Szenenbild aus der Reportage: Andreas Graner
Andreas Graner ist geschäftsführender Direktor des IPK in Gatersleben. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Interview Genforschung in Gatersleben: "Durch Nichtstun kann man sich auch schuldig machen"

15. November 2022, 18:02 Uhr

Andreas Graner ist seit 2007 Direktor am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben. Als er seinen Posten antritt, gibt es gerade massive Proteste gegen die Gentechnik-Forschung des Instituts, die zu einer massiven Einschränkung von Freilandversuchen führt. Heute wirbt Graner für eine grundlegende Neubewertung der Gentechnik-Anwendung für die Landwirtschaft.

MDR SACHSEN-ANHALT: Herr Graner, im Jahr 2008 gab es am Institut einen sehr lange vorbereiteten und auch genehmigten Freisetzungsversuch mit gentechnisch verändertem Weizen, der von Gentechnik-Gegnern zerstört wurde. Die Pflanzen wurden herausgerissen und zertreten. Das war zu einer Zeit, als Sie gerade als Institutsdirektor angefangen haben. Wie haben Sie diese Feldzerstörung damals erlebt?

Andreas Graner: Grundsätzlich war das für uns natürlich wahnsinnig frustrierend, insbesondere für die Wissenschaftlerin und ihre Kolleginnen und Kollegen, die dieses Forschungsprojekt damals entwickelt haben, beantragt haben, dann die Fördergelder erhalten haben. Das ist ja immer ein sehr mühsamer Vorlauf, um überhaupt an solche Forschungsgelder heranzukommen. Und dann wurde eben dieser Freisetzungsversuch in den Jahren 2006, 2007 und 2008 mit Weizenpflanzen durchgeführt. Die Pflanzen wurden gentechnisch so verändert, dass sie mehr Protein im Korn produzieren.

Die Ergebnisse im Labor und Gewächshaus waren sehr vielversprechend gewesen. Und dann muss man natürlich ins Feld.

Beim Weizen gab es dann ganz plötzlich riesiges Interesse.

Andreas Graner Direktor IPK Gatersleben

Ja, und vom ersten Tag an, also bereits im Herbst 2006, als die erste Aussaat stattfand, gab es enormes Interesse. Bei Weizen ist die Empfindsamkeit in der Öffentlichkeit ganz anders, als wenn sie eine Freisetzung mit Tabak oder auch Kartoffeln machen. Wir hatten bis zu dem Zeitpunkt auf dem Institutsgelände bereits zehn Freisetzungsexperimente gemacht, für die sich im Grunde niemand interessiert hatte, außer natürlich den Genehmigungsbehörden.

Das heißt also: Wir hatten im Jahr 1998 schon angefangen, solche Freisetzungsexperimente durchzuführen. Die waren aber an Tabak, Kartoffeln und Erbsen, die liefen sozusagen unter dem Radar. Und beim Weizen gab es dann ganz plötzlich riesiges Interesse. Und das hing sicherlich auch mit der Frage zusammen, dass wir hier eine sehr große Weizensammlung in der Genbank haben. Und da kam die Sorge auf, dass diese Weizenlinien in der Genbank, die ja zum Teil auch im Feld standen und vermehrt werden, dass die in irgendeiner Form kontaminiert werden können durch gentechnisch veränderte Pollen.

Ein Jahr später war klar: Da ist nichts mehr zu holen. Das war sehr frustrierend.

Andreas Graner Direktor IPK Gatersleben

Wir hatten natürlich sichergestellt, dass das nicht passiert, auch wenn keine Gefahr von solchen gentechnisch veränderten Pollen ausgeht. Aber viele Nichtregierungsorganisationen haben nicht lockergelassen. Und es gab also ständig Demonstrationen, auf denen diese Experimente als gefährlich und zerstörerisch dargestellt wurden. 2008 war es dann soweit, dass im April dieses Experiment in einer Nacht- und Nebelaktion zerstört wurde. Das Ganze war dann auch sehr schnell im Internet. Die Initiative, die das gestartet hatte, heißt "Gendreck weg" und hatte auch andere Feldversuche schon zerstört. Aber was hier das Besondere war, ist, dass man in ein eingezäuntes Grundstück eingedrungen ist, den Zaun zunächst zerstören musste, um überhaupt reinzukommen und dann das Experiment zerstört hat.

Gewächshaus am IPK Gatersleben in der Abenddämmerung
Gewächshaus am IPK Gatersleben in der Abenddämmerung Bildrechte: MDR/Katja Herr
MDR FERNSEHEN Di, 15.11.2022 21:00 21:45
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Was haben Sie damals gedacht, als Sie das zerstörte Feld gesehen haben?

Also, das erste ist, dass man überlegt: Ist dieser Versuch noch zu retten? Und dann sind die zerstörten Pflanzen geräumt worden. Was noch übrig blieb, das waren ungefähr 50 Prozent des Versuchs, das haben wir dann weiter bis zur Ernte gezogen und haben versucht, die Daten auszuwerten. Dann sind biochemische Analysen durchgeführt worden und erst ein Jahr später war klar: Da ist nichts mehr zu holen. Das war sehr frustrierend.

Sie haben Anzeige erstattet. Schon bei Prozessbeginn war von einer sehr großen Schadenssumme die Rede, die sich dann auch noch mal erhöhte, weil diese Freiland-Versuche ja wiederholt werden sollten. Es stand eine Schadenssumme im Raum von ungefähr 300.000 Euro. Wie ist der Prozess ausgegangen?

Es gab zwei Prozesse. Es gab einen Strafprozess, der liegt nicht in den Händen des Institutes, sondern das macht die Staatsanwaltschaft und die Polizei. Und da ist es zu milden Urteilen gekommen, teilweise wurden die Verfahren auch eingestellt, denn es waren ja insgesamt sieben Leute, die an der Zerstörung beteiligt waren.

Und dann gab es einen Schadensersatzprozess, in dem Schadensersatzprozess haben wir gesagt: Dieses Projekt muss in seiner Gänze wiederholt werden, sonst können wir es nicht sauber auswerten. Und die Projektsumme, die lag sogar bei 350.000 Euro. Der Prozess hat sich dann über viele Jahre hingezogen, ging durch alle Instanzen rauf und runter und am Ende war es so, dass nach Ansicht des Gerichts und der beteiligten Gutachter das Institut nicht zweifelsfrei nachweisen konnte, dass der gesamte Versuch zerstört worden und nicht mehr auswertbar war. Und obwohl die Zerstörer ja selber gesagt haben, sie hätten alles platt gemacht, haben wir diesen Prozess verloren. Das heißt also, das IPK (Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung) hat überhaupt nichts erhalten, weil, es ging nur alles oder nichts, und musste die Prozesskosten zahlen.

Gentechnik in der DDR Gentechnologie ist ein Wort, das in der DDR kaum gefallen ist. Unter dem Namen Biotechnologie wurde jedoch fleißig an genetischem Material manipuliert. Die Technologie der Zukunft als Lösung aller Probleme in Medizin und Lebensmittelindustrie gepriesen. Sicherheitsstandards wurden, wie in allen Zweigen der DDR-Wirtschaft, den Bedingungen und Möglichkeiten der Produktion angepasst und bei Engpässen durch Ausnahmeregelungen aufgehoben. So konnte sich ein sehr risikoreicher Forschungs- und Produktionsbereich ohne entsprechende Reglementierung entwickeln und etablieren. Unabhängig von der ethischen Problematik – Embryonenforschung, Patentierung von Lebewesen.

In die Biotechnologie wurde in der DDR viel investiert. Teilweise ging es darum, Patente aus dem Westen zu umgehen – etwa bei der gentechnischen Herstellung von Humaninsulin. Das war dann auch ein geheimer Forschungsbereich. Die Bevölkerung der DDR war ohnehin nicht antigentechnisch eingestellt. Da hatten die Menschen wirklich viel dringendere Probleme. In der DDR gab es ganz allgemein eine technikfreundliche Stimmung. Wissenschaftlicher und industrieller Fortschritt wurden von den Menschen grundsätzlich begrüßt.

Die öffentliche Meinung über die Gentechnik hat sich seitdem nur gering verändert. Es gibt nach wie vor große Vorbehalte und es gibt vor allem eine europäische Gesetzgebung, die vieles extrem schwer gestaltet, Freilandversuche zu genehmigen, bis dass es überhaupt nicht möglich ist. Wie richten Sie das Institut aus für die Zukunft? Denn schließlich geht es darum, im Jahr 2050 neun Milliarden Menschen zu ernähren. Wir haben nicht mehr Fläche zur Verfügung, wir brauchen effektive Pflanzen.

Gentechnik ist natürlich nicht unser einziges Standbein, sondern die Pflanzenforschung, die wir betreiben, umfasst auch ganz große Bereiche im Bereich oder auf den Gebieten Pflanzenphysiologie und Pflanzengenetik, Genomforschung. Und da braucht man Gentechnik nur noch im Labor und bestenfalls im Gewächshaus, um sozusagen die Hypothesen, die man aufstellt, zu prüfen. Und das ist sozusagen "unser täglich Brot". Denn die gentechnischen Experimente, die wir in den Gewächshäusern und Klimakammern und Labors durchführen, werden in die Sicherheitsstufe eins eingeordnet.

Und Sicherheitsstufe eins heißt: keine Gefahr für Mensch, Tier und Umwelt ist zu erwarten. Das heißt also: Diese Gentechnik, wie wir sie anwenden, ist entgegen der Wahrnehmung in der Öffentlichkeit keine Risikotechnologie. Und ich bin manchmal erstaunt, wenn das, was wir machen, mit zum Beispiel Kernkraftwerken und Kernforschung gleichgesetzt wird. Aber ungeachtet dessen ist es natürlich so, dass die Politik und die Gesellschaft vor großen Herausforderungen in der Zukunft stehen und Gentechnik sicherlich Beiträge leisten kann. Potenzielle Beiträge zur Ernährungssicherung, zur Umweltsicherung, zur Bewältigung des Klimawandels in Zukunft. Und insofern ist es natürlich aus wissenschaftlicher Sicht extrem fahrlässig, auf so eine Technologie a priori zu verzichten.

Diese Gentechnik, wie wir sie anwenden, ist entgegen der Wahrnehmung in der Öffentlichkeit keine Risikotechnologie.

Andreas Graner Direktor IPK Gatersleben

Und ich glaube, durch Nichtstun kann man sich auch schuldig machen. Und das beobachte ich persönlich in den letzten 20 Jahren im Bereich Gentechnik. Ganz klar. Es ist etwas zynisch im Grunde, denn formell ist es ja erlaubt. Sie können ja gentechnische, gentechnisch veränderte Pflanzen freisetzen in Deutschland und in Europa. Aber sie müssen einen Regulierungsprozess durchlaufen, den sich zumindest im Forschungsbereich niemand mehr zumuten wird. Die letzten Freisetzungen gentechnisch veränderter Pflanzen in Deutschland haben im Jahr 2012 stattgefunden. Und diese Versuche wurden auch mit ziemlicher Sicherheit zerstört.

Mit anderen Worten: Niemand aus der Forschung wird sich das antun, aufwändig Anträge zu schreiben, ein Experiment zu planen und zu betreuen, wenn er mit großer Sicherheit davon ausgehen kann, dass es Aktivisten gibt, die dieses Experiment dann zerstören. Und deswegen passiert nichts mehr.

Ich glaube, das ist ein langwieriger Prozess, wieder mehr Vertrauen in die Wissenschaft zu generieren.

Andreas Graner Direktor IPK Gatersleben

Gentechnik-Regulierung in der Bundesrepublik Seit den 70er-Jahren werden gentechnisch veränderte Mikroorganismen in gentechnischen Anlagen benutzt. Doch bereits mit der Einführung der Technologie begann zeitgleich die Überwachung und Reglementierung. Von 1978 bis 1986 erließ das damalige Bundesministerium für Forschung und Technologie hierzu Richtlinien, die zwar nur für die öffentlich geförderte Forschung verbindlich waren, aber darüber hinaus auch auf freiwilliger Grundlage beachtet wurden. Seit 1988 gab es in Deutschland Forschungsfreisetzungen von gentechnisch veränderten Organismen.

Im Jahre 1990 wurde die europäische Richtlinie über die Anwendung von gentechnisch veränderten Mikroorganismen in geschlossenen Systemen, die noch heute gültige so genannte Systemrichtlinie, erlassen. Daneben wurde eine europäische Richtlinie über die absichtliche Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen in die Umwelt geschaffen, die so genannte Freisetzungsrichtlinie, die im Jahr 2001 durch eine neue Freisetzungsrichtlinie abgelöst wurde.

Ebenfalls 1990 wurden das Gentechnikgesetz sowie fünf Rechtsverordnungen zur Gentechnik verabschiedet, die sich sowohl auf das geschlossene System als auch auf die Freisetzung und den Anbau von gentechnisch veränderten Organismen beziehen. Inzwischen sind drei weitere Rechtsverordnungen hinzugekommen.

Nachdem 2001 die neue Freisetzungsrichtlinie ergangen war, wurden 2003 drei europäische Verordnungen erlassen: über gentechnisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel, über die Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung sowie über grenzüberschreitende Verbringungen von gentechnisch veränderten Organismen. Letztgenannte Verordnung dient der Umsetzung des Cartagena-Protokolls über die biologische Sicherheit und 2015 nochmal angepasst.

Wir haben am Institut Forscherinnen und Wissenschaftler kennengelernt, die teilweise recht frustriert sind, was die Gesetzgebung angeht. Im nächsten Jahr soll es eine Evaluierung der Biotechnologiegesetzgebung geben. Welche Erwartungen haben Sie?

Ich bin verhalten optimistisch. Wir werden aber alles dafür tun, dass die Änderung des Gentechnikgesetzes so vorgenommen wird, dass die Wissenschaft Gehör findet. Das ist für mich der entscheidende Punkt. Man kann keine Gesetze in solchen wissenschafts- und technologieaffinen Bereichen machen und dabei die Wissenschaft komplett ignorieren. Und das ist das, was da die letzten 20 Jahre abgelaufen ist. Und meine Hoffnung ist, dass es nicht nur junge Forschende sondern auch junge Politikerinnen und Politiker gibt, auch bei den Gentechnik-skeptischen Parteien, die sich dieses Themas mit normalem Menschenverstand annehmen und nicht politisch ausschlachten.

Wenn ich aber den Wählern 20 Jahre lang erzähle, dass das Ganze eine wahnsinnige Risikotechnologie ist, dann kann ich natürlich heute nicht komplett umschalten. Das würden die Wähler nicht verstehen. Und insofern glaube ich, ist das ein langwieriger Prozess, wieder mehr Vertrauen in die Wissenschaft zu generieren. Und ich meine, was wir an der Gentechnik haben, das haben wir doch jetzt bei Corona gesehen. Ohne Gentechnik würden wir hier nicht sitzen können, als geimpfte Bürgerinnen und Bürger und uns entspannt unterhalten können.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Katja Herr.

Dieses Thema im Programm: Der Osten - Entdecke wo du lebst | 15. November 2022 | 21:00 Uhr

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