Reportage zum Gerichtsprozess Angeklagter im Fall Kezhia H.: "Ich war in einem Tunnel"
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21. Oktober 2023, 18:39 Uhr
Sechs Monate nach seiner Festnahme bricht der angeklagte Tino B. sein Schweigen. Der 43-Jährige will seine wesentlich jüngere Geliebte im März im Affekt getötet haben. Die Staatsanwaltschaft Stendal hat ihn wegen heimtückischen Mordes angeklagt – es droht ihm lebenslange Haft.
- Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten Mord an der 19-jährigen Kezhia H. aus Klötze vor.
- Der Angeklagte Tino B. gesteht: "Ich war in einem Tunnel."
- Die Erklärung des Angeklagten könnte das Strafmaß lindern.
Es ist mucksmäuschenstill im Gerichtssaal 218 des Stendal Landgerichts, als die Leipziger Rechtsanwältin Julia Melz am Freitag eine Stellungnahme des Angeklagten Tino B. verliest. Nur leises Schluchzen ist von dem 43-Jährigen zu hören. Zum Ende der rund zehnminütigen Einlassung nimmt der Mann das Taschentuch gar nicht mehr aus der Hand und wischt sich immer wieder die Tränen weg. Seine Verteidigerin liest sein Geständnis vor.
Seit seiner Festnahme am 20. April dieses Jahres hatte der Familienvater geschwiegen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm einen Mord an der 19-jährigen Kezhia H. aus Klötze (Altmarkkreis Salzwedel) vor. Er soll seine langjährige Geliebte am 4. März mit 32 Messerstichen umgebracht und anschließend in einer fast zwei Meter tiefen Kuhle verscharrt haben. Die Staatsanwaltschaft war schon vorab sicher: Die Tötung geschah während oder kurz nach einem Geschlechtsverkehr. Abwehrspuren der Frau gebe es nicht, mithin sei die Frau heimtückisch umgebracht worden.
Der dritte Verhandlungstag
Mit dem dritten Verhandlungstag lag Spannung in der Luft. Seine beiden Verteidigerinnen hatten schon vor anderthalb Wochen eine Erklärung ihres Mandanten angekündigt. Damit war eigentlich schon klar, dass er die Tat entweder gänzlich abstreiten wird oder den Verlauf in anderer Weise schildern würde, als dieser bislang durch die Staatsanwaltschaft bekannt war. Und so kam es.
"Ich war in einem Tunnel"
Der 43-Jährige will an besagtem Tag im März im Affekt gehandelt haben, wie seine Anwältin Melz dem Gericht vortrug. 50 Zuschauer und Medienvertreter hörten gespannt zu. Sie waren an diesem Vormittag allerdings auch schon auf die Folter gespannt worden. Insgesamt sechs Zeugen sagten vorher aus, ein Arbeitskollege des Angeklagten, eine Ex-Freundin sowie verschiedene Bekannte der getöteten jungen Frau. Dabei kam auch heraus, dass der Angeklagte schon einmal für zehn Monate wegen Diebstahls im Gefängnis gesessen hatte. Erst nach dreieinhalb Stunden Verhandlungszeit gab es das Geständnis der Tötung.
Die Tat aus der Sicht von Tino B.
"Ich war in einem Tunnel", wird der Angeklagte von seiner Anwältin zitiert. Er hatte an diesem Samstagnachmittag Kezhia H., mit der er eine langjährige intime Beziehung pflegte, in Klötze abgeholt. Sie seien auf dem Weg zum Schwimmen nach Wolfsburg unterwegs gewesen. Auf halber Strecke habe Kezhia H. ihn gebeten, in ein Waldstück zwischen Hoitlingen und Jembke (Landkreis Gifhorn) abzubiegen. Sie habe Sex mit ihm haben wollen. Sie wünschte sich ein Baby, so der Angeklagte. Sie habe halbnackt vor ihm gestanden und ihn an sich herangezogen. Er habe nicht gewollt. Plötzlich habe Kezhia H. ein Obstmesser in der Hand gehalten, was sie aus dem Handschuhfach gekramt habe.
Die Situation, zum Sex mit Gewalt gezwungen zu werden, habe bei ihm ein altes Trauma ausgelöst, so die Aussage. Er habe nicht mehr gewusst, was er tat. Er wisse auch nicht, wie oft er zugestochen habe. Als sie dann tot vor ihm lag, sei er völlig erschrocken gewesen. Er sei in Todesangst gewesen – auch weil er befürchtete, wieder ins Gefängnis zu müssen. "Ich verstehe nicht, wie die Situation so aus dem Ruder laufen konnte."
Die Leiche versteckte er zunächst, Kleidungsstücke wurden verbrannt. Drei Tage später holte er die Leiche hervor, brachte sie zu einer Kiesgrube bei Bahrdorf (Landkreis Helmstedt) und vergrub sie mit Hilfe eines Firmenbaggers in einem tiefen Loch. Laut Gericht etwa zwei Meter tief.
Entdeckt worden war die Leiche rund sechs Wochen nach der Tat. Ein Fahrtenschreiber im Firmenwagen hatte die Ermittler auf die Spur gebracht. Während der Angeklagte sich an den Tathergang nicht erinnern können will, so agierte er anschließend doch äußerst überlegt. Schrieb bald schon eine SMS an das Handy der toten Kezhia H. – ein erstes Verwirrspiel. Zwei Tage nach der Tötung war er es auch, der die Frau bei der Polizei als vermisst gemeldet hat. Er habe mentale Techniken angewandt, die ihm während seines Gefängnisaufenthaltes gegen Panikattacken beigebracht worden seien, sagt er.
Mord oder Totschlag?
Für Anwalt Holger Stahlknecht ist klar, warum es jetzt zu diesem Eingeständnis der Tötung durch den Angeklagten gekommen ist. "Die Verteidigung möchte von dem Mordmerkmal weg", sagt der ehemalige Innenminister, der Kezhias H. Mutter als Nebenklägerin in dem Verfahren vertritt. "Der Angeklagte hat eingestanden, dass die Tötung im Rahmen einer Auseinandersetzung erfolgte", so Stahlknecht. Dies laufe auf ein Totschlagsdelikt hinaus, was am Ende einen geringeren Strafrahmen bedeuten würde als bei Mord, bei dem mit lebenslanger Haft zu rechnen ist.
"Wir müssen sehen, wie glaubwürdig das ist, was uns heute vorgetragen wurde"
"Wir müssen sehen, wie glaubwürdig das ist, was uns heute vorgetragen wurde", so Stahlknecht. Es habe zuvor ja bereits einige Zeugen gegeben, die den Angeklagten als jemanden geschildert hatten, der es mit der Wahrheit nicht immer so genau genommen und sich Tatsachen schon mal zurechtgebogen habe.
In seiner Einlassung hatte der Angeklagte auch geschildert, dass er die junge Frau "in seiner Weise" geliebt habe. Im Nachhinein gesehen, habe es sich wohl oftmals auch um Mitleid gehandelt, so der 43-Jährige. Die junge Frau sei depressiv gewesen, sei nicht über den Tod ihres Vaters hinweggekommen. Sie war auch in ärztlicher Behandlung mit monatelangem Aufenthalt in Uchtspringe gewesen. "Ich wollte, dass es ihr gut geht."
Die Tage nach der Tat
Einen Tag nach der Tat sei er in der Wohnung des Opfers gewesen. Er habe Kezhia H. "nahe sein wollen". Er sei am Sonntag im Auto umhergefahren, habe nicht gewusst, was er machen solle. Zwei Tage später hat er sie vergraben. Hatte sie zunächst in Brand gesteckt, das Feuer bei dem Anblick aber wieder gelöscht. Das Gericht sah sich Bilder an, die am Tag entstanden sind, als die Leiche durch eine Tatortgruppe von neun Polizeibeamten wieder ausgegraben wurde. Auch das Lieblingskuscheltier von Kezhia H. hatte ihr der Angeklagte mit in die Grube gelegt, wie auf einem der Bilder zu sehen ist. Bilder, die sich das Gericht unter Vorsitz von Ullrich Galler ansah. Den Zuschauern, die an diesem Vormittag vier Stunden sehr diszipliniert zuhörten, blieb der Anblick der Leichenbilder erspart.
Bereits am Donnerstag der kommenden Woche wird der Prozess fortgesetzt. Anwalt Stahlknecht glaubt nicht, dass das Eingeständnis der Tötung durch den Angeklagten das Verfahren wesentlich verkürzt. „Es geht jetzt um die Glaubwürdigkeit." Es müssten noch zahlreiche Zeugen gehört werden, auch Gutachten sollen herangezogen werden. Die Verteidigerinnen des Angeklagten möchten auch die Krankenakten des Opfers hinzuziehen.
MDR (Cynthia Seidel, Bernd-Volker Brahms)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT - Das Radio wie wir | 20. Oktober 2023 | 15:00 Uhr