Eine Gruppe Männer steht draußen mit einem Banner 3 min
Beim Warnstreik bei VW in Wolfsburg sind Pendler aus Sachsen-Anhalt vorne mit dabei. Mehr dazu im Video. Bildrechte: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE / MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Bundesweiter Warnstreik Vom Glückstreffer in die Abwärtsspirale: Was die VW-Krise für Pendler aus Sachsen-Anhalt bedeutet

05. Dezember 2024, 08:43 Uhr

Volkswagen hat kein Werk in Sachsen-Anhalt, doch die Krise bei VW trifft auch rund 5.000 Pendlerinnen und Pendler aus Sachsen-Anhalt. Im Werk in Wolfsburg bangen sie angesichts der Sparpläne mit Werkschließungen und Entlassungen, wie sicher ihre Arbeit noch ist.

Mittendrin und ganz vorn dabei waren am ersten Warnstreik-Tag im Wolfsburger VW-Stammwerk auch Pendler aus Sachsen-Anhalt. An die 5.000 sollten es sein, insbesondere aus den Landkreisen Börde und Harz sowie dem Altmarkkreis Salzwedel. Seit mehr als zwei Jahrzehnten ist Europas größter Autobauer ein attraktiver Arbeitgeber für Sachsen-Anhalter.

Volkswagen als Chance für einen Neuanfang

Eike Rau aus Ochtmersleben in der Börde ist einer von knapp 66.000 Volkswagen-Mitarbeitern bundesweit, die nach Angaben der Gewerkschaft IG Metall dem Warnstreikaufruf an diesem zweiten Dezembertag folgten.

Über die Aktion "Auto 5.000" kam der heute 60-Jährige Anfang der 2000er zu VW in Wolfsburg. Damals suchte der Autobauer händeringend Mitarbeiter. "5.000 für 5.000 DM" sollten es sein. Der gelernte Zootierpfleger nutzte die Chance und sattelte zum Karosseriebauer um.

Das VW-Kraftwerk auf dem Gelände des Volkswagen-Stammwerks
Vor rund 20 Jahren suchte VW in Wolfsburg noch händeringend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Bildrechte: picture alliance/dpa | Julian Stratenschulte

"Das war der Sechser im Lotto. Ich habe mein Gehalt fast verdoppelt", erinnert sich Rau, "Man muss sich natürlich entscheiden: Will ich so weit fahren? Aber da es mir immer darum ging, meine Familie vernünftig zu ernähren und zu versorgen, spielte das eigentlich für mich nie eine Rolle. Das war eben der Glückstreffer."

[...] man muss sich natürlich entscheiden: Will ich so weit fahren? Aber da es mir immer darum ging, meine Familie vernünftig zu ernähren und zu versorgen, spielte das eigentlich für mich nie eine Rolle.

Eike Rau IG-Metall-Vertrauensmann VW Wolfsburg

Ein Mann sitzt am Küchentisch, vor ihm liegt ein Laptop.
Für Eike Rau aus Ochtersleben war VW einst "der Glückstreffer". Heute kümmert er sich als Vertrauensmann der IG Metall um die Sorgen seiner Kolleginnen und Kollegen. Bildrechte: MDR/Andrea Seifert

Krise bei VW war schon lange da, gemacht wurde nichts

20 Jahre später steht der gebürtige Magdeburger nicht mehr am Band. Heute ist er freigestellter Vertrauensmann der IG Metall. Ein Kommunikator zwischen der Belegschaft, dem Betriebsrat und dem Management, zuständig für die Sorgen und Nöte von mehreren tausend Mitarbeitern.

So auch für Christian Merder aus Beetzendorf, der nach einer Tischlerausbildung ebenfalls als Quereinsteiger nach Wolfsburg kam. Im Dreischichtsystem arbeitet der 37-Jährige am Montageband in Wolfsburg. Auch er ist in der IG Metall organisiert und Vertrauensmann. Die Krise bei Volkswagen hat sich für ihn schon lange abgezeichnet – und das nicht erst seit der Corona-Pandemie und deren Auswirkungen auf die weltweit verflochtenen Lieferketten.

Mit dem Dieselskandal 2015 hat sich das Blatt gewendet, seitdem befinden wir uns eigentlich dauerhaft in einer Abwärtsspirale.

Christian Merder Montagewerker bei VW und IG-Metall-Vertrauensmann

Zwei Männer sitzen am Küchentisch und schauen in die Kamera.
Christian Merder (links) aus Beetzendorf kam vor zehn Jahren als Quereinsteiger zu VW in Wolfsburg. Bildrechte: MDR/Andrea Seifert

"Als ich 2014 dort begonnen habe, war Volkswagen eigentlich noch der Global Player. Es lief wie geschnitten Brot, alle hatten Spaß am Arbeiten, haben Sonderschichten gefahren", sagt Merder, "Mit dem Dieselskandal 2015 hat sich das Blatt gewendet, seitdem befinden wir uns eigentlich dauerhaft in einer Abwärtsspirale."

Mit Wut im Bauch auf die Straße

Allein in Wolfsburg machten nach Gewerkschaftsangaben 47.000 Mitarbeiter bei den ersten Aktionen und Kundgebungen nach dem Ende der Friedenspflicht Anfang dieser Woche lautstark ihrem Unmut Luft. Die Belegschaft ist fassungslos und wütend auf die Konzernspitze. Diese will in einem seit Jahrzehnten beispiellosen Sparprogramm mit Werkschließungen, Entlassungen und Lohnkürzungen den Großkonzern wieder auf Kurs bringen.

Jeder normale Mitarbeiter, der am Band steht, am Auto arbeitet, der eine Schraube falsch setzt […], wird zur Rechenschaft gezogen und das Management versenkt Milliarden und es passiert nichts.

Eike Rau IG-Metall-Vertrauensmann

Vieles davon wurde über Jahrzehnte durch die Mitarbeiter hart erkämpft. Manager-Boni und Dividenden für die Aktionäre stehen derzeit hingegen nicht zur Disposition. Das bringt die Gewerkschafter umso mehr auf die Palme. "Das ist das, was mich am meisten so ärgert, dass die Mitarbeiter dafür verantwortlich gemacht werden sollen, was das Management falsch gemacht hat", sagt IG-Metall-Vertrauensmann Eike Rau in Wolfsburg, "Jeder normale Mitarbeiter, der am Band steht, am Auto arbeitet, der eine Schraube falsch setzt […], wird zur Rechenschaft gezogen und das Management versenkt Milliarden und es passiert nichts."

Warnstreik bei VW könnte erst der Anfang sein

Nach bisher drei ergebnislosen Verhandlungsrunden endete die Friedenspflicht in der Nacht von Samstag auf Sonntag. Die ersten Warnstreiks begannen am Montag an neun von zehn Volkswagen-Standorten sowie bei verschiedenen VW-Töchtern in Deutschland. Mancherorts mit Kundgebungen oder mit sogenannten "Frühschlussaktionen" in den Spät- und Nachtschichten. Weitere Warnstreiks sind möglich. Die nächste Tarifverhandlung soll am kommenden Montag (9. Dezember) in Wolfsburg stattfinden.

Mehr zum Tarifstreit und Warnstreik bei VW

MDR (Andrea Seifert, Maren Wilczek) | Erstmals veröffentlicht am 03.12.2024

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 02. Dezember 2024 | 19:00 Uhr

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