Chemnitz Integration ukrainischer Schüler - pragmatisch ins neue Schuljahr

24. August 2023, 05:00 Uhr

Steigende Schülerzahlen und anhaltender Lehrermangel – auch das neue Schuljahr wird eine Herausforderung. Dazu kommt, dass Kinder aus der Ukraine künftig nicht mehr in gesonderten Klassen lernen, sondern schrittweise in Regelklassen an sächsischen Schulen integriert werden. MDR SACHSEN hat sich an einer Oberschule in Chemnitz die Situation vor Ort angeschaut.

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Von den rund 450 Schülern an der Alexander-von-Humboldt-Oberschule in Chemnitz lernen rund 100 in sogenannten Vorbereitungsklassen. Sie kommen zum Großteil aus der Ukraine und müssen vor dem normalen Schulalltag erst einmal die deutsche Sprache erlernen. Innerhalb eines Schuljahres wurden aus null, erst zwei und dann vier Vorbereitungsklassen, erzählt Schulleiterin Katja Wiedeburg.

Personal bekam sie über das Landesamt für Bildung und Schule (Lasub). Genug Klassenzimmer gibt es an der Oberschule allerdings nicht. "Wir haben dann mit dem benachbarten Abendgymnasium und dem Lasub gemeinsam verhandelt", so Wiedeburg. Im Ergebnis können die vier Vorbereitungsklassen die Räume der Abendschule nutzen.

Vorbereitungsklassen nach Sprachniveau aufgeteilt

"Zum Schuljahresbeginn haben wir diese vier Klassen nach Alter und Sprachniveau neu aufgeteilt", sagt Wiedeburg. Eine der Klassen habe nun nicht mehr nur Kinder aus der Ukraine, sondern aus vielen verschiedenen Ländern. Barno Baumbach ist die Lehrerin dieser Klasse und nimmt diesen Umstand ganz pragmatisch. "Viele der Kinder aus anderen Ländern sprechen gut Englisch und die ukrainischen Kinder auch", sagt sie. "Ich halte meinen Unterricht auf Deutsch und die Kinder helfen sich untereinander." Genau wie ihre drei Kolleginnen, die an der Oberschule die Vorbereitungsklassen betreuen, stammt auch sie aus der Ukraine. "Eigentlich bin ich ausgebildete Chemielehrerin, aber hier unterrichte ich Deutsch", lacht sie.

Kinder, die bereits ein gutes Sprachniveau erreicht haben, sollen in diesem Schuljahr schrittweise in den regulären Unterricht integriert werden. "Das heißt, die Kinder besuchen drei Tage in der Woche weiter ihre Vorbereitungsklasse, um Deutsch zu lernen", sagt Wiedeburg. "An den anderen zwei Tagen besuchen sie den Unterricht in der Klasse, in der sie später dauerhaft lernen sollen." Das beträfe vor allem Unterricht, der nicht sehr sprachintensiv sei, wie Kunst, Musik, Sport oder Informatik.

Teilintegration an anderen Schulen

Für diese sogenannte Teilintegration müssen die Schülerinnen und Schüler der Humboldt-Oberschule an andere Schulen gehen. Die Zuweisungen zu den Schulen übernimmt das Landesamt für Schule und Bildung. "Das ist ein großes logistisches Unterfangen, die Schüler schnellstmöglich zu integrieren", sagt Wiedeburg. Durch die Flüchtlingswellen sei auch kaum eine langfristige Planung möglich. Deshalb müssen ihrer Ansicht nach pragmatische Lösungen gefunden werden.

Sobald Kinder einen Wohnsitz in Deutschland haben, sind sie auch schulpflichtig. In den Vorbereitungsklassen kommen daher auch immer wieder neue Schüler dazu. "Ich habe neue Schüler bekommen, die nicht einmal das lateinische Alphabet kennen", erzählt Lehrerin Diana Tsybuliak. "Wir haben zwar versucht, die Klassen nach Sprachniveau zusammenzustellen, aber die Kinder haben trotzdem sehr unterschiedliche Kenntnisse."

Kultusminister: Schauen uns die Lage in Chemnitz noch mal an

Im vorigen Schuljahr lernten ukrainische Schüler in Sachsen in reinen ukrainischen Klassen. Diese wurden zum neuen Schuljahr größtenteils aufgelöst, die Schüler auf die Schulklassen verteilt. Dazu mussten auch bereits bestehende Klassen an den Schulen noch einmal neu aufgeteilt werden. "Wir haben gerade in Chemnitz eine etwas größere Aufregung. Da sind zwölf Regelklassen davon betroffen", sagt Kultusminister Christian Piwarz (CDU). "Das müssen wir uns genauer anschauen, was wir da zur Abfederung leisten können. Insgesamt ist es eine Herausforderung, aber ich glaube, wir können sie gut bewältigen."

Kreiselternrat befürchtet noch mehr Ausfallstunden

Der Vorsitzende des Chemnitzer Kreiselternrats, Thomas Brewig, kann den Optimismus des Kultusminister nicht teilen. Es fehle vor allem an Personal. Durch die Aufteilung und Schaffung neuer Klassen würden insgesamt mehr Ausfallstunden auftreten. "So eine Klasse hat ja einen Stundensatz, der unterrichtet werden muss", erklärt Brewig. Mehr Lehrkräfte gebe es aber nicht. Außerdem fordert er für jede der betroffenen Klassen Unterstützung von Sozialarbeitern. "Die Klassen hatten sich gerade nach Corona wieder zusammengefunden und wurden nun wieder aufgelöst", sagt er. "Das macht etwas mit den Kindern. Wir müssen uns also fragen, wie wir mit den Emotionen der Kinder umgehen."

Auch die ukrainischen Kinder brauchen seiner Ansicht nach eine intensive Betreuung. "Die Idee ist, dass die ukrainischen Schüler erst einmal Fächer wie Musik oder Kunst besuchen", sagt er. Das funktioniere in der Praxis aber nicht, da die Schüler zum einen tageweise und nicht stundenweise in den Klassen wären und durch die Menge der Schülerinnen und Schüler jeden Tag andere in die Klasse kommen würden. "So viele Stunden Musik und Kunst werden ja gar nicht unterrichtet", so Brewig. Besorgt ist er außerdem über das Sprachniveau der ukrainischen Kinder. "Ich bezweifle, dass die Masse der Schüler eine adäquate Deutschausbildung hat und dem Unterricht wirklich schon folgen kann", sagt er.

Das ist neu an Sachsens Schulen bei der Integration ukrainischer Schüler Die Integration an Schulen in Sachsen erfolgt in drei Etappen. Mit Beginn des Schuljahres 2023/2024 beginnt die zweite von drei Integrationsetappen. Ukrainische Schüler besuchen gemeinsam mit anderen Schülern mit Migrationshintergrund eine Vorbereitungsklasse und werden bei ausreichenden Deutschkenntnissen schrittweise in die Regelklassen integriert. Diese Klassen soll es an Grundschulen, Oberschulen und verstärkt auch Gymnasien geben. Der Schritt in die Regelklassen beginnt mit weniger sprachintensiven Fächern. Insgesamt werden rund 9.200 Schüler und Schülerinnen aus der Ukraine in Sachsen beschult.

Lehrermangel führt zu Unterrichtskürzung

Schulleiterin Katja Wiedeburg ist mit ihren Vorbereitungsklassen zufrieden. "Die Lehrkräfte sind sehr motiviert und engagiert und auch viele der Schülerinnen und Schüler", sagt sie. Mehr Sorgen mache ihr der allgemeine Lehrermangel, der auch vor ihrer Schule nicht Halt macht. "Der Unterricht ist nicht vollständig abgedeckt", so Wiedeburg. In manchen Fächern müsse die Stundenanzahl gekürzt werden, andere Fächer werden in manchen Klassenstufen gar nicht angeboten. "Ich habe zum Beispiel eine Klassenstufe, die das ganze Jahr keinen Musikunterricht haben wird", sagt sie. "Aber wenn der Lehrer beispielsweise Englisch und Musik unterrichtet, dann muss ich ihn zuerst für Englisch einsetzen." Die Absicherung der Prüfungsfächer gehe vor.

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Radioreport | 18. August 2023 | 18:02 Uhr

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