Kunstfestival Chemnitzer Begehungen: Kunst und Protest in ehemaliger Schule
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16. August 2024, 14:11 Uhr
Die 21. Ausgabe des Kunstfestivals Begehungen findet an einem geschichtsträchtigen Ort statt. Unter dem Titel "Kippeln" lädt das Festival dazu ein, zeitgenössische Kunst im ehemaligen Gebäude der Dürer-Schule in Chemnitz-Gablenz zu erkunden. Dort wurde zum ersten Mal nach dem reformpädagogischen "Chemnitzer Schulmodell" gelehrt – erstritten durch ein Aufbegehren im Jahr 1989. Die Begehungen nehmen sich dieser Geschichte an und machen den Protest zum Ausstellungsthema.
- Für die diesjährige Auflage der Begehungen gestalten die Künstler und Künstlerinnen die Räume einer ehemaligen Schule in Chemnitz um.
- Die Kunstschau betrachtet in diesem Jahr das Thema Protest aus verschiedenen Perspektiven.
- Das Festival bespielt traditionell eigentlich unzugängliche Orte. Damit wollen die Veranstalter auch weniger kunstaffine Menschen anlocken.
Bunte Handabdrücke und krakelige Vornamen an den Wänden der Klassenräume zeugen davon, dass die Dürer-Schule im Chemnitzer Stadtteil Gablenz schon mal ein Ort der Kreativität war. Neben Paula, Linus, Elin und Noah kann man jedoch nun noch andere Namen hier lesen: Tina Bara und Alba D’Urbano, zum Beispiel, oder Benjamin Bardok, Kubra Khademi und Shahrzrad Nazapour. Denn das sonst leerstehende Gebäude aus der Gründerzeit ist neun Tage lang Schauplatz des Kunstfestivals Begehungen.
Unter dem Titel "Kippeln" thematisiert das Festival In diesem Jahr Protest – ein Titel, der natürlich zur Schule passe, so Lars Neuenfeld vom Verein Begehungen: "Klar, das kennt doch jeder: Du darfst nicht kippeln!"
Wenn die Stimmung kippt
Auf den Drucksachen für das Festival sind die Buchstaben ins Rutschen geraten, oder sind vielmehr dabei, umzukippen. "Auch Protestsituationen sind ja oft so kurz vor dem Kippen", erklärt Neuenfeld. "Bleibt es friedlich? Kippt es in ’ne andere Richtung? Werden die Proteste aufgelöst?"
Die ausgestellten Kunstwerke definieren den Protest ganz individuell. "Protest hat viele Formen und Künstler haben natürlich auch unterschiedliche Ausdrucksweisen," sagt Claudia Tittel, die künstlerische Leiterin des Festivals und wählte so viele unterschiedliche Ansätze wie möglich.
Zwar gebe es in diesem Jahr keine Malerei, aber dafür Druckgrafik, wie Holzschnitt und Radierung, ortsspezifische Installationen, Videos und Fotografie. "Alle Medien werden eigentlich bedient", erläutert Tittel. "Und es wird sich der Raum angeeignet – und das finde ich beim Thema Protest auch ganz schön."
Politische Kunst – auch eine Form von Protest
So breitet sich in einem Klassenraum eine Installation aus Rindenmulch, Holzlatten und anderem Material aus. Mit ihrer Arbeit setzen Thomas Porchnow, Jacob Queißner und Philipp Gerhardt dem Kampf von Klimaschützern für den Ort Lützerath ein Denkmal.
In einem anderen Raum fällt der Blick durch die frühere Essensausgabe – hier war also vermutlich die Schulkantine – auf bedruckte Lamellenvorhänge von Julia Lübbecke. Und in der Turnhalle bilden die Holzschnitte und Radierungen einen interessanten Kontrast zur abblätternden Farbe an den Wänden und dem Wildwuchs vor den Fenstern.
In der Turnhalle hängt auch eine eiserne Rüstung mit weiblichen Formen, die die afghanische Künstlerin Kubra Khademi für ihre Performance "Amor" in den Straße von Kabul trug – denkwürdige sieben Minuten lang, bevor aufgebrachte Mitbürger sie daran hinderten.
Eiserne Rüstung für Feminismus in Afghanistan
"Das Drastische an dieser Performance ist, dass es sie ins Exil führte", erzählt Claudia Tittel. Immerhin: Khademi sei durch diese Performance berühmt geworden. "Sie kämpft inzwischen von Paris aus mit ihrer Kunst für Frauenrechte und hat die höchste Auszeichnung des französischen Staates, den chevalier de l'or et des art et lettre, erhalten. Das ist natürlich eine Bestätigung ihrer Arbeit."
Das Nebeneinander von internationalen Stimmen und Kunstschaffenden aus der Region, dem Blick von Nachwuchstalenten und etablierten Positionen – ja, nicht zuletzt auch das von zeitgenössischer Kunst und altem Gemäuer macht den Charme des Festivals Begehungen aus.
Sperrig, streitbar – und oft auch witzig
Dass die Ausstellung manchmal sperrig, streitbar, aber auch witzig ist, freut Lars Neuenfeld. "Dadurch, dass wir jedes Jahr einen anderen, vorher geschlossenen Raum erschließen, kommen ganz viele Menschen, die wegen des Raumes hierher kommen."
Diese Menschen dann mit zeitgenössischer Kunst zu konfrontieren, die sie sonst nie angucken würden, sei das Spaßige an den Begehungen, so Neuenfeld. Und sollte die ausgestellte Kunst zu unverständlich sein, kann man ja – wenn’s denn sein muss und bitte ganz zivilisiert – ein bisschen protestieren.
Mehr zum Festival
Kunstfestival "Begehungen" – Offizieller Partner der Kulturhauptstadt Chemnitz.
Öffnungszeiten:
16. - 18.08. | 10 bis 20 Uhr
19. - 23.08. | 12 bis 18 Uhr
Adresse:
Charlottenstr. 52
09126 Chemnitz
Ausführliche Informationen zum Programm finden Sie hier.
Quelle: MDR KULTUR (Eva Gaeding), redaktionelle Bearbeitung: tis
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 15. August 2024 | 06:15 Uhr