Massentierhaltung Bürgerinitiative im Widerstand gegen Hähnchenmastanlage im Sülzetal
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02. August 2020, 18:29 Uhr
Seit sechs Jahren kämpft eine Bürgerinitiative in der Gemeinde Sülzetal gegen den Bau einer Hähnchenmastanlage. Sie fürchten unter anderem die Ausbreitung multiresistenter Keime. Eine Geschichte über Probleme der Massentierhaltung.
Auf dem Hof von Gabriele Siegel in Stemmern haben sich gut 30 Menschen versammelt. Sie verbindet schon seit 2014 ein gemeinsames Ziel: Sie wollen verhindern, dass auf einem Kartoffelacker in ihrer Nachbarschaft eine große Hähnchenmastanlage entsteht.
Die Anlage soll Platz für 350.000 Tiere haben, aufgeteilt auf sieben Ställe. Nach spätestens sechs Wochen würden die Hühner geschlachtet und neue Küken kämen nach. Acht sogenannte Mast-Durchgänge pro Jahr sollen stattfinden – das bedeutet einen jährlichen Durchlauf von etwa drei Millionen Tieren. "Diese Größenordnung beängstigt", sagt die Anwohnerin Siegel.
Seit 2014 im Widerstand
Durch eine klein gedruckte Anzeige erfahren die Anwohner 2014 eher zufällig vom Bauvorhaben. Gabriele Siegel, Zahnärztin, aufgewachsen in Stemmern, gründet mit einigen Mitstreitern die Bürgerinitiative "Sauberes Sülzetal", die seither darum kämpft, dass die Hähnchenmastanlage nicht genehmigt wird.
Siegel erzählt, wie die Initiative dazu aufgerufen hat, Einwendungen gegen das Bauvorhaben an das Landesverwaltungsamt zu schreiben. Das ist die Behörde, die über die Genehmigung entscheidet. 1.000 Einwendungen habe sie sich erhofft – mehr als 1.500 seien zusammengekommen. Gesammelte Zeitungsartikel belegen die zahlreichen Aktionen und damit das starke Engagement der Anwohner gegen die Hähnchenmastanlage. Die Initiative habe auch einen Anwalt eingeschaltet, sagt Siegel. Die Kosten für ihn würden sich am Ende auf 27.000 Euro belaufen, das müsse vorrangig durch Spenden finanziert werden.
Anwohner kritisieren Informationspolitik
In den vergangenen Jahren war es dann lange ruhig um die Anlage. Der Antrag ist beim Landesverwaltungsamt bis jetzt in Bearbeitung. Aber Anfang des Jahres habe ein Hinweis des Bauamts der Gemeinde Sülzetal die Initiative wieder in Alarmbereitschaft versetzt, berichtet Siegel: Es fehlten für eine Genehmigung wohl nur noch Details zur verkehrlichen Anbindung.
Doch zum aktuellen Stand des Verfahrens seien kaum Informationen zu bekommen, sagt Siegel. Ende 2019 habe ein Nachbar beim Landesverwaltungsamt nachgefragt, ohne eine Antwort zu erhalten. Im Februar habe sie selbst sich bei der Gemeinde erkundigt, die jedoch mitgeteilt habe, man sei nicht zuständig. "Das zerstört das Vertrauen in so ein Genehmigungsverfahren", ist der Tenor bei den 30 Anwohnern der Gemeinde Sülzetal, die am Montagnachmittag auf dem Hof von Gabriele Siegel stehen.
Viehhaltung in der Nachbarschaft ist in der Gemeinde Sülzetal keineswegs etwas Neues. Die Hähnchenmastanlage will der Agrar- und Milchhof Stemmern bauen, der neben Stemmern bereits mehrere Hundert Kühe hält und eine Biogasanlage betreibt. Was spricht aus Sicht der Initiative gegen die Hähnchenmastanlage?
Angst vor multiresistenten Keimen
Der Hauptgrund für den Widerstand der Initiative ist die Sorge vor multiresistenten Keimen, die sich von der Anlage ausbreiten könnten. In Hähnchenmastanlagen leben sehr viele Tiere auf engem Raum. Erkrankt ein Tier, muss es behandelt werden, auch Antibiotika kommen dann zum Einsatz. Das Problem: Werden oft Antibiotika gegeben, können sich in den Ställen Keime ausbilden, die gegen Antibiotika resistent sind – also nicht mehr dadurch bekämpft werden können. Solche Keime könnten aus den Anlagen in die Umgebung gelangen, befürchten die Anwohner.
Das Coronavirus habe außerdem verdeutlicht, welche Gefahr von sogenannten Zoonosen ausgingen, ergänzt Siegel. Zoonosen sind Krankheiten, die vom Tier auf den Menschen überspringen. Ein Entstehungsherd für Zoonosen ist die Massentierhaltung. Beispiele für in der Nutztierhaltung entstandene Zoonosen sind BSE, Schweinegrippe und Vogelgrippe.
MDR SACHSEN-ANHALT hat mit dem Agrar- und Milchhof Stemmern, der die Hähnchenmastanlage bauen will, über die Bedenken der Bürgerinitiative gesprochen. Zur Befürchtung, dass von der Hähnchenmastanlage multiresistente Keime in die umliegenden Dörfer gelangen könnten, sagt Julia Weydringer vom Agrar- und Milchhof Stemmern: "Diesen Vorwürfen fehlt die Basis." Ihr seien keine Studien bekannt, aus denen hervorgehe, dass es in der Umgebung von Hähnchenmastanlagen stets Probleme mit multiresistenten Keimen gebe.
Nitrat-Belastung des Grundwassers durch Hühnerkot
Die zweite große Sorge der Anwohner: Die Hühner produzieren Mist, der Hühnertrockenkot wird als Dünger eingesetzt. Wenn auf Flächen allerdings zu viel Dünger ausgebracht wird, sickert Nitrat ins Grundwasser. In Deutschland werden bereits vielerorts die Nitrat-Grenzwerte im Grundwasser überschritten. Nitrat ist problematisch, weil es vor allem für sehr junge Kinder gesundheitsschädigend sein kann.
Zur Befürchtung, dass zu viel Hühnermist auf den Äckern als Dünger ausgebracht werden könnte, sagt Weydringer, dass es für das Ausbringen von Dünger die Düngeverordnung gebe, die eingehalten werden müsse.
Anwohner und Unternehmen: Gesetzgeber ist gefordert
Weydringer weist auch darauf hin, dass die Anlage für die Gemeinde Sülzetal Gewerbesteuereinnahmen und Arbeitsplätze bedeuten würde. Sie sagt außerdem:
Der Widerstand gegen den Bau einer einzigen Anlage bringt keine nachhaltige Veränderung. Dazu müssten die Gesetze geändert werden.
Hier sind sich Unternehmen und Bürgerinitiative tatsächlich einig: Denn der Widerstand der Initiative, gegen die konkrete Anlage vor Ort, ist eigentlich einer Forderung nach strengeren Richtlinien für die Nutztierhaltung in ganz Deutschland.
Bürgerinitiative fordert, Verfahren neu aufzurollen
Die Anwohner sind nicht per se gegen den Hähnchen-Betrieb. Aber sie fordern, dass für die geplante Anlage ein neues Gutachten erstellt wird, das derzeitige Erkenntnisse etwa bei Umwelt- und Gesundheitsbelastungen berücksichtigt und auf das Tierwohl achtet. Auf Basis dieses neuen Gutachtens solle das Landesverwaltungsamt dann über die Genehmigung der Hähnchenmastanlage Stemmern entscheiden.
Jede Tierhaltung, die die Belange der Tiere berücksichtigt, dass sie auch gesund groß werden können in der Zeit, wäre akzeptabel.
Sollte die Hähnchenmastanlage im Sülzetal gebaut werden, würde es sich um eine moderne Anlage handeln, sagt Weydringer. Der Agrar- und Milchhof Stemmern müsste sich zudem auch an künftige Änderungen der Tierhaltungsgesetze anpassen. Weydringer ergänzt: "Eine Anlage vor Ort, in Deutschland, kann kontrolliert werden." Bei Tierhaltungen im Ausland würden deutsche Gesetze dagegen nicht greifen. Aus ihrer Sicht wäre das die schlechtere Variante – wenngleich sie nicht die Gesetzeslagen und Kontrollmechanismen aller Länder beurteilen könne.
Entscheidung des Landesverwaltungsamt steht noch aus
MDR SACHSEN-ANHALT hat beim Landesverwaltungsamt in Halle nach dem derzeitigen Bearbeitungsstand des Antrags für die Hähnchenmastanlage Stemmern gefragt. Vom Landesverwaltungsamt ist die Antwort gekommen, dass der Antrag für die weiterhin geprüft werde.
Insbesondere zu den Themen Bauplanung und Naturschutz stehen Unterlagen des Antragstellers aus, die zwingend in das Prüfverfahren einfließen müssen.
Zuletzt habe es in diesem Juli einen Vor-Ort-Termin gegeben, bei dem sich das Landesverwaltungsamt, die Gemeinde, die Landesstraßenbaubehörde und der Agrar- und Milchhof getroffen hätten. Daraus habe sich ergeben, dass das Unternehmen den bisherigen Antrag weiter überarbeiten müsse.
Warum dauert die Prüfung des Antrags eigentlich so viele Jahre? Weil an diese Art Verfahren hohe rechtliche Hürden geknüpft seien, ist die Erklärung des Landesverwaltungsamts. Zunächst müssten alle nötigen Unterlagen vorliegen, bevor entschieden werden könne. Die Einwendungen der Anwohner würden dabei in der Begründung der späteren Entscheidung berücksichtigt. Sollte die Hähnchenmastanlage genehmigt werden, könnte laut Landesverwaltungsamt eine Klage am Verwaltungsgericht den Bau noch verzögern.
Über die Autorin
Maria Hendrischke arbeitet seit Mai 2017 als Online-Redakteurin für MDR SACHSEN-ANHALT – in Halle und in Magdeburg. Ihre Schwerpunkte sind Nachrichten aus dem Süden Sachsen-Anhalts, Politik sowie Erklärstücke und Datenprojekte. Ihre erste Station in Sachsen-Anhalt war Magdeburg, wo sie ihren Journalistik-Bachelor machte. Darauf folgten Auslandssemester in Auckland und Lissabon sowie ein Masterstudium der Kommunikationsforschung mit Schwerpunkt Politik in Erfurt und Austin, Texas. Nach einem Volontariat in einer Online-Redaktion in Berlin ging es schließlich zurück nach Sachsen-Anhalt, dieses Mal aber in die Landeshauptstadt der Herzen – nach Halle. Ihr Lieblingsort in Sachsen-Anhalt sind die Klausberge an der Saale. Aber der Harz ist auch ein Traum, findet sie.
Quelle: MDR/mh
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