Bedrohungslage Experte sieht Amokbelehrungen für Kinder in Schulen kritisch
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24. Januar 2025, 12:00 Uhr
Ein geplanter Amoklauf in einer Bischofswerdaer Schule hat Jahr 2023 für Angst und Schrecken gesorgt. Ein Lehrer und ein Hausmeister konnten den 16 Jahre alten Täter - einen ehemaligen Schüler - stoppen. Trotzdem erlitt ein achtjähriger Junge schwere Verletzungen. Der Vorfall hat im Nachhinein Sachsens Schulen in Richtung Prävention zusätzlich aktiviert. Doch wie explizit sollten Lehrkräfte Amoksituationen gegenüber Kindern und Jugendlichen thematisieren? MDR SACHSEN hat nachgefragt.
- Es gibt vom Landesschulamt keine Richtlinie zum Umgang mit Amokthemen.
- Spezialisten raten von Amokübungen mit Schülern ab.
- Das rät ein Kinderpsychiater den Eltern verängstigter Kinder.
"Amok, Amok", habe sie ständig wiederholt und gesagt, dass sie nicht mehr in die Schule gehen wolle, berichtet des Mutter aus Dresden. Sie hat sich an den MDR gewandt, nachdem in der Grundschule ihrer Tochter das Verhalten im Falle eines Amoklaufs thematisiert wurde. Die Kinder sollten sich auf den Boden legen, habe ihr das Mädchen unter anderem erzählt. Die Achtjährige sei verstört gewesen.
Keine Richtlinie zum Umgang mit Amokthemen in Schulen
Dass an Grundschulen Kinder mit solchen Dingen überhaupt konfrontiert werden, empört die Mutter. "Das finde ich zu krass. Kinder entwickeln Ängste, die man vielleicht gar nicht mehr ausgeräumt bekommt", so die Dresdnerin. Ihren Namen will sie nicht in der Öffentlichkeit nennen, auch um die Schule nicht an den Pranger zu stellen. Ansprechen möchte sie es dennoch, denn nach dieser Sache sei die Aufregung bei der Elternschaft groß gewesen. Die Schule äußerte sich auf eine Anfrage von MDR SACHSEN nicht dazu.
Amokübungen sind grundsätzlich an Schulen nicht vorgesehen.
Eine Nachfrage von MDR SACHSEN beim Landesamt für Schule und Bildung (Lasub) ergab, dass es keine Richtlinie dazu gibt, ob und in welcher Form bei Schülerinnen und Schülern Amoksituationen thematisiert werden sollen. Es sei den Schulen überlassen, ob sie Maßnahmen mit den Kindern und Jugendlichen besprechen, so Lasub-Sprecher Clemens Arndt. Eines stellt er klar: "Amokübungen sind grundsätzlich an Schulen nicht vorgesehen."
Unterschiedliche Alarmsysteme in den Schulen
Seit vielen Jahren gibt es in den Schulhäusern Alarmsysteme für Brand- und Amokfälle. Die Systeme seien sehr verschieden, erklärt René Michel, Vizechef des Sächsischen Lehrerverbandes (SLV). In der Oberschule, in der Michel als Lehrer arbeitet, gebe es in jedem Klassenraum einen Knopf für Feuer und einen für Amokalarm, den die Lehrkraft drücken könne.
Die Systeme sind auch für die Kinder ersichtlich. Es steht direkt Amokalarm darauf.
"Die Alarmsysteme sind auch für die Kinder ersichtlich. Es steht direkt Amokalarm darauf", so der Gewerkschaftsvize. Allerdings wissen nur die Erwachsenen wie der Amokalarm im Schulhaus klingt, nicht die Kinder, wie er betont. Eines ist Michel wichtig zu betonen: Wenn man Lehrkraft das Thema ansprechen wolle, erfordere es viel Fingerspitzengefühl.
Worst-Case-Szenarien bereiten psychischen Stress
"Man sollte mit Kindern auf keinen Fall Amoksituationen durchsprechen! Kinder haben ein ganz anderes Bedrohungsempfinden", macht Peer-Niclas Unger deutlich. Der Polizeiwissenschaftler bietet mit seinen Kollegen unter dem Schlagwort "Notfalldozenten" bundesweit Lehrerfortbildungen für den Ernstfall an Schulen an. Solche Kurse bedeuteten selbst für die Erwachsenen psychischen Stress, beobachtet er.
Man sollte mit Kindern auf keinen Fall Amoksituationen durchsprechen!
Tätern könnte Wissen an die Hand gegeben werden
Mit Kindern und Jugendlichen würde Unger, der auch Polizeistudenten unterrichtet, so ein "Worst-Case-Szenario" aus zwei Gründen nicht durchgehen: Zum einen bringe es keine nennenswerten Vorteile und man setze Kinder so sehr unter Stress, dass das für sie zu einem Erlebnis werden könne, das später therapeutisch aufbereitet werden müsse. "Wir sehen die Lehrer als diejenigen, die die Anführerrolle einnehmen sollen und den Kindern sagen müssen, wo es hingeht."
Zum anderen muss man sich laut Unger gewahr werden, aus welchem Personenkreis die Täter kommen, denn bei den meisten Amoktaten an Schulen seien die Täter entweder Schüler oder ehemaliger Schüler. "Das heißt, man würde, wenn man Amoktaten exemplarisch mit den Kindern durchexerziert, möglicherweise dem Täter an die Hand geben, wie er am besten die Schutzmechanismen der Schule umgeht." Letztlich bleibe die Wahrscheinlichkeit so eines Ernstfalls an deutschen Schulen sehr gering.
Amokthema kann Ängste ohne Lerneffekt schüren
Das sieht der Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Jan Oude-Aost, genauso. "Die Frage ist, bereite ich hier Kinder auf reale Gefahren vor? Sollte ich nicht lieber die Ressourcen dahingehend hineinstecken, dass sie ihr Licht am Fahrrad anmachen und wissen, wie man über eine Straße geht?"
Lieber Ressourcen dafür verwenden, dass Kinder ihr Licht am Fahrrad anmachen.
Wenn man dennoch mit Kindern Amoksituationen bespreche, dürfe das nicht so nebenbei geschehen. Es bedürfe eines richtigen Kontextes und einer richtigen Sprache - auch um bestimmte Reaktionen aufzufangen. Sonst habe man im schlimmsten Fall nur Angst verbreitet - ohne Lerneffekt.
Für Eltern, deren Kinder Amokängste haben, hat der Kinderpsychiater einen Rat: Sie sollten erfragen, was das Kind darüber weiß. So könne man die Situation handhabbar machen und schauen, welche Wissenslücken man eventuell auffüllen sollte. "Man könnte zum Beispiel sagen: 'Ja, das gibt es, ist in Deutschland aber sehr, sehr selten.'"
MDR (ama)