Ausländerbehörde Magdeburg
Die Arbeit der Ausländerbehörde am Breiten Weg in Magdeburg steht in der Kritik. Bildrechte: MDR/Daniel George

Kritik an Ausländerbehörde Wie Magdeburg internationale Fachkräfte verschreckt

25. September 2022, 08:22 Uhr

Magdeburg will sich als weltoffene Stadt präsentieren und internationale Fachkräfte gewinnen – gerade im Zuge der Intel-Ansiedlung. So proklamiert es die Politik. Die Realität sieht offenbar jedoch ganz anders aus – zumindest, was die Arbeit der Ausländerbehörde angeht.

  • Die Ausländerbehörde Magdeburg steht in der Kritik. Zahlreiche Betroffene berichten von Missständen.
  • Auch Außenstehende sehen großen Verbesserungsbedarf – vor allem mit Blick auf die geplante Ansiedlung von Intel.
  • Die Stadt verweist auf die angespannte personelle Situation auch mit Blick auf den Ukraine-Krieg und erklärt, bereits an Lösungen zu arbeiten.

Eine Bank wenige Meter vom Eingang entfernt – näher kommt Sara* der Ausländerbehörde auch heute nicht. Der Treffpunkt für das Interview mit MDR SACHSEN-ANHALT taugt als Sinnbild. Denn: "Wir wissen alle nicht, was hinter den verschlossenen Türen passiert", sagt sie. Aber: "Ich kann angesichts meiner Erfahrungen nur mutmaßen, dass es dort ein totales Chaos ist."

Seit Ende vergangenen Jahres wartet die 35 Jahre alte Syrerin aus Magdeburg nun bereits auf die Verlängerung ihres Aufenthaltstitels. Seit einem halben Jahr antwortet die Ausländerbehörde auf keinerlei Kontaktversuche. Dabei lebt sie schon seit sechs Jahren in Magdeburg. Sie hat dort studiert, promoviert derzeit an der Universität. Doch ohne Aufenthaltstitel keine Reisen. Ohne Reisen keine Publikationen. Ohne Publikationen kein Doktortitel.

"In diesem Dilemma stecke ich gerade", sagt Sara*, die aus Angst vor möglichen Konsequenzen lieber anonym bleiben will. "Ich hänge völlig in der Luft und weiß nicht mehr weiter. Für die Ausländerbehörde bin ich nur ein weiterer Antrag, eine Nummer, aber es geht hier um mein Leben."

"Ausländerbehörde macht uns das Leben schwer"

Die Geschichte von Sara* ist nur eine von vielen. Zahlreiche Magdeburger und Magdeburgerinnen mit Migrationshintergrund haben sich im Zuge der Recherche in den vergangenen Wochen bei MDR SACHSEN-ANHALT gemeldet, die alle dieselben Probleme mit der Ausländerbehörde Magdeburg schildern. Die Vorwürfe: keine Kommunikation, Unfreundlichkeit und unzumutbare Verzögerungen bei der Antragsbearbeitung.

Die Zustände in der Ausländerbehörde seien nicht neu, schildern mehrere Betroffene. Doch verwundert die Situation trotzdem, will sich Magdeburg doch als weltoffene Stadt präsentieren – gerade im Zuge der Intel-Ansiedlung. Internationale Fachkräfte sollen herzlich empfangen werden. So proklamiert es zumindest die Politik. Die Realität sieht offenbar jedoch ganz anders aus.

"Ich weiß, dass Magdeburg eigentlich Fachkräfte gewinnen will", sagt auch Sara*, ergänzt aber: "Ich denke nicht, dass die Stadt mit dieser Ausländerbehörde eine gute Anlaufstelle für internationale Fachkräfte ist. Sie macht uns das Leben schwer, anstatt uns zu unterstützen."

Was ist eine Fiktionsbescheinigung?

Es wird zwischen einer befristeten und unbefristeten Aufenthaltserlaubnis unterschieden. Die befristete Aufenthaltserlaubnis hat unterschiedliche Laufzeiten und muss nach Ablauf verlängert werden. Will oder kann die Ausländerbehörde nicht gleich darüber entscheiden, werden sogenannte Fiktionsbescheinigungen ausgegeben.

Doch: "Damit ist man auf vielen Ebenen beschränkt", sagt Aram Badr, Sprecher des Syrisch-Deutschen Kulturvereins Magdeburg. "Zum Beispiel, was das Reisen, Arbeiten oder Abschließen von Verträgen angeht." Die Fiktionsbescheinigung ist also nicht gleichbedeutend mit einem Aufenthaltstitel, sondern bedeutet nur, dass man diesen beantragt hat.

Kommunikation als Kritikpunkt

Auch Aram Badr hat in den vergangenen Monaten von zahlreichen Problemfällen gehört. Der Syrer ist Sprecher des Syrisch-Deutschen Kulturvereins Magdeburg, der Ende August mit weiteren Initiativen zu einer Kundgebung vor der Ausländerbehörde am Breiten Weg aufgerufen hatte. Mehr als 100 Menschen waren dem Aufruf gefolgt.

"Die fehlende Kommunikation und die Verzögerung bei den Anträgen führen zu großen Problemen im beruflichen wie privaten Leben der Menschen. Sie können ihren Job verlieren oder gezwungen sein, ihr Studium aufzugeben", sagt Badr und betont die Bedeutung der Ausländerbehörde: "Was die Ausländer mit Deutschland zunächst verbindet, sind die Ämter. Wenn diese Kontaktlinie fehlt, fehlt die Integration im Arbeitsmarkt, dann fehlt die Teilhabe. Der Integrationsprozess wird so verhindert."

Wir wollen nicht pauschalisieren und einen Vorwurf gegen einzelne Mitarbeiter erheben. Einige bemühen sich auch wirklich, wollen helfen. Aber es muss sich etwas ändern.

Aram Badr, Sprecher des Syrisch-Deutschen Kulturvereins Magdeburg

Die Situation hätte sich seit Beginn des Ukraine-Krieges verschärft, sagt Badr. Das grundsätzliche Problem bezüglich der Arbeit der Ausländerbehörde bestehe allerdings schon deutlich länger. Was dem Syrisch-Deutschen Kulturverein Magdeburg wichtig ist: "Wir wollen nicht pauschalisieren und einen Vorwurf gegen einzelne Mitarbeiter erheben. Einige bemühen sich auch wirklich, wollen helfen", wie Badr sagt. "Aber es muss sich etwas ändern."

Denn trotz der Bemühung einzelner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sei die Kommunikation ein großes Manko, so Badr. Kaum jemand in der Behörde würde Englisch sprechen – oder wollen. "Es gibt bei der Ausländerbehörde und auch anderen Ämtern ein Lieblingssprichwort", sagt der Syrer. Und zwar: "Wir sind hier in Deutschland. Hier wird Deutsch gesprochen."

Ohne – eigens bezahlten – Dolmetscher würde es zum Teil gar keine Termine geben, sagt Badr und findet: "Das ist unzumutbar, gerade für Flüchtlinge, aber auch für Studierende." Willkommenskultur sehe in jedem Fall anders aus.

Wenn Fachkräfte verloren gehen

Hiba Mahmood wirkt frustriert und ratlos, wenn sie über die Ausländerbehörde in Magdeburg spricht. Die 26-Jährige kam 2015 aus Syrien nach Deutschland, absolviert derzeit ihren Master an der Fachhochschule Magdeburg-Stendal – und sie wartet ebenfalls seit Monaten auf die Verlängerung ihres Aufenthaltstitels.

"Immer wieder werden von der Ausländerbehörde neue Unterlagen angefordert, obwohl ich diese längst abgegeben habe", erzählt sie und spricht von Willkür. Hinzu würden die ständigen Verzögerungen bei der Bearbeitungszeit kommen.

"Ich kenne viele internationale Studierende, die deshalb weggezogen sind aus Magdeburg, obwohl sie gerne hier geblieben wären. Aber anderswo ist es unkomplizierter für sie, einen befristeten oder unbefristeten Aufenthaltstitel zu bekommen – oder sogar die Einbürgerung", sagt Mahmood, die für ihre Arbeit bereits Preise gewonnen hat, als ausgezeichnete Studentin gilt und sich auch gesellschaftlich engagiert.

Die alleinerziehende Mutter eines fünf Jahre alten Sohnes findet: "Die Stadt sollte doch froh sein, fleißige Menschen hier zu haben, die sich am sozialen Leben beteiligen." Doch genau dieses Gefühl habe sie nicht. Stattdessen werde den internationalen Studierenden und Fachkräften das Leben erschwert. "In der Ausländerbehörde muss sich einiges ändern", sagt sie.

Ein Beispiel? "Die Sprache", sagt Mahmood, die mittlerweile fließend Deutsch spricht. Doch zu Beginn ihrer Zeit in Magdeburg musste sie einen Dolmetscher engagieren und selbst bezahlen, um überhaupt mit den Mitarbeitenden der Ausländerbehörde kommunizieren zu können. "Es gibt ja auch internationale Studierende, die Studiengänge belegen, die komplett auf Englisch sind", sagt die Industriedesignerin. "Die können sich in der Ausländerbehörde gar nicht verständigen."

Die Stadt sollte doch froh sein, fleißige Menschen hier zu haben, die sich am sozialen Leben beteiligen.

Hiba Mahmood, Studentin aus Syrien

Schwerwiegende Konsequenzen für Studierende

Anne-Kathrin Lerke kennt die Sorgen der internationalen Studierenden an der Fachhochschule Magdeburg-Stendal. Sie leitet dort das International Office, in dem auch Hiba Mahmood als studentische Hilfskraft arbeitet.

Lerke sagt: "Die Studierenden sind durch die Situation in der Ausländerbehörde sehr eingeschränkt. Nach Ablauf des Visums sind sie eigentlich nicht mehr rechtmäßig hier in Deutschland. Das kann zum Nachteil werden bei Arbeitsverhältnissen, die sie eigentlich nicht eingehen dürfen, oder wenn sie in ihr Heimatland reisen möchten oder ein Auslandssemester absolvieren müssen."

Es ist ja zu erwarten, dass viele internationale Fachkräfte auch aus Drittstaaten und nicht nur aus EU-Staaten nach Magdeburg kommen werden – und die haben dann alle dieselben Probleme.

Anne-Kathrin Lerke, Leiterin des International Office an der Fachhochschule Magdeburg-Stendal

Für die Leiterin des International Office steht fest: "Wenn wir internationaler werden wollen, dann ist das keine alleinige Aufgabe der Hochschulen, sondern es ist auch eine Aufgabe des Landes und der Stadt. Auch in Hinblick auf Intel machen wir uns da sehr viele Gedanken. Denn es ist ja zu erwarten, dass viele internationale Fachkräfte auch aus Drittstaaten und nicht nur aus EU-Staaten nach Magdeburg kommen werden – und die haben dann alle dieselben Probleme."

Arbeitgeberpräsident hofft auf Entwicklung

Probleme, die auch Marco Langhof sieht. Der Präsident der Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände Sachsen-Anhalt (AWSA) sagt: "Die Ankündigung der Intel-Ansiedlung macht Magdeburg und die Region in den Augen von internationalen Fachkräften zu einem attraktiven Hochtechnologie-Standort. Wir arbeiten sehr intensiv daran, klarzumachen, was das bedeutet."

Auf Verwaltungsebene nämlich auch, dass sich die Situation in der Ausländerbehörde verbessern müsse. "Das Zauberwort ist Willkommenskultur – und zwar nicht nur in einem kulturellen Sinn, sondern im Zusammenspiel vieler Maßnahmen, damit sich Fachkräfte hier wirklich willkommen fühlen", sagt Langhof. "Das freundliche Entgegenkommen, aber am Ende geht es auch um simple Sachen wie Bestätigungen von Behörden oder mit einer Fremdsprache hier auch klarzukommen. Da müssen sich alle an die eigene Nase fassen und ein paar Schritte nach vorne gehen. Da sind wir noch am Anfang."

Marco Langhof, Vorstandsvorsitzender des Verbandes der IT- und Multimediaindustrie Sachsen-Anhalt e.V., während der Gespräche des ZVEI Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e.V. zu den Potenzialen der Digitalisierung im ländlichen Raum.
Marco Langhof Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Peter Gercke

Da müssen sich alle an die eigene Nase fassen und ein paar Schritte nach vorne gehen. Da sind wir noch am Anfang.

Marco Langhof, Arbeitgeberpräsident, zur Willkommenskultur in Magdeburg

Stadt arbeitet an Lösungen

Und was sagt die Stadt Magdeburg selbst zur Kritik in der Ausländerbehörde? Ein Gesprächstermin von MDR SACHSEN-ANHALT mit Oberbürgermeisterin Simone Borris (parteilos) kommt trotz mehrfacher Anfrage nicht zustande. Stattdessen verweist die Pressestelle der Stadt auf eine Stellungnahme der Verwaltung aus dem August.

Darin heißt es unter anderem: "Aktuell befindet sich die Ausländerbehörde in einer Umstrukturierung, mit welcher nach erfolgter Umsetzung eine höhere Effektivität der Abläufe erzielt werden soll." An Lösungen werde gearbeitet: zum Beispiel der Verbesserung der technischen Voraussetzungen und der Einführung von digitalen Akten.

Und weiter heißt es: "Aufgrund der kritischen Personal- und Arbeitssituation in der Ausländerbehörde wurde Anfang 2022 eine organisatorische Betrachtung veranlasst. Zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit wurden kurzfristig insgesamt zehn Mitarbeiterstellen zugeführt und durch Ausschreibungsverfahren besetzt."

Aktuell befindet sich die Ausländerbehörde in einer Umstrukturierung, mit welcher nach erfolgter Umsetzung eine höhere Effektivität der Abläufe erzielt werden soll.

Stellungnahme der Stadtverwaltung

Die Gründe für die Probleme heißen laut Angaben der Stadt also: Personalmangel. Und Ukraine-Krieg. Denn: "Im Rahmen der Ukrainekrise wurde den Ausländerbehörden durch den Bund die Aufgabe der umfänglichen Registrierung, die im Rahmen von Flüchtlingszuwanderungen der Bundespolizei bzw. dem BAMF obliegt, übertragen. Die Registrierungsstruktur war auf kommunaler Ebene nicht vorhanden, jedoch ad hoc durch die Ausländerbehörde für rund 4.000 nach Magdeburg Geflüchtete aus der Ukraine umzusetzen."

"Wir wollen hier nicht weg"

Sara*, die an diesem Nachmittag im September auf der Bank vor der Ausländerbehörde sitzt, hat Verständnis für die angespannte Situation. Nur: "Es war ja vor dem Krieg auch schon so", sagt sie. "Es hat sich nur noch weiter verschlimmert."

Dabei sei ihr Fall doch eigentlich einfach, sagt die Syrerin. "Ich habe einen sauberen Lebenslauf. Ich habe hier studiert. Ich arbeite hier, habe kein Arbeitslosengeld oder ähnliches bekommen. Meine Kinder gehen hier in die Schule, meine Familie fühlt sich hier wohl. Wir wollen hier nicht weg."

Doch: "Wenn sich die Situation mit der Ausländerbehörde nicht ändert", sagt Sara*, "wird uns irgendwann nichts anderes mehr übrig bleiben."

*Name von der Redaktion geändert. Der echte Name ist der Redaktion bekannt.

MDR (Daniel George)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 18. September 2022 | 19:00 Uhr

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