Effektive Pflanzen Genforscher fordern mehr Freilandversuche

15. November 2022, 18:02 Uhr

Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben (Salzlandkreis) fordern einen Ausbau der Genforschung an Nutzpflanzen und mehr Freilandversuche. Politik und die Gesellschaft stünden vor großen Herausforderungen und Gentechnik könne sicherlich Beiträge leisten zur Ernährungs-und Umweltsicherung und auch zur Bewältigung des Klimawandels, so der Institutsdirektor, Andreas Graner. Umweltverbände sehen das anders. Ein Debattenüberblick.

Seit Jahrzehnten wird über Freilandversuche und Genforschung an Nutzpflanzen heiß diskutiert – oftmals sehr emotional. Gegner der Genforschung befürchten, dass die industrielle Landwirtschaft befördert wird. Forschende halten dagegen und erklären, diese Gentechnik sei keine Risikotechnologie. Im Gegenteil, es brauche mehr Forschung und mehr Freilandversuche, gerade in Zeiten von Klimaveränderung und wachsender Weltbevölkerung.

Neun Milliarden Menschen ernähren

Auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben im Salzlandkreis, fordern einen Ausbau der Genforschung an Nutzpflanzen und mehr Freilandversuche.

Der Direktor des Instituts, Andreas Graner, sagte MDR SACHSEN-ANHALT, es gehe darum, im Jahr 2050 neun Milliarden Menschen zu ernähren. Derzeit gibt es auf der Welt acht Millarden Menschen.

Gewächshaus am IPK Gatersleben in der Abenddämmerung
Im Gewächshaus am IPK Gatersleben wird an genveränderten Pflanzen geforscht. Bildrechte: MDR/Katja Herr

Weil nicht mehr Fläche zur Verfügung stehe, seien "effektive Pflanzen" wichtig, erklärte Graner. "Wir brauchen Pflanzen, die sich gegenüber der Klimaveränderung stabil erweisen und hohe Erträge bringen", ergänzte er. Politik und die Gesellschaft stünden vor großen Herausforderungen und Gentechnik könne sicherlich Beiträge leisten zur Ernährungs- und Umweltsicherung und auch zur Bewältigung des Klimawandels.

Forscher: Diese Gentechnik ist keine Risikotechnologie

Graner beklagte, dass die Genforschung in der Öffentlichkeit oft als Gefahr wahrgenommen werde. "Die gentechnischen Experimente, die wir in den Gewächshäusern und Klimakammern und Labors durchführen, werden in die Sicherheitsstufe eins eingeordnet. Das heißt: keine Gefahr für Mensch, Tier und Umwelt ist zu erwarten. Diese Gentechnik, wie wir sie anwenden, ist entgegen der Wahrnehmung in der Öffentlichkeit keine Risikotechnologie."

Bauernverband sieht Gentechnik positiv

Ähnlich sieht das der Landesbauernverband Sachsen-Anhalt e.V. "Die Themen Züchtung und Gentechnik wurden in den Jahrzehnten größtenteils emotional und politisch verhandelt. Zu wenig wurde dabei berücksichtigt, wie die wissenschaftliche Bewertung ist und welche positiven Auswirkungen moderne Züchtungsmethoden haben können", schreibt der Verband.

IPK-Forscherin Kerstin Neumann bei der Kontrolle des Kirchererbsen-Versuchs
Eine IPK-Forscherin kontrolliert Kirchererbsen-Versuche. Bildrechte: MDR/Katja Herr

Mit modernen Züchtungen und robusten, klimaangepassten Kulturpflanzen ließen sich Erträge sichern. Das sei für die Landwirtschaft hierzulande relevant. Viele andere Regionen der Welt würden ebenso von spezialisierten Züchtungen profitieren. Das sei ein fundamentaler Baustein für eine bessere Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln. Neue Sorten könnten zu einer breiteren Fruchtfolge führen und den Aufwand von Pflanzenschutzmitteln verringern, da gesunde Pflanzen resistenter gegen Schädlinge und Krankheiten seien, so der Landesbauernverband.

NABU und BUND: Es braucht eine nachhaltige Landwirtschaft

Der Naturschutzbund Sachsen-Anhalt ist für einen ganzheitlichen Ansatz. Auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT teilte der NABU mit, man brauche dringend eine naturnahe und nachhaltige Landwirtschaft, die die Fruchtbarkeit der Böden erhalte, Wasser in der Landschaft halte und die Biodiversität schütze.

Man sehe ein hohes Risiko darin, dass die grüne Gentechnik zur Aufrechterhaltung der exportorientierten, klima- und biodiversitätsschädigenden Ausrichtung auf industrielle Landwirtschaft und industrielle Tierhaltung genutzt werde. "So werden anstatt der Ursachen nur die Symptome der aktuellen Probleme in der Landwirtschaft bekämpft", so der NABU. Hungersnöten könne man mit einer Reduzierung der Lebensmittelverschwendung und Umstellung unseres Ernährungssystems begegnen.

Fokus auf alte Sorte

Zwar erklärt der NABU, Freiraum für die Forschung sei wichtig, um Innovationen voranzutreiben. Im Hinblick auf eine zukunftsfähige Landwirtschaft solle aber auch ein Fokus auf der genetischen Vielfalt und Anpassungsfähigkeit (alter) Sorten und Rassen sowie Lebensgemeinschaften liegen. Feldversuche mit gentechnisch veränderten Organismen sehe man kritisch.

BUND: Förderung nachhaltiger Landwirtschaft fehlt

Ähnlich äußert sich der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). Es hapere nicht am gesetzlichen Rahmen für Gentechnikforschung, schreibt der BUND auf MDR-Nachfrage, sondern an der Finanzierung der "bisher stiefmütterlichen behandelten Bereiche, in denen es um die nachhaltige Weiterentwicklung der Landwirtschaft geht.“ Bund und Länder sollten auch in der Forschungsförderung dafür sorgen, dass die Ziele einer nachhaltigen Ökologisierung der Land- und Lebensmittelwirtschaft erreicht werden könnten.

Ökolandbau, Regionalität und Agrarökologie stärken

Der BUND sieht bislang vor allem Gentechnik-Pflanzen, die unempfindlich gegen den Einsatz von beispielsweise Glyphosat seien. Allein der Absatz von Glyphosat habe sich in den vergangen 20 Jahre seit Einführung der herbizid-toleranten gentechnisch veränderte Organismen verfünfzehnfacht. "Das sind lukrative Geschäftsfelder für die Unternehmen, die beides – gentechnisch verändertes Saatgut und 'dazu passende' Pestizide – vertreiben." Zu einer nachhaltigen Landwirtschaft gebe es bessere Wege: "Ökolandbau, Regionalität und Agrarökologie sollten gestärkt werden."

Land: Verbraucher muss letztlich selbst entscheiden

Das Land Sachsen-Anhalt verweist zum Thema Genforschung auf die gesetzliche Regelungen und darauf, dass diese in der Zuständigkeit der EU und des Bundes lägen. Es gebe bereits Möglichkeiten, gentechnische Methoden an Pflanzen zu erproben. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit genehmigt und überwache bereits Freilandversuche.

Das Ministerium für Wirtschaft, Tourismus, Landwirtschaft und Forsten erklärt, man stehe den Diskussionen zur weiteren Entwicklung der Gentechnik aufgeschlossen gegenüber: "Neue Methoden können zur effektiven Züchtung von Sorten und zur Erreichung der Klima- und Umweltziele im Agrar- und Ernährungssystem beitragen. Letztendlich muss der Verbraucher selbst entscheiden, ob er dieses Angebot nutzen möchte."

Regularien überarbeiten

2023 soll die EU-Kommission vorschlagen, wie künftig mit Pflanzen umgegangen werden soll, die mit Hilfe von neuen genomischen Techniken hergestellt werden. Andreas Graner, Direktor des Genetik-Instituts IPK Gatersleben, ist der Meinung, dass es höchste Zeit sei, die Regularien zu überarbeiten. "Ich glaube, durch Nichtstun kann man sich auch schuldig machen. Wir werden aber alles dazu tun, dass die Änderung des Gentechnikgesetzes so vorgenommen wird, dass die Wissenschaft Gehör findet."

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Mit dem Institut in Gatersleben und dem Thema Gentechnik befasst sich auch eine Reportage des MDR: "Die Kornmacher" in der Sendereihe "Der Osten, entdecke, wo Du lebst". Zu sehen am Dienstag um 21 Uhr im MDR Fernsehen und bereits jetzt in der Mediathek.

MDR (Katja Herr, Uta Krömer, Karin Roxer, Moritz Arand)

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