![Halb-leerstehender Plattenbau im Wohnkomplex V in Hoyerswerda Neustadt. | Bildrechte: imago/IPON Halb-leerstehender Plattenbau im Wohnkomplex V in Hoyerswerda Neustadt.](https://www.mdr.de/index-transparent_h-422_w-512_zc-edf5217c.gif)
Wohnen im Osten Klotz am Bein: Altschulden bremsen Wohnungsbau und Sanierung in Sachsen
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09. Februar 2025, 16:00 Uhr
Kommunale Wohnungsunternehmen klagen: Sie haben noch immer an dem Übertrag der alten DDR-Schulden an Privatbanken zu knabbern - das lähme die Betriebe bis heute und erschwere sowohl die Sanierung als auch den Bau von Wohnungen. Ein Blick nach Limbach-Oberfrohna bei Chemnitz, Leipzig und Riesa.
- Die kommunalen Gebäudegesellschaft Limbach-Oberfrohna hat 35 Jahre lang Schulden aus dem DDR-Wohnungsbau abgezahlt.
- Jetzt möchte der kommunale Betrieb sanieren, doch die Baukosten sind hoch, es fehlt Geld und die Wohnraumförderung ist eingestellt.
- Die Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft (LWB) hat noch immer 100.000 Millionen Euro Altschulden und musste seit der Wende rund 60.000 Wohnungen verkaufen oder auch abreißen.
Norbert Gruss hat sich schon alle Unterlagen zurechtgelegt. "Wir haben 1.400 Wohnungen", erklärt der Geschäftsführer der kommunalen Gebäudegesellschaft Limbach-Oberfrohna am Telefon. Sozial verträgliche Mieten seien in der Satzung der Gesellschaft festgeschrieben. "Wir wollen guten und günstigen Wohnraum anbieten." Das sei aber gar nicht so einfach, die Gesellschaft brauche Geld, um zu sanieren, sowohl energetisch als auch altersgerecht.
Große Abwanderung nach 1990
Limbach-Oberfrohna ist eine mittelgroße Stadt in der Nähe von Chemnitz. Auf dem Berg thront das Schloss Wolkenburg, es gibt einen Stadtpark, eine große Hängebrücke und das Limbacher Teichgebiet. Viele Plattenbauten stehen am Stadtrand mit malerischem Blick auf die Teichgebiete. Zur Wende lebten hier noch 28.000 Einwohner. Heute sind es 24.000 Menschen - wohlgemerkt nach mehreren Eingemeindungen umliegender Orte.
Limbach-Oberfrohna steht stellvertretend für viele Orte im Osten. In der damaligen DDR wurden im Rahmen staatlicher Wohnbauprogramme viele neue Wohnungen in Plattenbausiedlungen errichtet. Dafür verbuchte man Schulden bei der DDR-Staatsbank. Nach der Wende verloren viele Städte tausende Einwohner. Die bei der DDR-Staatsbank registrierten Schulden wurden an private Banken übertragen. Das hat Folgen - bis heute.
"Wir habe hier eine enorme Abwanderung erlebt", sagt Gruss. Zahlreiche leerstehende Gebäude und Wohnungen seien wegen laufender Kosten eine große Belastung gewesen. Erst vor zwei Jahren habe man die letzten 140 Wohnungen eines Gebietes abgerissen. "Jetzt ist die Situation zumindest beim Leerstand und beim Abriss geklärt." Nur noch 55 freie Wohnungen gibt es laut dem Geschäftsführer aktuell in der Stadt.
Altschulden, Leerstand, Sanierung – wie hängt das alles zusammen? (zum Ausklappen)
Was haben Leerstand und Altschulden mit der aktuellen Situation zu tun? In der DDR sind die Plattenbaugebiete mit Krediten der DDR-Staatsbank gebaut worden. Während der Verhandlungen zur Deutschen Einheit beschloss man deren eher virtuelle Forderungen auf die Deutsche Kreditbank (DKB) zu übertragen, die wiederum 1993 alleinig der Treuhand gehörte.
Diese veräußerte einen Teil des Geschäfts an die Dresdner und die Deutsche Bank sowie den anderen Teil an die Bayrische Landesbank. Damit landeten also alle Schulden bei privaten Banken, die bis heute Zahlungen von kommunalen Wohnungsbauunternehmen einfordern – obwohl sie selbst beim Bau dieser Plattenbauten nie Geld verliehen hatten.
Nach einer Recherche des Deutschlandfunks wurden ostdeutschen Wohnungsunternehmen 1993 zwar etwa die Hälfte ihrer eher virtuellen Schuld erlassen. Doch egal wie alt und marode deren Häuser waren, seien die Restschulden mit 150 DM pro Quadratmeter Wohnfläche festgelegt worden. Zudem mussten die Unternehmen mindestens 15 Prozent ihres Wohnungsbestandes verkaufen, um die DDR-Altschulden zu bedienen.
Darum stehen die Altschulden unter Kritik (zum Ausklappen)
Die Altschulden-Regelung steht schon seit den 90er-Jahren unter enormer Kritik – unter anderem warnte das Deutsche Institut für Wirtschaft (DIW) in Berlin, so zu verfahren. Trotz kritischer Töne entschied man sich nicht für einen Schuldenschnitt. So hätten die kommunalen Wohnanbieter ohne Last in ein vereinigtes Deutschland starten können.
Die Kritik ebbte im Laufe der 1990er-Jahre nicht ab. Das zeigt auch eine große Anfrage von Bündnis90/Die Grünen im Jahr 1996 an die Bundesregierung. 2019 beschäftigte sich die Facharbeitsgruppe Altschulden der Kommission "Gleichwertige Lebensverhältnisse" mit dem Thema. Noch heute kämpfen die kommunalen Wohnanbieter mit den Folgen und fordern eine Altschulden-Entschädigung.
Sanierungsstau durch Altschulden
"Unser Weg war: Erst die Altschulden bezahlen und sauber durchstarten", erläutert Gruss die Strategie des kommunalen Wohnungsanbieters. Man habe alles daran gesetzt, die neun Millionen Euro Schulden so schnell wie möglich abzutragen. Allerdings habe sich dadurch ein Sanierungsstau ergeben. "Wir sind jetzt schuldenfrei und bereit, zu sanieren, doch die Baukosten sind enorm gestiegen." Es fehlten grundsätzlich eigene Mittel, die habe man durch die Schulden einfach nie anhäufen können.
Wir sind jetzt schuldenfrei und bereit, zu sanieren, doch die Baukosten sind enorm gestiegen.
Förderung für Wohnungsbau nicht neu aufgelegt
Die aktuelle Sanierung eines Wohnblocks mit 48 Sozialwohnungen konnte Gruss zufolge gerade noch mit einem Förderprogramm für preisgünstigen Mietwohnraum angestoßen werden. "Doch nach dem Förderstopp liegen weitere Projekte in weiter Ferne", sagt Gruss. Das Programm aus Bundes- und Landesmitteln sei seit dem Bruch der Ampel in Berlin nicht wieder neu aufgelegt worden. Ausreichend eigene Mittel habe man durch die Altschulden nicht anhäufen können. "Wir brauchen aber eine Investitionsförderung, um auch in Zukunft sozial verträgliche Wohnungen anbieten zu können."
Wir brauchen Investitionsförderung, um auch in Zukunft sozial verträgliche Wohnungen anbieten zu können.
Altschulden seit 1990 in Sachsen über 1,8 Milliarden Euro
Altschulden aus kommunalen Wohnungsbeständen sind nicht nur in Limbach-Oberfrohna ein Problem, sondern quasi in fast allen ostdeutschen Städten und Orten. Eine Größenordnung für Sachsen: Der Verband der Wohnungswirtschaft Sachsen beziffert die Altschulden seiner 120 kommunalen Wohnungsunternehmen auf über 1,8 Milliarden Euro. Davon seien 1,4 Milliarden bereits gezahlt worden. Übrig blieben jetzt noch insgesamt 435 Millionen Euro, die weiter an Privatbanken gezahlt werden müssen.
Beispiel Leipzig: Über 100 Millionen Euro Altschulden stehen noch aus
Die Folgen der Altschulden lassen sich auch am Beispiel Leipzig zeigen. Die Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft (LWB) hat nach eigenen Angaben auch im Jahr 2025 noch Altschulden in Höhe von über 100 Millionen Euro. "Das war vor Jahren noch ein Vielfaches mehr gewesen", erklärt LWB-Sprecherin Samira Sachse MDR SACHSEN. "Das hat damit zu tun, dass die LWB so riesig war." Im Jahr 1990 habe man weit über 100.000 Wohnungen gehabt, das Schuldenvolumen sei dementsprechend groß gewesen.
Wegen Schulden: Verkauf kommunaler Wohnungen
Um die aus DDR übertragenen Altschulden zu zahlen, mussten viele Betriebe ihre kommunalen Wohnungen veräußern. Hinzu kam die Abwanderungen in den Westen, die leerstehende Wohnungen und damit auch offene laufende Betriebskosten in Größenordnungen verursachte. "Auch die LWB hat Wohnungen und Immobilien in großen Paketen verkauft", erklärt Sprecherin Sachse. Der Wohnungsbestand liege heute bei 37.000 Wohnungen. Über 60.000 Wohnungen sind also in Leipzig aus kommunaler Hand in den Privatsektor gegangen.
Die LWB hat durch die Altschulden einen megagroßen Rucksack bekommen.
Es sei kurz daran erinnert: Dresden hatte seinen kommunalen Wohnungsbestand komplett an den Immobilienkonzern Gagfah verkauft und wurde somit schuldenfrei. Jahre später gründete die Stadt mit großem Aufwand die neue kommunale Wohnungsgesellschaft "Wir in Dresden", die heute mühevoll und für viel Geld Grundstücke kauft und neue kommunale Wohnungen baut.
Auch die LWB Leipzig braucht Förderung
Leipzig hat viele Wohnungen behalten, dennoch fehlen heute wieder Wohnungen. "Die LWB hat durch die Altschulden einen megagroßen Rucksack bekommen", sagt Sprecherin Sachse. "Wenn man Schulden hat, hat man weniger Flexibilität. Statt Altschulden zu zahlen, würden wir lieber sanieren und neue Wohnungen bauen." Die LWB halte zehn Prozent aller Wohnungen in Leipzig und sei bemüht, viele neue Wohnungen mit sozial verträglichen Mieten zu bauen.
Wir brauchen dringend das Geld, um weiter bezahlbaren Wohnraum zu bauen und den Bestand zu sanieren. Darüber hinaus müssen wir Klimaneutralität erreichen.
"Wir brauchen dringend das Geld, um weiter bezahlbaren Wohnraum zu bauen und den Bestand zu sanieren. Darüber hinaus müssen wir Klimaneutralität erreichen", erklärt Sachse. Die enormen Baukosten seien eine zusätzliche Herausforderung. Sachse fordert wie Gruss einen Altschulden-Entlastungsfonds und Investitionsförderprogramme.
Große Nachfrage nach sanierten Wohnungen in Riesa
Dass sanierte Wohnungen angenommen und gebraucht werden, zeigt ein Block in Riesa. Renoviert ist der Sechzigerjahre-Bau der Wohnungsgenossenschaft Riesa heiß begehrt. Die Wohnungen - von 50 bis 120 Quadratmeter - haben alle einen eigenen Zuschnitt, Balkon und Fußbodenheizung. Immerhin 9,60 Euro kostet der Quadratmeter kalt. Trotzdem ist die Nachfrage groß.
"Wir haben schon 26 von 30 Wohnungen vermietet.", erklärt Susan Eisenreich von der Wohnungsgesellschaft Riesa (WGR). Allerdings seien die enormen Baukosten ein Problem. "Ohne Eigenkapital und Förderung müssen diese auf die Mieten umgelegt werden. Das große Thema ist Re-Finanzierung: Wir leben nur von der Miete, eine andere Einnahmequelle haben wir nicht", sagt Mirjam Philipp, Chefin des Verbands Sächsischer Wohnungsgenossenschaften.
Verband der Wohnungswirtschaft Sachsen will Investitionszuschuss
Der Verband der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft Sachsen e.V. (VDW) fordert vom Bund Unterstützung für preisgünstigen Wohnraum. "Wir fordern einen Investitionszuschuss in anteiliger Höhe der ursprünglichen Altschulden exklusive Abzug aller bereits umgesetzten Entlastungen", sagte Alexander Müller, VDW-Geschäftsführer. Schon ein kleiner 20-Prozent-Anteil wäre eine enormer Investitionsschub, der in klimafreundliche Sanierung und Neubau gesteckt werden könnte. "Beim Thema Altschulden weisen wir schon lange auf die massiven Ungerechtigkeiten und langfristigen Belastungen ostdeutscher Wohnungsunternehmen hin."
Die Altschulden sind mindestens eine doppelte Hypothek für die betroffenen Unternehmen.
Das Beispiel LWB in Leipzig zeige, wie die finanzielle Belastung die Möglichkeiten für Investitionen drücke, erklärt Müller weiter. "Ein weiteres Problem ist, dass bestehende Verbindlichkeiten die Genehmigung neuer Kredite erschwert, welche man für Neubau oder Sanierungen benötigt. Insofern sind die Altschulden mindestens eine doppelte Hypothek für die betroffenen Unternehmen." Die ungerechte Mehrbelastung der kommunalen ostdeutschen Wohungsunternehmen müsse endlich gewürdigt werden. Dies könne auch zum Beispiel mit mehr Zeit für gesetzliche Vorgaben geschehen. "Es ist eben nicht nur ein finanzielles sondern auch ein sehr emotionales Thema und eine Frage der Gerechtigkeit", sagt Müller.
Gesetzesänderung zur Entlastung
Immerhin scheint das Problem im Bund angekommen zu sein. Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) erklärt: "Viele kommunale Wohnungsunternehmen leiden seit der Wiedervereinigung unter der hohen Altschuldenlast aus DDR-Zeiten. Diese Altschulden machen Investitionen in Neubau und Sanierungen für sozial orientierte Wohnungsunternehmen schwerer." Aus diesem Grund habe die Regierung einen Gesetzentwurf zur Änderung des Artikel 143h im Grundgesetz eingebracht - die Voraussetzung für Entschuldungsmaßnahmen des Bundes. "Mit dem heutigen Beschluss haben wir den Weg für eine Rechtsgrundlage geebnet, damit der Bund die Länder bei der finanziellen Entlastung der Kommunen unterstützen kann." Voraussetzung sei allerdings die Beteiligung der Länder.
Was will der Gesetzentwurf? (zum Ausklappen)
Mit der Grundgesetzänderung soll eine Ausnahmeregelung geschaffen werden, die den Bund ermächtigt, sich einmalig finanziell an den erforderlichen Maßnahmen der Länder zur Entlastung ihrer Kommunen zu beteiligen. Dadurch könnten kommunale Wohnungsunternehmen in Ostdeutschland mit hoher Altschuldenlast aus DDR-Zeiten entlastet werden. Voraussetzung für die Hilfen des Bundes ist die finanzielle Beteiligung der Länder. An bereits erfolgten Anstrengungen der Länder kann sich der Bund beteiligen.
Quelle: BMWSB
MDR (tomi)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Sachsenspiegel | 24. Januar 2025 | 19:00 Uhr