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Demokratie Welche Parteien in Sachsen-Anhalt besonders viele Mitglieder verloren haben

18. Oktober 2024, 13:00 Uhr

In Sachsen-Anhalt engagieren sich im Vergleich zum Rest von Deutschland besonders wenige Menschen in Parteien. Nicht einmal einer von hundert Wahlberechtigten war 2023 Mitglied in einer Partei. Warum ist das so und welche Parteien sind besonders betroffen?

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In Sachsen-Anhalt engagieren sich besonders wenige Menschen in Parteien. Das geht aus einem Datensatz des Politikwissenschaftlers Oskar Niedermayer hervor, der die Mitgliederzahlen aller Parteien der Jahre 2010 bis 2023 zusammenfasst und den MDR Data ausgewertet hat. Zum 31. Dezember 2023 waren demnach 15.767 Menschen in Sachsen-Anhalt Mitglied in einer Partei. Das entspricht 0,88 Prozent aller Wahlberechtigten. Deutschlandweit engagieren sich den Zahlen zufolge nur in Sachsen noch weniger Menschen in einer Partei. Den höchsten Anteil an Parteimitgliedern verzeichnet das Saarland mit 4,3 Prozent aller Wahlberechtigten.

Die Daten zeigen, dass sich in allen ostdeutschen Bundesländern weniger Menschen parteipolitisch engagieren als in den westdeutschen Bundesländern. Michael Kolkmann, Politikwissenschaftler an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, sieht dafür vor allem historische Gründe: Nach der Wiedervereinigung sei es den arrivierten Parteien nicht gelungen, sich in den neuen Bundesländern und damit auch in Sachsen-Anhalt vollständig zu etablieren. "Zudem war nach 40 Jahren SED eine Parteimitgliedschaft nicht das Attraktivste für viele Bürgerinnen und Bürger", so Kolkmann.

Doch auch kulturelle und strukturelle Faktoren spielten eine entscheidende Rolle. "Früher hat man automatisch die CDU gewählt, wenn man sonntags in die Kirche gegangen ist. Man hat die SPD gewählt, wenn man Mitglied in einer Gewerkschaft war", so Kolkmann. In Sachsen-Anhalt und anderen ostdeutschen Bundesländern sind jedoch deutlich weniger Menschen in sogenannten politischen Vorfeldorganisationen wie der Kirche aktiv. Durch die kritische Haltung der sozialistischen DDR-Regierung gegenüber Religionen traten viele Ostdeutsche aus der Kirche aus. Auch Jüngere wachsen daher häufig ohne Bezug zur Religion auf.

Grüne und AfD gewinnen in Sachsen-Anhalt Parteimitglieder

In den vergangenen 13 Jahren konnten in Sachsen-Anhalt nur die Grünen und die AfD ihre Mitgliederzahlen steigern. Bei den Grünen stieg sie von 598 Mitgliedern im Jahr 2010 auf 1.272 Mitglieder im Jahr 2023. Der Partei ist es damit gelungen, ihre Mitgliederzahlen zu verdoppeln.

Diese Entwicklung spiegelt einen bundesweiten Trend wider: Die Grünen verzeichneten 2019 eine Eintrittswelle mit einem Zuwachs von 28 Prozent und eine weitere im Jahr 2021 mit einem Plus von 17 Prozent. Zu erklären ist der Zuwachs wohl mit dem Aufkommen der Klimabewegung im Jahr 2018 und einem damit verbundenen Bewusstsein für Natur und Umwelt sowie dem Eintritt in die Bundesregierung im Jahr 2021.

Auch die AfD in Sachsen-Anhalt hat Mitglieder gewonnen: Seit ihrer Gründung im Jahr 2013 waren es 1.921 an der Zahl, belegen die Daten. Ein Wachstum, das keine andere Partei im Bundesland verzeichnen kann. Andere etablierte Parteien haben in Sachsen-Anhalt über die vergangenen Jahre dagegen viele Mitglieder verloren. Das ist nicht nur in Sachsen-Anhalt so, auch bundesweit gehen die Mitgliederzahlen seit Jahren nach unten.

Die Gründe dafür sind laut Kolkmann vielfältig. "Das Parteiensystem hat sich fragmentiert, das heißt, wir haben heute mehr Parteien", so Kolkmann. Das bekämen vor allem die Volksparteien zu spüren. Hatte die SPD 1990 beispielsweise bundesweit noch 943.402 Mitglieder, so waren es 2023 nur noch 365.189 Genossinnen und Genossen.

Jede Woche zu einer Vereinssitzung zu gehen oder am Wochenende in der Fußgängerzone für seine Partei zu werben – das erfreut sich immer weniger Beliebtheit.

Michael Kolkmann Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Weitere Gründe für den Mitgliederschwund liegen seiner Meinung nach in der zunehmenden Individualisierung und Pluralisierung der Gesellschaft. Die Form der politischen Beteiligung habe sich gewandelt. "Jede Woche zu einer Vereinssitzung zu gehen oder am Wochenende in der Fußgängerzone für seine Partei zu werben – das erfreut sich immer weniger Beliebtheit", so Kolkmann. Heute engagierten sich Menschen häufiger projekt- oder themenbezogen, etwa in Protestbewegungen wie Fridays for Future oder bei den Demonstrationen gegen Rechts nach den Correctiv-Enthüllungen.

Die Linke hat mehr als die Hälfte ihrer Mitglieder verloren

Besonders zu spüren bekommt diesen Trend die Linkspartei: Sie hat die meisten Mitglieder in Sachsen-Anhalt verloren. Während sie 2010 hinter der CDU noch die zweitgrößte Mitgliederbasis hatte, sind ihre Zahlen in den folgenden Jahren um mehr als 50 Prozent gesunken. Landesvorsitzender Hendrik Lange erklärt bei MDR SACHSEN-ANHALT, dass dafür nicht nur Austritte, sondern auch der Tod älterer Mitglieder verantwortlich sei.

"Es gibt aber natürlich auch Austritte. Wenn Menschen zum Beispiel unzufrieden sind mit der Partei oder politische Entwicklungen nicht mittragen wollen", sagt Lange. Seit dem Austritt von Sahra Wagenknecht verzeichne die Partei jedoch wieder vermehrt Eintritte, die sich auch in Sachsen-Anhalt bemerkbar machten. Besonders in ländlichen Regionen bleibe es jedoch schwer, neue Mitglieder zu gewinnen.

Trotz der hohen Verluste engagieren sich Menschen in Sachsen-Anhalt öfter bei der Linkspartei als im Rest von Deutschland. Gleiches gilt für die AfD. 16 Prozent aller Menschen, die sich in Sachsen-Anhalt parteipolitisch engagieren, tun dies bei der Linken, bei der AfD sind es zwölf Prozent. Deutschlandweit stellen die Parteien nur vier beziehungsweise drei Prozent aller Mitglieder.

Die Linke war in Sachsen-Anhalt lange stark verankert, was laut Michael Kolkmann nicht allein auf ihre Wurzeln in der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) und der späteren Partei des demokratischen Sozialismus (PDS) zurückzuführen ist. Vielmehr habe sich die Linkspartei als "Kümmerer vor Ort" etablieren können. Von dieser Rolle habe die Linke lange Zeit profitiert, galt in den ostdeutschen Bundesländern sogar als Volkspartei. Kolkmann sieht diesen Status heute jedoch von der AfD übernommen: "Die Linke hat sich oft und lange auch als Protestpartei verstanden. Dann kamen aber neue Möglichkeiten, Protest zu wählen, dazu, nämlich die AfD."

Fehlende Parteimitglieder führen zu fehlender Repräsentation

Was bedeutet es für Sachsen-Anhalt, wenn sich vergleichsweise wenige Menschen parteipolitisch engagieren und die Zahl der Parteimitglieder womöglich weiter sinkt? "Man kann die Bedeutung der Mitglieder für die Parteien aber auch für die Demokratie nicht hoch genug einschätzen", so Kolkmann. Die Parteien in Sachsen-Anhalt brauchen Mitglieder aus vielen Gründen: als Kandidierende für Ämter und in Parlamenten, als Multiplikatoren vor Ort und als finanzielle Unterstützer über Mitgliedsbeiträge. Der Verlust von Mitgliedern bedeute auch finanzielle Verluste, was sich direkt auf die politische Arbeit und die Präsenz vor Ort auswirke, so Kolkmann.

Ein Mangel an Personal kann demnach zu unzureichender Repräsentation in Ämtern und Parlamenten führen. Manche ostdeutschen Landesverbände schicken beispielsweise weniger Delegierte auf Bundesparteitage, weil die Zahl der Delegierten sich an der Mitgliederzahl der Landesverbände bemisst. Auf den Parteitagen werden dann unter anderem der Vorstand oder wichtige Parteigremien gewählt.

Außerdem fehlt es an Mitgliedern, die ihren Freunden und Familien über die Parteiarbeit berichten, aber auch umgekehrt, deren Anliegen in die Partei hineintragen können. Je weniger Menschen aus Sachsen-Anhalt sich engagieren, desto geringer die Chance, dass ihre Bedürfnisse innerhalb der Parteien Gehör finden.

MDR (Ella Gößelein)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 17. Oktober 2024 | 11:00 Uhr

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