Interview Öffentlicher Nahverkehr für alle - wie kann das gehen?
Hauptinhalt
12. März 2023, 09:00 Uhr
Der Taktfahrplan will Bus und Bahn dank abgestimmter Fahrzeiten besser miteinander verbinden. Damit soll der Nahverkehr attraktiver für alle werden. Eigentlich eine gute Idee. Doch dass solch ein Taktfahrplan auch seine Tücken haben kann, zeigt das Beispiel des Landkreises Görlitz. Wie können aber alle vom Taktfahrplan profitieren? Viola Simank hat darüber mit Steffen Dutsch von der TU Dresden gesprochen. Der Experte für Stadt- und Regionalverkehr forscht auch zur Verkehrsplanung.
Herr Dutsch, im Landkreis Görlitz gibt es mit dem neuen Taktfahrplan vor allem Probleme im Schülerverkehr. Eltern beklagen, dass Fahrplan und Schulzeiten nicht zusammenpassen oder Anschlüsse nicht funktionieren. Kann man den Schülerverkehr denn komplett in einen Taktfahrplan integrieren?
Dem Taktfahrplan gehört die Zukunft, das muss man ganz deutlich so sagen. Ich möchte die Probleme, die Sie geschildert haben, nicht vom Tisch wischen, aber sie sind lösbar. Letztendlich ist das Entscheidende, dass alle Beteiligten aufeinander zugehen. Das heißt, dass zum Beispiel auch die Schulen bereit sein müssen, ihre Unterrichtszeiten ein Stück zu schieben, so dass die Wartezeiten für alle überschaubar bleiben.
Nun wird das nicht in jedem Fall möglich sein. Was dann?
Natürlich muss man sich auch darüber im Klaren sein, dass sich nicht hundert Prozent der Leistungen in den Taktfahrplan integrieren lassen. Das liegt einmal daran, dass es gar nicht so viele Linien gibt, die die Schüler aus der gesamten Umgebung zur Schule bringen. Dort wird es immer noch Schulbusse geben müssen, die insbesondere sehr kleine Gemeinden bedienen, die abseits der großen Linien liegen. Die zweite Möglichkeit ist, dass zu Schulbeginn die großen Linien verdichtet werden, also öfters fahren. Allerdings kostet das auch zusätzlich Geld.
Aber es geht ja nicht nur um die Schulen, auch Berufspendler sind beispielsweise von den Bussen abhängig. Da kann es passieren, dass mit dem neuen Fahrplan der Taktbus auf einmal zu spät am Betrieb ist, weil er auf den Zugverkehr abgestimmt wurde.
Es muss sich jeder darauf einstellen. Auch Unternehmen müssen da mitziehen. Wenn der Bus in einer Gemeinde immer erst zehn Minuten nach um vorbeikommt, dann muss das Unternehmen den Arbeitsbeginn so legen, dass seine Beschäftigten den Bus auch wirklich benutzen können. Das ist bei uns allerdings noch eine Schwierigkeit.
Wie bekommt man das hin? Wie überzeugt man Unternehmen, Vereine, Bürgermeister oder Schulen, an einem Strang zu ziehen?
Wir machen ja an unserem Institut selbst auch solche Fahrplankonzepte. Gerade sind wir dabei, südlich von Prag bei einer Eisenbahnstrecke so etwas umzusetzen. Man muss natürlich über den gesamten Prozess die Verantwortlichen aller Couleur mit einbeziehen und regelmäßig über die Fortschritte informieren, sie interessieren. Andererseits muss aber auch das Interesse da sein, und das ist in Deutschland genau das Problem.
Wenn man im Ausland einlädt, dann ist der Saal voll. Dann kommen die Bürgermeister, dann kommen die Vertreter von Unternehmen oder Schulen. In Deutschland ist das Auto aber so tief im Bewusstsein des Einzelnen verwurzelt, das oftmals gar nicht die Notwendigkeit gesehen wird, sich an solchen Prozessen zu beteiligen und sich aktiv einzubringen. Solche Prozesse sind in der Tat anspruchsvoll, sie müssen aber geführt und letztendlich gelebt werden.
Ziel des Taktfahrplans soll es ja sein, dass auch auf dem Land jeder den öffentlichen Nahverkehr mehr und einfacher nutzen kann. Wie lange dauert es denn, bis so ein Fahrplan angenommen wird?
Bis sich so etwas einspielt, braucht es leider drei bis vier Jahre. Sie müssen alle im Landkreis die Geduld habe, diese Zeit zu warten, bis die Busse sich langsam füllen. Der Idealfall wäre dann, dass der Nahverkehr so häufig genutzt wird, dass man aus dem Stundentakt irgendwann den Halbstundentakt machen kann. Dann werden natürlich auch die Probleme und Kritikpunkte von alleine weniger. Aber bis dahin ist es ein weiter Weg.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalreport aus dem Studio Bautzen | 10. März 2023 | 16:03 Uhr