Störung von rechts Chemnitz: Demonstrationen zur Eröffnungsfeier der Kulturhauptstadt geplant
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16. Januar 2025, 14:52 Uhr
Berlin, Weimar, Essen – und jetzt ist Chemnitz Europäische Kulturhauptstadt. Am Samstag wird das Kulturhauptstadtjahr feierlich eröffnet. Doch die Stimmung ist getrübt: Rechtsextreme Gruppen haben angekündigt, an dem Tag zu demonstrieren. Das erinnert an die rechtsextremen Demos und gewaltvollen Ausschreitungen aus dem Jahr 2018. In Chemnitz wollte man dem ein anderes, positives Image entgegensetzen. Wie weit ist man damit gekommen und wer bestimmt das Stadtbild? MDR KULTUR hat nachgefragt.
- Chemnitz will als Kulturhauptstadt die "stille Mitte" erreichen.
- Soziologe Ulf Bohmann warnt davor, das Problem "Rechtsextremismus" kleinzureden.
- Vereine und Initiativen planen zur Eröffnungsfeier eine Demonstration für kulturelle Vielfalt.
Die "stille Mitte" stand im Fokus der Chemnitzer Kulturhauptstadtbewerbung. Grund für die Themenwahl waren rechtsextreme Ausschreitungen im Jahr 2018. Sie prägen bis heute das negative Image von Chemnitz als rechter Stadt. Um dieses Bild zu ändern, wollte man möglichst viele Chemnitzerinnen und Chemnitzer ansprechen und aktivieren, selbst am Programm, am Leben in ihrer Stadt mitzuwirken. So soll deutlich werden, wer in Chemnitz in der Mehrheit ist.
Rechtsextreme treten als Mehrheit auf
Für Ulf Bohmann, der an der Technischen Universität Chemnitz Soziologie lehrt, ist klar: "Natürlich sind die Demokratinnen und Demokraten in der Mehrheit." In der Publikation "Risikodemokratie" hat er mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Situation in Chemnitz analysiert.
Demnach sei es den Rechtsextremen in den letzten Jahren aber immer wieder gelungen als Mehrheit aufzutreten – auch durch starke Mobilisierung und einen langen Atem, sagte Bohmann MDR KULTUR: "Und das ist wahnsinnig motivierend für die Rechtsextremen, weil die sich sagen können: Wir sind die, die für die schweigende Mehrheit sprechen."
Klare Kante gegen Rechts
Es brauche mehr Sichtbarkeit und eine stärkere politische Positionierung, findet der Soziologe. Seitens der Menschen in Chemnitz, seitens der Stadtspitze, aber auch – mit Blick auf das Programm – seitens des Organisationsteams der Kulturhauptstadt.
Als Kulturhauptstadt wolle man sich nicht auf das Thema Rechtsextremismus reduzieren lassen, erklärt Bohmann, sondern sich von der attraktiven kulturellen Seite zeigen, Mitmachprojekt sein und Leute erreichen. Das sei demokratisch auch wichtig, aber: "Wenn man das in den Vordergrund stellt, ist die Gefahr groß, dass man ein Problem, das da ist, ignoriert oder kleinredet."
Zivilgesellschaft in Chemnitz unterstützen
Stefan Schmidtke ist Programmchef der Kulturhauptstadt Europas Chemnitz 2025 gGmbH. Er sagt, von ihm und seinem Team werde immer wieder eine Positionierung gefordert, doch seiner Meinung nach seien es die Projekte und die Chemnitzer Zivilgesellschaft, die sich positionieren müssten, mit der Unterstützung der Kulturhauptstadt gGmbH. "Wir glauben, dass das der richtige Ansatz ist, weil wir als Trägergesellschaft relativ schnell auch wieder weg sein werden."
Aufwind für rechte Kräfte in Sachsen
Tatsächlich haben rechte und rechtsextreme Kräfte spätestens seit den Kommunal- und Landtagswahlen im vergangenen Jahr in Sachsen großen Aufwind. So sitzen die AfD und nicht zuletzt auch die "Freien Sachsen" im Chemnitzer Stadtrat. Die rechtsextreme Partei hat am Eröffnungstag der Kulturhauptstadt zum Protest gegen die Kulturhauptstadt aufgerufen.
Martin Kohlmann, Fraktionsvorsitzer von Pro Chemnitz/Freie Sachsen spricht von Steuergeldverschwendung. Chemnitz sei kein Tourismus-Hotspot und das werde sich auch nicht ändern: "Da muss man nicht sinnlos Geld investieren."
Erinnerung an Ausschreitungen 2018
Martin Kohlmann macht keinen Hehl daraus, dass sie mit dieser Demonstration an die Ereignisse von 2018 erinnern wollen. An anderer Stelle waren die Freien Sachsen noch weitaus deutlicher, von einem "2018 2.0" war da die Rede. Insofern ist es nur zu verständlich, dass bei vielen Chemnitzerinnen und Chemnitzern die Befürchtungen dahingehend groß sind. Die Stadtverwaltung beruft sich allerdings auf die Demonstrationsfreiheit und hat die Demonstration genehmigt.
Große Demo für Demokratie geplant
Frauke Wetzel, seit 2020 Projektleiterin beim Verein ASA-FF, kritisiert das. Sie sagte MDR KULTUR: "Warum erlaubt man an so einem Tag einen solchen Aufmarsch von offen rechtsradikalen Akteuren?" Deshalb hat Wetzel eine Gegendemonstration mitorganisiert. Mit im Boot: Der DGB Südwestsachsen und zivilgesellschaftliche Vereine und Kulturakteure, wie etwa die Kunstsammlungen Chemnitz. Auch sie wollen an 2018 anknüpfen, allerdings an das "Wir sind mehr"-Konzert, das die Gegenreaktion auf die Ausschreitungen damals war.
Warum erlaubt man an so einem Tag einen solchen Aufmarsch von offen rechtsradikalen Akteuren?
Man wolle für eine vielfältige Kultur einstehen, sagte Wetzel: "Wir sind für eine offene, friedliche, aber auch Haltung zeigende Kulturhauptstadt und die wollen wir eben auch schützen. Wir hoffen, dass wir so zeigen: Das ist auch Chemnitz."
So wird vielleicht schon die Eröffnungsfeier ein erstes Indiz dafür sein, ob inzwischen mehr Chemnitzerinnen und Chemnitzer für ihre Kulturhauptstadt auf die Straße gehen, und zwar nicht nur zum Feiern.
Quelle: MDR KULTUR (Grit Krause), redaktionelle Bearbeitung: az, sg
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 16. Januar 2025 | 08:40 Uhr