgesamt 35 Delikten unter dem 5-Jahres-Durchschnitt von 38,8 Fällen.

Delikte Kriebstein
Die Statistik des LKA zeigt, dass mit dem Bezug der Asylunterkunft im Durchschnitt nicht mehr Straftaten erfasst wurden als in den Jahren zuvor. Bildrechte: MDR/Tobias Wilke

Mehr Delikte von Gegnern der Unterkunft als von ihren Bewohnern

Möglicherweise wäre die Zahl der Straftaten in Kriebstein ohne die Unterkunft noch stärker gesunken. Daher hat MDR SACHSEN die Polizeidirektion Chemnitz um eine Aufschlüsselung gebeten. Demnach wurde 2023 in der Gemeinde genau eine Straftat eines Bewohners der Unterkunft als Tatverdächtigem erfasst: wegen einer versuchten Körperverletzung gegen einen seiner Betreuer.

Vier Straftaten gingen laut Polizei indessen auf das Konto von Gegnern der Unterkunft: Eine Sachbeschädigung bei einer Protestaktion der Jugendorganisation der rechtsextremen NPD, sowie eine Körperverletzung, eine Nötigung und ein Verstoß gegen das Versammlungsgesetz bei Demonstrationen, die die ebenfalls rechtsextremen "Freien Sachsen" organisiert hatten.

Für den kommenden Freitag haben die "Freien Sachsen" eine erneute Kundgebung in Kriebethal angemeldet.

MDR (lev)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 18. Oktober 2024 | 19:00 Uhr

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