15 Jahre nach dem Erdrutsch Offene Wunden und Neuanfänge am Concordiasee
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18. Juli 2024, 05:00 Uhr
15 Jahre ist der Erdrutsch von Nachterstedt nun her. Einiges hat sich seitdem getan. Mittlerweile wagt eine Familie am See einen Neuanfang mit einer Wassersportschule. Vieles ist aber auch unverändert: Ein Großteil des Seeufers wird noch über Jahrzehnte gesperrt bleiben. Und bei den Betroffenen bleiben offene Wunden.
- Eigentlich sollten am Concordiasee ein Sportboothafen und ein Ferienpark entstehen.
- Dann kam der Erdrutsch von Nachterstedt. Drei Menschen starben, 41 verloren ihr Zuhause.
- Nun plant eine Familie am See einen Neuanfang mit einer Wassersportschule.
Ein Ferienpark, ein Sportboothafen, sogar ein gläserner Aussichtsturm. Das war um die Jahrtausendwende für den Concordiasee nahe des Harzes geplant. 180 Millionen Mark sollten investiert werden.
Es kam anders. Es kamen drei Tote, eine riesige Schadenssumme. Und sehr viele Kilometer Sperrgebiet. Denn das ist es, was es heute vor allem am Concordiasee gibt. Keine Ausflugsschiffe, keine badenden Urlauber. Stattdessen: Leere weit und breit. Und offene Wunden.
Die Nacht, in der sich alles ändert
Vor der Nacht zum 18. Juli 2009 hatten die Anwohnenden am Concordiasee ein herrliches Zuhause: Ein Haus zwischen Wald und See, etwas, wovon die meisten nur träumen können. Dann kam der Erdrutsch. In der Siedlung am Concordiaring standen sie plötzlich vor dem Nichts. Ein Anwohner erzählt: "Kurz vor 2 Uhr haben wir Geräusche wahrgenommen, die einem Gewitter ähnelten. Sonst nichts. Wir sind wieder eingeschlafen."
Genau 4.43 Uhr sei er dann wieder wach geworden – durch Schreie der Nachbarn. Schreie, die unter anderem von Monika Fraust stammten. Sie erzählt, sie habe aus dem Fenster geschaut und nur See gesehen. Sie habe gerufen: "Hans, steh auf! Die Häuser sind weg!"
Hans, wir haben nichts. Wir haben zwar unser Leben, aber sonst haben wir nichts.
Viele Anwohnende mussten flüchten – mit nur dem, was sie am Leib trugen. Mit Kleidung wurden sie fürs Erste über Spenden versorgt. Hans Fraust sagt mit zitternder Stimme: "Da freust dich über jeden Löffel, über jede Tasse oder dergleichen – das ist ein Augenblick, das kannst du nicht erklären."
Einmal durften die Anwohnenden noch in ihre Häuser. Eine halbe Stunde hatten sie Zeit, um Dinge aus dem Haus zu schaffen, die sie mitnehmen wollten. Monika Fraust erzählt: "Als es ein, zwei Tage später gewittert hat, sind wir uns in die Arme gefallen und haben beide geweint. Ich habe gesagt: Hans, wir haben nichts. Wir haben zwar unser Leben, aber sonst haben wir nichts."
Drei Tote, 41 Wohnungslose
Drei Todesopfer können nie geborgen werden. 41 Menschen verlieren ihr Zuhause. Die Siedlung wird abgerissen. Die Anwohnenden werden von der Lausitzer und Mitteldeutschen Bergbau-Verwaltungsgesellschaft (LMBV) finanziell entschädigt.
Am Tag nach dem Erdrutsch, erzählt ein Segler, habe es ausgesehen, als würde der See brodeln – wahrscheinlich, weil das abgerutschte Material viel Luft mit ins Wasser gerissen habe. Die Feuerwehr erzählt, bei jedem Blick auf die Kante des Erdrutsches sei sie ein Stück weiter hinten gewesen. Wieder ein Baum weniger.
Grundwasserdruck ließ die Böschungen im Untergrund kollabieren
In den Monaten vor dem Erdrutsch 2009 hatten Segler Veränderungen an der späteren Unglücksböschung bemerkt. Ein Segler erzählt, in Ufernähe seien aus dem Wasser überall kleine artesische Brunnen gekommen. Ein anderer sagt, er habe beobachtet, dass sich in dem Hangmaterial starke Gräben entwickelt hätten. Bäche seien aus der Wand geflossen. Er habe damals mehrmals die Bewirtschaftung informiert, die die LMBV informiert habe. Das sei alles normal, sei ihnen gesagt worden.
Das Grundwasser drückt gegen Böschungen, die ohnehin schon instabil sind. Der Untergrund auf der Nachterstedter Seeseite steht unter enormen Druck. Um nach dem Unglück die Ursachen zu erkunden, hatten das Land und der zuständige Bergbausanierer verschiedene Gutachter beauftragt. Vier Jahre dauert es, bis die Gutachten den Anwohnenden präsentiert werden. Das Ergebnis: Es war tatsächlich hoher Grundwasserdruck, der die Böschungen im Untergrund kollabieren ließ. Aus Angst vor weiteren Rutschungen blieb der gesamte Concordiasee bis 2019 gesperrt.
Es gab weitere Erdrutsche
Der Erdrutsch von 2009 in Nachterstedt war nicht der erste und nicht der letzte. 1959 gab es schon einmal einen Erdrutsch. Auch damals kam ein Mensch ums Leben. Demnach sollte damals der Wasserspiegel angehoben werden, aber das Wasser unterspülte das aufgeschüttete Erdreich und es kam zu einem Erdrutsch.
Ich werde dort nie baden gehen oder Boot fahren. Da sind drei Nachbarn gestorben.
Mitten in der Sanierung kommt es 2016 zu einem weiteren Erdrutsch, der die Hoffnung auf eine baldige Teilöffnung des Sees fürs Erste begräbt. Der größte Feind des Bergbaus ist das Wasser, sagt der Vorsitzende des Bergmannsvereins Nachterstedt. An den Plänen für eine Öffnung des Südufers hält die LMBV bislang noch fest. Der Wasserstand soll bis dahin noch 18 Meter steigen. Bis 2045 soll das dauern. Dann sollen Menschen vom Südufer aus im See baden können. Für ihn komme das nicht infrage, sagt Hans Fraust, der sein Haus im Erdrutsch von 2009 verloren hat: "Ich werde dort nie baden gehen oder Boot fahren oder so etwas. Da sind drei Nachbarn gestorben. Ich würde immer denken, ich tanze denen auf den Köpfen rum."
Ein Neuanfang auf dem See
An der gegenüberliegenden Uferseite wagen gerade Menschen einen Neuanfang auf dem See. Ein Investorenpaar will eine Wassersportschule am Concordiasee eröffnen. Segeln, Katamaranfahren, Surfen sollen Menschen dort lernen können. Noch in diesem Jahr soll durchgestartet werden. Der erste Segelkurs für Kinder ist schon fest geplant. Zwei Drittel der Seefläche sind für den Wassersport freigegeben. 500 Meter des Ufers. Dennoch ist der See weit entfernt von seinen ehemaligen großen Visionen.
Schwarze Zahlen sind zwar das Ziel für den Concordiasee, sagt die Geschäftsführerin der Seeland GmbH. Aber bislang sei das noch nicht möglich gewesen. So ganz einig ist man sich vor Ort auch nicht mit den Visionen für die Region. So sagt zum Beispiel Robert Käsebier, der Bürgermeister von Seeland, er wünsche sich nicht den "Massentourismus mit Ferienparks", den einige seiner Vorgänger für die Region im Blick hatten. Sondern einen sanften Tourismus. Eventuell auch ohne steigenden Grundwasserspiegel in der Region.
MDR (Alisa Sonntag) | Erstmals veröffentlicht am 16.07.2024
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Der Osten – Entdecke, wo du lebst | 16. Juli 2024 | 21:00 Uhr
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