Luftsprünge mit Harzblick Kitesurfen auf dem Concordiasee
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24. August 2020, 16:37 Uhr
Der Concordiasee bei Nachterstedt verdankt seinen Namen dem alten Tagebau. Nach einigen Wirren und Problemen könnte sich nun die Region zu einem wichtigen Zentrum des Wassersports entwickeln. Uli Wittstock war vor Ort.
Der Concordiasee liegt spiegelglatt. Kein Lüftchen krümmt das Gras, die Bäume rundum stehen unbeweglich, kein Blätterrauschen ist zuhören. Nicht mal ein Pionierwimpel würde flattern, von einem Segel oder Kiteschirm ganz zu schweigen. Keine optimalen Bedingungen zum Kitesurfen: Ohne Wind keine Fahrt. Allenfalls ein Paddel könnte helfen, doch deswegen bin ich nicht angereist. Früher hätte man die Götter um Wind angerufen, heute nennt man das Reporterpech.
Wind ist kein Problem
"Wir haben uns natürlich vorher Gedanken gemacht, ob sich der Aufwand lohnt, den Concordiasee zu einem Zentrum für Wassersport zu machen" sagt Michael Scholz vom Wassersportverein Seeland Harz. Mangels Wind treffen wir uns in Wernigerode und zwar im Büro von Christoph Dunkel, der ebenfalls im Vorstand des Vereins aktiv ist. Die Windsituation sei eigentlich sehr gut, erklärt Michael Scholz: "Zu fünfundachtzig oder neunzig Prozent kommt der Wind aus südlicher, westlicher oder auch östlicher Richtung und genau solche Winde können wir gebrauchen. Dabei hilft uns die Topographie des Harzes, denn die Berge haben eine Art Leitplankeneffekt. Da bündeln sich die Winde und kommen dann auch am Concordiasee an."
Wo kein Wind ist, lässt sich allerdings auch nichts bündeln. Die erste Lektion an diesem Tag also lautet: Wer Wind für seinen Sport braucht, muss mit Flauten rechnen. Michael Scholz hat übrigens zwei Standbeine, eines auf dem Dach als Zimmermannsmeister und eines auf Wasser, als Meister im Kitesurfen. In beiden Bereichen spielt der Wind eine Rolle, auf dem Dach ist er eher hinderlich, auf dem Wasser hingegen sollte er wehen.
Kitesurfen
Beim Kitesurfen steht man auf einem Board ähnlich einem kleinen Surfbrett und wird von einem Lenkdrachen über Wasser gezogen.
Anfragen kommen sogar aus Hamburg
Eigentlich wurde das Kitesurfen an Meeresstränden entwickelt und ist dort in den letzten Jahrzehnten zu einem Trendsport geworden. Auf deutschen Binnenseen ist es zumeist verboten. Denn nicht selten geraten Kitesurfer mit den Seglern oder Windsurfern in Konflikte. Am Concordiasee wird deshalb konsequent auf Miteinander gesetzt, sagt Vorstandsmitglied Christoph Dunkel: "Überall, wo Menschen aufeinander treffen, gibt es Befindlichkeiten und die können in so einem Vereinsgefüge einfach besser ausgehandelt werden." Concordia, die Göttin der Einheit, wacht also auch über den Wassersport.
Dem Wassersportverein Seeland Harz stehen zwei Quadratkilometer Wasserfläche zur Verfügung. Das ist zwar nicht der Indische Ozean, aber dennoch für so manchen Kitesurfer ein reizvolles Angebot. Der See ist im MDR-Gebiet das einzige Binnengewässer, an dem Kitesurfen erlaubt ist. Und so wundert es nicht, dass die Vereinsmitglieder nicht nur aus der Harzregion kommen, sondern auch aus Hannover, Wolfsburg oder Magdeburg. Rund siebzig Mitglieder hat der Verein. Anfragen kommen inzwischen selbst aus Hamburg, denn mit dem Lenkdrachen auf einem gefluteten Tagebau zu surfen, scheint für so manchen eine interessante Alternative zu sein zu den klassischen Surferparadiesen wie dem Steinhuder Meer oder Sankt Peter-Ording. In der Saison kann es dort auf dem Wasser mitunter ziemlich eng werden.
Neue Hoffnung nach dem Erdrutsch von Nachterstedt
Doch die industrielle Vorgeschichte des Sees hat in den letzten Jahren die Entwicklung des Wassersports erheblich behindert. Im Jahr 2009 rutschte in Nachterstedt ein Teil der Seekannte ab und riss ein Haus in die Tiefe, viereinhalb Millionen Kubikmeter Erde waren plötzlich in Bewegung. Drei Menschen starben, über vierzig weitere wurden obdachlos. Viele Pläne der Region zog der Hang mit in die Tiefe und auch der damals gegründete Wassersportverein löste sich bald mangels einer klaren Perspektive auf. Zehn Jahre hat es gedauert, bis die Behörden Teile des Sees wieder freigaben.
Aber aufgegeben haben die Akteure nicht, so Christoph Dunkel: "Die Leute waren regelrecht hungrig. Jeder hat in den Nachrichten verfolgt, was da über die Jahre passiert. Und als sich eine Lösung abzeichnete, standen wir in den Startlöchern. Jetzt muss man also nicht mehr an die Ostsee oder Nordsee fahren, wenn man mal am Wochenende Kiten will."
Schulung nur eingeschränkt möglich
Um den Sport auszuüben, reicht es jedoch nicht, als Kind mal einen Drachen in die Lüfte steigen gelassen zu haben. Wer sich Wind und Wasser anvertraut, sollte seine Motorik und Koordination trainieren und zwar zunächst ohne große Luftsprünge. Für die Ausbildung im Kiten ist Michael Scholz verantwortlich. Derzeit allerdings ist das Üben auf dem Wasser behördlich eingeschränkt. Zumindest auf flüssigem Wasser. Auf Schnee bietet Michael Scholz Kurse an, das sogenannte Snowkiten: "Man muss also nicht an die Küste fahren und dort für teures Geld überfüllte Kurse buchen, wo man in drei Stunden zweimal den Kite in die Hand nehmen kann. Wir sind hier deutlich individueller bei einer maximalen Gruppengröße von drei Personen und deshalb ist das dann auch sehr effektiv für den Einzelnen." Parallel dazu ist der Verein mit den Behörden in Kontakt, um auch auf dem See Kitekurse anzubieten.
Eigentlich zählt Kitesurfen zu den Extremsportarten. Extrem sportlich muss man dafür aber eigentlich nicht sein, sagt Scholz: "Eine normale Grundfitness reicht aus." Und auch beim Alter gebe es kaum Einschränkungen. Sein ältester Kursteilnehmer beim Snowkiten sei 76 Jahre alt gewesen und habe den Kurs erfolgreich absolviert: "Wenn man den Kite beherrscht, dann ist das eine Anstrengung wie bei einem etwas schnelleren Wandern."
Der Harz insgesamt profitiert
Der Trend zum Aktivurlaub hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Mittlerweile bietet der Harz in der Hinsicht ein reichhaltiges Angebot, vom klassischen Wandern über Mountainbiking und Klettern bis hin zum Wassersport. Auch der Wassersportverein Seeland Harz hofft auf einen weiteren Ausbau der Infrastruktur, zum Beispiel einen Radweg rund um den See. Der würde nämlich weitere Angebote möglich machen, so Christoph Dunkel: "Wir hätten dann die Möglichkeit, hier in der Region einen interessanten Triathlon zu etablieren." An Ideen mangelt es in der Region also nicht. Fachleute gehen davon aus, dass sich viele klassische Wintersportgebiete in den Mittelgebirgen aus Klimagründen umstellen müssen. Der Harz scheint die Zeichen der Zeit erkannt zu haben.
Über den Autor:
Geboren ist Uli Wittstock 1962 in Lutherstadt Wittenberg, aufgewachsen in Magdeburg. Nach dem Abitur hat er einen dreijährigen Ausflug ins Herz des Proletariats unternommen: Arbeit als Stahlschmelzer im VEB Schwermaschinenbaukombinat Ernst Thälmann. Anschließend studierte er evangelische Theologie.
Nach der Wende hat er sich dem Journalismus zugewendet und ist seit 1992 beim MDR-Hörfunk. 2016 erschien sein Roman "Weißes Rauschen oder die sieben Tage von Bardorf" im Mitteldeutschen Verlag Halle.
Quelle: MDR/vö
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