Lukas Rietzschel 37 min
Mit 30 Jahren gilt Lukas Rietzschel vielen als der politische Autor der Sunde – dabei möche er niemanden bekehren. Hören Sie das gesamte Gespräch. Bildrechte: imago/Sven Simon
37 min

Schrifststeller Lukas Rietzschel wird oft gefragt, woher der Erfolg des Rechtspopulismus im Osten kommt. Im Interview sagt er, warum das für ihn kein ostdeutsches Thema, ist und wie auf die Wahlen blickt.

MDR SACHSEN - Das Sachsenradio Fr 28.02.2025 18:07Uhr 37:21 min

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Interview Autor Lukas Rietzschel: Rechtspopulismus ist kein Ostthema

03. März 2025, 13:43 Uhr

Gerade ist die Verfilmung seines Romanes "Mit der Faust in die Welt schlagen" auf der Berlinale gelaufen. Seit diesem Roman von 2018 ist Lukas Rietzschel ein gern gefragter "Ost-Erklärer", der vor allem die junge Generation im Blick hat. Wie er, selbst SPD-Mitglied, auf das Ergebnis der Bundestagswahl blickt und wo er als Autor, der am politischen Diskurs teilnimmt, die großen Herausforderungen sieht, erklärt er im Interview.

  • Der in Görlitz lebende Schriftsteller Lukas Rietzschel sieht im Wahlerfolg der AfD kein ostspezifisches Problem.
  • Die Parteien der Mitte hätten es nicht verstanden, jungen Wählern eine Perspektive zu vermitteln.
  • Weder in der Politik noch in der Kunst sieht sich Rietzschel als Erklärer, der belehrend wirken will.

MDR: Lukas Rietzschel, in Deutschland wurde gewählt, und es scheint gerade auf eine "große Koalition" hinauszulaufen. Wenn man sich aber anschaut, dass der komplette Osten blau ist, was bewegt Sie da?  

Lukas Rietzschel: Ich finde erstaunlich an der Entwicklung, dass jetzt auch die CDU zunehmend ihre kompletten Direktmandate einbüßt. Das war ja bei der letztjährigen Landtagswahl noch anders. Also da hat sich enorm was verschoben. Und jetzt müssen wir natürlich aufpassen, dass es nicht gleich wieder heißt: Na ja, der Osten und so weiter.

Klar, diese 30 Prozent im Schnitt, die die AfD hier geholt hat in den sogenannten neuen Ländern – selbst das würde rein rechnerisch nicht reichen, um im Bundestag auf 20 Prozent zu kommen. Dafür leben im Osten Deutschlands einfach fünfmal weniger Menschen als im Westen. Selbst in einem Wahlkreis von Friedrich Merz ist die AfD mit 17 Prozent die zweitstärkste Partei geworden bei den Zweitstimmen.

Blick von oben auf ein Theaterpublikum: drei Männer aus der ersten Reihe schauen nach oben
Im Theater Görlitz: Lukas Rietzschel neben Bundespräsident Frank Walter Steinmeier und Intendant Daniel Morgenroth bei der Vorstellung seines Stückes "Das beispielhafte Leben des Samuel W." (2024) Bildrechte: picture alliance/dpa | Paul Glaser

Und das kann man einfach nicht mehr wegschieben. Wir erzählen uns das hier die ganze Zeit schon, dass das kein Ostthema ist, auch kein deutsches Thema, sondern ein europäisches, ein globales. Aber ich weiß nicht, wie oft wir das hier gerade im Osten immer wieder adressieren müssen, bis es endlich mal verstanden wird. Es ist auf jeden Fall ein Trauerspiel angesichts der Tatsache, dass die sogenannten Parteien der Mitte, CDU und SPD, hier so gar nicht mehr verfangen und eben so gar keine Angebote hier gemacht haben.

Aber mit Protest allein, dass man "die Faxen dicke hat" von der gescheiterten Koalition, von der Ampelregierung, damit kann man es auch nicht mehr erklären.  

Nein, überhaupt nicht. Das hat mit Protest schon lange nichts mehr zu tun. Das sind ganz etablierte Wählerschichten. Und auch da haben uns ja Soziologen und all diese Meinungsforscher gesagt: Irgendwann ist dieses sogenannte Potenzial ausgeschöpft. Gerade hier, also nördlich von Görlitz, gibt es aber Gemeinden, da haben die fast 60 Prozent erreicht.

Dieses Potenzial ist nicht erschöpft. Und dieser "Protest", bei dem ist es nicht geblieben. Das sind ganz verfestigte Haltungen, das sind auch Überzeugungen. Und es ist vor allem auch die Überzeugung, dass man gar nicht rechts ist, dass man hier nicht irgendeiner rechtspopulistischen Partei möglicherweise auf den Leim gegangen ist, sondern: "Wir sind die Mitte, wir sind der politische Gradmesser."

Wie stark leuchten Ihre Alarmlampen, wenn man dann noch liest, dass über 20 Prozent der Erstwähler ihr Kreuzchen bei der AfD gemacht haben? 

Gerade bei diesen Erstwählerstimmen müssen wir ja sehen: Das waren bei der letzten Bundestagswahl die Grünen und die FDP. Da waren auch schon alle ganz überrascht. Das sind eben Parteien, die auf eine Art auch Zukunft thematisieren für Jüngere. Was will ich damit sagen? 40 Prozent der Wahlberechtigten sind über 60 Jahre alt. Das heißt, dieser Wahlkampf und unser Land ist ja geprägt von einem wirklich enormen demografischen Wandel, in dem junge Menschen so gut wie gar nicht gehört werden.

Und damit meine ich jetzt gar nicht irgendwelche Erstwähler und Jugendliche, sondern auch junge Familien, Berufseinsteiger, Menschen, die sich dann vielleicht mal ein Auto kaufen wollen und merken: "Es reicht einfach nicht. Ich arbeite und es reicht nicht." Dass man denen eben auch Angebote macht.

Und deswegen wundert mich das nicht, dass es die beiden Parteien sind, die so stark davon profitieren.

Lukas Rietzschel über die Wahlerfolge der AfD und der Linken bei jungen Menschen

Und das macht die AfD auf eine Art, indem sie die Symptome bekämpft. Die sogenannte Globalisierung, also: "Die Ausländer sind schuld. Da fließt so viel Geld rein ins Ausland und in die EU. Das müssen wir ändern. Dann habt ihr auch was von der Zukunft."

Und auf der anderen Seite eine Linke, die ähnliche Probleme wahrnimmt, wo aber ein Bewusstsein dafür da ist, dass man tiefer rein gehen muss, dass das strukturelle Probleme sind: Wir müssen über Umverteilung sprechen, wir müssen über diesen Kapitalismus sprechen, wir müssen über Geld reden. Wer bekommt es, wer verdient es, wem gehört es? Und deswegen wundert mich das nicht, dass es die beiden Parteien sind, die so stark davon profitieren.

Sind Sie denn optimistisch, dass dieses Signal jetzt angekommen ist?

Ich hoffe einfach, dass Politiker verstehen lernen, was wir auch im Osten die ganze Zeit schon sehen: Es liegen soziale Probleme auf der Hand und die werden aber kaschiert durch einen rechten Populismus, den man eben nicht dadurch eindämmt, dass man diesem Populismus nach dem Mund redet. Das soll nicht heißen, dass sich eine CDU eben keine Gedanken machen soll darüber, wie man mit Migration umgeht. Das ist ja völlig klar.

Aber Thema Nummer eins bei dieser Wahl und bei der Landtagswahl im letzten Jahr sind soziale Fragen: das Alter, die Rente, der Kindergarten, die Schule, die Pflege. Und ich habe nicht den Eindruck, dass das verfängt, dass das ganz maßgebliche Probleme sind, die wir auch im Osten noch mal mehr spüren, weil wir eine unglaublich alte Gesellschaft sind, eine der ältesten in Europa.

Mit den Konservativen steht und fällt der weitere Aufstieg des Rechtspopulismus. Das ist in allen Ländern Europas der Fall gewesen. Wenn man die Rechten umarmt, dann wird man marginalisiert.

Lukas Rietzschel Schriftsteller und SPD-Mitglied

Die AfD ist messbar dort am stärksten, wo sich diese demografisch verändernde Gesellschaft so langsam schlafen legt. Mit dem Unterschied, dass sie es jetzt auch noch in die Städte geschafft hat. Das ist ja neu, dass es auch Dresden und Leipzig und Chemnitz und Erfurt und Rostock, diese urbanen Oasen, erreicht hat.

Es muss ganz grundlegend verstanden werden, wo die Probleme liegen. Mit den Konservativen steht und fällt der weitere Aufstieg des Rechtspopulismus. Das ist in allen Ländern Europas der Fall gewesen. Wenn man die Rechten umarmt, dann wird man marginalisiert. Und natürlich sehen wir jetzt auch hier in Sachsen, es gibt schon einzelne Stimmen, die aus reinem Machtopportunismus heraus sagen: Aber mit den Rechten ist es doch einfacher, eine Mehrheit zu bekommen.

Bild Drehstart "Mit der Faust in die Welt schlagen"
Lukas Rietzschel mit der Filmemacherin Constanze Klaue. Ihre Verfilmung von "Mit der Faust in die Welt schlagen" kommt im April ins Kino. Bildrechte: MDR/Chromosom Film/Flare Film/Bernhard Schneider

Merken Sie die veränderte Situation auch, wenn Sie ins Theater gehen oder wenn Sie Ihre Romane vorstellen? Spüren Sie eine Veränderung bei den Zuhörern?

Meine Haltung zur AfD ist eine relativ klare. Deswegen würde ich jetzt mal vermuten, dass es da schon Menschen gibt, die von vornherein sagen, das schaue ich nicht an. Das ist schade, weil ich immer auch der Meinung bin, in meiner Arbeit nicht zu politisieren und vor allem auch nicht didaktisch irgendwie Politik zu machen oder gar zu erklären.

Ich interessiere mich ja immer genau auch für die andere Haltung und versuche, mein eher wohlgesonnenes Publikum mit dieser Haltung auch zu konfrontieren. Das ist eine Art von Dialektik, die ich in der Kunst generell haben möchte und auch eine Ambivalenz, die ich, wenn ich ins Theater gehe, sehen möchte. Ich möchte ja auch nicht bekehrt werden.

Vielleicht merken Sie ja andererseits auch, wenn Sie diese Literatur schreiben und diese Theaterstücke, dass das irgendwann auf weniger Interesse stößt in der Gesellschaft?

Meine meisten Veranstaltungen sind immer noch in Sachsen. Das ist gar nicht so, dass bei mir jetzt ganz viel im Westen wäre und man möchte irgendwie den Osten erklärt bekommen. Ich habe sogar eher den Eindruck, dass es hier ganz oft um eine Selbstvergewisserung geht, um einen Austausch miteinander und dass das leichter ist, wenn von außen – in dem Fall ich – dann komme und etwas mitbringe, worüber man reden kann. Und ich glaube, auch die Sorge vor der Zukunft ist sehr ausgeprägt. Das nehme ich schon wahr.

Ich interessiere mich immer auch für die andere Haltung und versuche, mein eher wohlgesonnenes Publikum mit dieser Haltung zu konfrontieren.

Lukas Rietzschel

Und alles, was ich da sagen kann, ist: Das ist auch Demokratie. Und auch das ist eine Dialektik, die man sich zutrauen darf. Wir haben so eine hohe Wahlbeteiligung wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Auch die Parteieintritte nehmen zu. Also Menschen interessieren sich für Politik, sie wollen sich beteiligen. Und ich bin weit entfernt von grundsätzlichen Verteufelungen und auch von diesen seltsamen Aufrufen, die Demokratie zu verteidigen, weil das ist Demokratie und das gehört eben auch dazu.

Und ich finde es teilweise unerträglich, wie selbsternannte linke Parteien aus ihrer Erfolglosigkeit heraus dann an diesen Worten festhalten wie "Menschlichkeit" und "Zusammenhalt" und so weiter. Das höhlt sich so aus und das wird so eine poesiealbumhafte Sprache, dass ich mir denke: Wo ist das politische Konzept geblieben? Man darf sich weiterhin auch einen kritischen Geist behalten gegenüber sogenannten linken und progressiven Parteien, die einem vielleicht sogar näher sind als rechte und rechtspopulistische.

Ich halte das für maßgeblich in dieser Zeit, sich mit keiner Haltung gemein zu machen, auch wenn es die vermeintlich bessere ist oder die vermeintlich moralisch richtige. Das erwarte ich, und das versuche ich für mich, das versuche ich in meiner Kunst beizubehalten. Und das versuche ich auch in all diesen Gesprächen beizubehalten, die dann da eben so stattfinden.  

Quelle: MDR SACHSEN (Andreas Berger), redaktionelle Bearbeitung: lm

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | 03. März 2025 | 20:00 Uhr

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