Eine Familie sitzt an einem Tisch im Garten 2 min
Der Film "Mit der Faust in die Welt schlagen" hat auf der Berlinale seine Premiere gefeiert. Jens Hölzig berichtet. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Berlinale "Mit der Faust in die Welt schlagen": Keine Ost-Klischees bedienen

17. Februar 2025, 18:50 Uhr

Auf der Berlinale feierte am Sonntagabend die Verfilmung von "Mit der Faust in die Welt schlagen" Weltpremiere, ab April kommt sie in die Kinos. 2018 wurde der Görlitzer Lukas Rietzschel mit seinem Debüt zum gefeierten Autor. Das Buch erzählt eine Familiengeschichte in der Lausitz, die in Gewalt mündet. Regisseurin Constanze Klaue hat sich für ihre Adaption auf die Atmosphäre des Romanes eingelassen, zugleich fließen ihre Erfahrungen ein. Und sie wehrt sich im Film gegen ostdeutsche Stereotype.

Im Buch wie auch im Film gibt es eine zentrale Szene: Philipp, der ältere von zwei Brüdern aus der Familie Zschornak, kommt morgens zur Schule und sieht, wie der Hausmeister unter dem Gelächter der umstehenden Schüler vergeblich versucht, einen Stein abzudecken, auf den ein Hakenkreuz gesprüht wurde.

Junge Generation ohne Antworten

Warum das abgedeckt werde, fragt Philipp den Hausmeister völlig naiv. Der will erst mal seinen Namen wissen und schickt ihn dann in die Klasse. Eine Antwort bekommt Philipp nicht. Dafür wird er bald darauf von der Polizei verhört und von einem ortsbekannten Neonazi in die Mangel genommen. Mit dem wird er sich dann später anfreunden. Und noch später folgt ihm sein kleiner Bruder Tobi nach. 

Ein Kind hat die Hände an ein Rollo gelegt und den Mund aufgerissen.
Der Film erzählt auch von einer Kindheit zwischen Wut und der Überforderung der Erwachsenen. Bildrechte: Flare Film / Chromosom Film

Die Abwesenheit der Eltern ist im Roman von Lukas Rietzschel ohrenbetäubend laut. Im Film von Constanze Klaue wird vor allem die komplette Überforderung der Erwachsenen sichtbar. Sie kämpfen um den Erhalt ihrer kleinbürgerlichen Träume, gegen den Alkoholismus und um ihre Arbeitsstellen. Mit dem oft destruktiven Verhalten ihrer Kinder können sie nicht umgehen. Kein Wunder, denn die Kinder haben sich es von den Erwachsenen abgeschaut.

Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass ein Neonazi mit Pferdeschwanz auftritt.

Lukas Rietzschel, Autor

Kultur

Eine Person hat die Hände in ihren Jackentaschen. 4 min
"Mit der Faust in die Welt schlagen" erzählt von Rechtsruck in der ostdeutschen Provinz. Autor Lukas Rietzschel lässt den Roman in seiner Heimat, der Lausitz, spielen. Bildrechte: Flare Film / Chromosom Film

Einziger deutscher Beitrag im Nachwuchs-Wettbewerb der Berlinale

Der Film läuft als einziger deutscher Beitrag im neuen Berlinale-Wettbewerb "Perspectives", die internationale Debütfilme präsentiert. Anlässlich der Premiere äußert sich Lukas Rietzschel gegenüber MDR KULTUR zufrieden und glücklich mit der Verfilmung seines Buches, gerade weil diese auch eigene Wege gehe und somit auf künstlerische Autonomie beharre. Über diesen Freiraum seien sie sich von Anfang an einig gewesen, bestätigt auch Regisseurin Constanze Klaue im gemeinsamen Gespräch.  

Lukas Rietzschel 6 min
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6 min

05:31 min

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Rietzschel stand ihr zwar beratend zur Seite, schrieb aber nicht mit an Klaues Drehbuch. In der Tat macht der Film auch einiges anders als die Romanvorlage. So stellt er etwa die Familienverhältnisse deutlicher heraus und ergänzt sie durch eigene Erfahrungen.

Der Film wurde unerwartet persönlich

"Der größte Grund war, dass der Film einfach viel persönlicher geworden ist, als ich es geplant habe", erzählt Klaue. Vor fünf Jahren begann sie, am Stoff zu arbeiten. Zuvor hatte sie in ihrem halbstündigen Film "Lychen 92" schon eine vergleichbare Geschichte erzählt. Dann starb ihr Vater und ihre eigene Familiengeschichte holte sie ein. Das Einfamilienhaus aus dem Buch, das nie richtig fertig wird, sei auch ihre Geschichte.

Eine Frau lächelt.
Regisseurin Constanze Klaue hat in den Film auch persönliche Erfahrungen einfließen lassen. Bildrechte: Flare Film / Chromosom Film

"Wir hatten kein hohes Budget und wir brauchten ein Haus, was in verschiedenen Bauzuständen gezeigt werden konnte und mit dem wir mehr oder weniger machen konnten, was wir wollten. Und in meinem Kopf war natürlich immer das Haus meines Vaters." Das Haus, in dem sie selbst aufwuchs, wurde – "unfreiwillig", wie sie betont – zum Drehort. Der einzige Drehort außerhalb der Lausitz, wenn auch in Ostdeutschland.

In meinem Kopf war natürlich immer das Haus meines Vaters.

Constanze Klaue, Regisseurin

Eine Vorgeschichte zu Pegida und Rechtsruck erzählen

Die Szenen im idyllischen Garten, die das Zerbrechen der Familie bereits andeuten, sind dabei sogar unerwartet humorvoll. Auf der anderen Seite gelingt Klaue auch, wichtige Szenen dramatisch zuzuspitzen und emotional aufzuladen. Dieser freie Umgang mit Motiven aus dem Buch tut dem Film gut. Dabei bleibt er in der Grundstimmung des Buches, vor allem, wenn er die postindustrielle Tristesse mit der freiheitsversprechenden Schönheit der Landschaft kontrastiert. 

Zwei Personen sitzen an einem gedeckten Tisch im Garten.
Familienidyll kurz vor dem Zusammenbruch: Eine Szene aus "Mit der Faust in die Welt schlagen." Bildrechte: Flare Film / Chromosom Film

Eine besonders auffällige Entscheidung betrifft die dramaturgische Struktur. Die Romanhandlung ist zwischen 2000 und 2015 angelegt und wird in mehreren Etappen entfaltet. Der Film konzentriert sich auf die erste Hälfte, sozusagen die Vorgeschichte und macht dann noch einen zeitlichen Sprung zu einer Art Epilog. Konkrete zeitpolitische Bezüge, die es im Roman zum Ende hin gibt, etwa Pegida, Merkel, syrische Geflüchtete, gibt es im Film nicht.

Ost-Klischees vermeiden

Sie habe ganz bewusst darauf verzichtet, erklärt Klaue, nämlich auf "die Bilder, die eben in den Medien schon sehr oft reproduziert werden, mehr oder weniger auch die ganze Symptomatik und die rechte Gewalt, die thematisiert wird." Sie wolle lieber über die Familiengeschichte erzählen, wie das entstehe. Oder entstehen kann. Denn: "Einen zwingenden Weg in die Rechtsradikalität gibt es nicht." Dafür findet sie im Film eine eindrückliche Erzählweise, die sehr nah an den Figuren ist und immer auf Augenhöhe mit den beiden junge Protagonisten.

Lukas Rietzschel, der Autor der Romanvorlage, stimmt ihr zu: "Man neigt sehr schnell dazu, das, was sowieso medial schon da ist, zu reproduzieren und aktuell zu halten und damit irgendwann auch in so ein Klischee zu fallen." Er schwärmt von der tollen Besetzung des Filmes und insbesondere von der Idee, den Neonazi Menzel gegen den Strich zu besetzen: "Es ist äußerst unwahrscheinlich, das muss man schon sagen, dass ein Neonazi mit Pferdeschwanz irgendwo auftritt, aber allein hier mal das Bild zu nehmen und zu brechen und ihn nicht über diese Glatze zu erzählen." 

Constanze Klaue 45 min
Bildrechte: Constanze Klaue/privat

Gastauftritt von Lukas Rietzschel

Über den Kern des Stoffes scheinen sich Constanze Klaue und Lukas Rietzschel sehr einig zu sein. Und auch darüber: Sie wollen beiden erzählen und nicht erklären. Seinen kleinen Gastauftritt im Film als Aushilfslehrer kommentiert Rietzschel schmunzelnd: "Es hat total Spaß gemacht." 


Besetzung Regie: Constanze Klaue
Drehbuch: Constanze Klaue, Lukas Rietzschel (Literarische Vorlage)

Rollen:
Philipp Zschornack (jünger): Anton Franke
Philipp Zschornack (älter): Sammy Scheuritzel
Tobias Zschornack (jünger): Camille Moltzen
Tobias Zschornack (älter): Tilmann Döbler
Sabine: Anja Schneider
Vater Stefan: Christian Näthe

Kinostart: 3. April 2025

Redaktionelle Bearbeitung: tis, gw

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 17. Februar 2025 | 16:10 Uhr

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